Sahin Karaaslan in dem proppenvollen Lager seines Rewe-Marktes im Neuenheimer Feld. Auf eigene Faust bestellte er gewaltige Mengen an haltbaren Lebensmitteln, die im Moment besonders gefragt sind – vom Wasser bis hin zu Nudeln. Daher klaffen in seinen Regalen auch kaum Lücken. Foto: Rothe
Von Micha Hörnle
Heidelberg/Rhein-Neckar. So unterschiedlich können die Regale in einem kleinen Einkaufszentrum aussehen: Im Mathematikon, einem Forschungs- und Geschäftskomplex am Rande des Neuenheimer Feldes in Heidelberg, sind Rewe, Aldi-Süd und Rossmann unter einem Dach versammelt. Während es bei Aldi und Rossmann Lücken im Sortiment gibt, muss sich Sahin Karaaslan von Rewe damit nicht abplagen: Er hat als selbstständiger Kaufmann "auf eigene Kappe" gewaltige Mengen von der Zentrale geordert – sein Lager ist bis zum Bersten gefüllt.
Karaaslan, der drei Märkte in Heidelberg und einen in Mannheim hat, merkte am letzten Freitag, dass sich bei seinen Kunden etwas geändert hat: Nicht alle, aber einzelne kauften Nudeln, H-Milch, Wasser und Fertiggerichte in großen Mengen, von "Hamsterkäufen" will Karaaslan aber noch nicht sprechen. Am Samstag hatten sich in seinem Mathematikon-Markt etliche Regale, gerade bei den Nudeln, aber auch bei den Tomatensoßen, bedenklich geleert, am Montag war völlige Ebbe bei haltbaren (und möglichst günstigen) Lebensmitteln: "Frische Produkte waren kaum betroffen, bis auf Zwiebeln oder Kartoffeln, die man gut lagern kann." Klagen über die leeren Regale blieben aber komplett aus.
Hamstern die Heidelberger? Eine Umfrage zum Coronavirus
Kamera: Vanessa Dietz / Interview und Produktion: Caroline Schmüser
Zumal Karaaslan rasch handelte – und sich nicht auf das automatische Warenwirtschaftssystem verließ, das nur mit dem Durchschnitt der letzten sechs Wochen rechnet, aber kurzzeitige Ausreißer nicht berücksichtigt. Händisch mussten Karaaslan und sein Team die wichtigsten und knappsten Artikel bei der Rewe-Zentrale bestellen, und ab Montagabend entspannte sich wieder die Lage. Am Mittwoch, als die RNZ bei ihm vorbeischaute, gab es noch vereinzelte Lücken im Sortiment, während es im gegenüberliegenden Aldi beispielsweise keinen löslichen Kaffee oder Tee mehr gab – dafür aber seltsamerweise Tomatenmark in rauen Mengen. Liegt das nun am bevorstehenden Umbau der Filiale oder an den Hamsterkäufen? "An beidem", sagt eine Kassiererin. Auch bei Rossmann fehlt es an einigen Artikeln, beispielsweise an Desinfektionsmitteln oder an Toilettenpapier. Im Lager von Rewe sind derweil palettenweise Vorräte an allen Arten von Milch (sogar aus Hafer und Soja) gestapelt, dazu Berge an Wasserflaschen – bis hin zu Walnusskernen und Sprühsahne. Karaaslan: "Ich habe auch extrem viel bestellt."
Alle Handelsketten, bei denen die RNZ anfragte, berichten seit Ende letzter Woche von einer erhöhten Nachfrage bei bestimmten Artikeln. Bei den Supermärkten und Discountern bestätigt sich Karaaslans Beobachtung: "Besonders das Trockensortiment, beispielsweise Konserven und Nudeln, sowie aus dem Hygienebereich Toilettenpapier und Desinfektionsmittel werden aktuell stark nachgefragt", heißt es aus der Lidl-Pressestelle. Und die Rewe-Zentrale vermeldet: "Wir haben bundesweit eine verstärkte Nachfrage nach lang haltbaren Lebensmitteln, Nährmitteln, Konserven oder Drogerieartikeln." Konkurrent Aldi berichtet von zeitweise ausverkauften Artikeln, aber mittlerweile sei die "Warenversorgung gesichert". Von Warenengpässen will man bei den Lebensmittelhändlern ausdrücklich nicht sprechen. Etwas anders ist die Situation bei Drogeriemärkten. Sprecherin Kerstin Erbe sagt über die dm-Märkte: "Wir beobachten, dass die Nachfrage nach Hygiene-Produkten stark steigt. So sind derzeit die Artikel nahezu nicht mehr verfügbar. Wir arbeiten daran, die Verfügbarkeit der Produkte in unseren dm-Märkten sicherzustellen."
