Dieses Foto wurde in einem Gymnasium im bayrischen Straubing gemacht. Das Nachbarbundesland hat im April das Ende des flächendeckenden, achtjährigen Gymnasiums beschlossen. Das würden sich auch viele Schüler - und Eltern - in Heidelberg und Baden-Württemberg wünschen. Foto: dpa
Von Anica Edinger
Bernd Saur redet sich in Rage. Dieses Thema bewegt den Vorsitzenden des baden-württembergischen Philologenverbandes - und das schon seit Jahren. "Das Jahr, das durch G 8 verloren geht, fehlt