Hamsterkäufe wegen des Coronavirus? - Die RNZ-UmfrageAllerdings haben auch die Vorratskäufe langsam nachgelassen, wie Karaaslan beobachtet hat: Am Mittwochnachmittag schleppte keiner der Kunden palettenweise Artikel aus den drei Geschäften im Mathematikon. "Ehrlich gesagt, finde ich das Ganze ziemlich übertrieben", sagt der Kaufmann, der aber auch Medizin studiert hat. Denn beispielsweise im Kaufland-Markt in der Kurfürsten-Anlage werden die Kunden mit Schildern aufgefordert, per Karte zu zahlen – damit die Angestellten den Kontakt mit Bargeld vermeiden. Die meisten Kunden zahlten bar, auch wenn eine Kassiererin sagt, viele kämen doch der Aufforderung nach.
Karaaslan zweifelt daran, ob Hysterie gerade der beste Ratgeber ist – selbst wenn er auf den ersten Blick davon profitiert: "Wir haben schon 40 Prozent mehr Umsatz", gibt er zu, "aber das ist erstens nicht nachhaltig und bringt zweitens unsere ganzen Abläufe durcheinander. Ich rate den Menschen, ganz normal einzukaufen, Lieferengpässe sind bei uns nicht zu erwarten." Dem 40-Jährigen ist es wichtig zu betonen, dass er aus den Hamsterkäufen keine Profite macht, indem er bei den Preisen aufschlägt: "Die bleiben unverändert."
Aber ist es nicht ein Risiko, wenn er nun auf einmal das Zehn- bis Fünfzehnfache an der sonst üblichen Menge bestellt? "Nein", sagt Karaaslan, "Artikel wie haltbare Milch oder Nudeln laufen ohnehin gut, sie sind sogenannte Schnelldreher. Spätestens im April, wenn die Studenten wieder da sind, ist das alles verkauft. Außerdem merken sich das die Kunden, wenn man sie zuverlässig und zu fairen Preisen versorgt – wir stehen in einem harten Wettbewerb." Manchmal kann auch der entschlussfreudigste Kaufmann nichts machen: In vielen Rewe-Märkten sind die Nudeln des italienischen Herstellers Barilla mittlerweile nicht mehr zu haben. Der Grund sind keine Hamsterkäufe, sondern schlicht ein Streit über die Einkaufspreise; Rewe verbannte Barilla aus seinem Sortiment.
Allerdings einmal verhob sich Karaaslan dann doch: Das war vor ziemlich genau einem Jahr: An jenem 7. Februar 2019 hatte sich in Teilen Heidelbergs und in Dossenheim das Trinkwasser blau verfärbt, und die Bürger schleppten binnen weniger Stunden alle Wasservorräte aus den Läden. Karaaslan wollte nicht warten, bis die Rewe-Zentrale endlich einen Lastwagen voller Wasserflaschen nach Heidelberg in Marsch setzte, sondern orderte auf eigene Faust bei einem türkischen Händler in Mannheim eine Riesenfuhre. Als die dann ankam, hatte gerade die Stadtverwaltung Entwarnung gegeben – und Karaaslan blieb wochenlang auf seinen gewaltigen Mineralwassermengen sitzen. Aber mal Hand aufs Herz: Hat er denn nicht doch etwas gehamstert? "Natürlich nicht", lacht Karaaslan, "aber ich habe ja auch die Schlüssel zum Laden und zum Lager!"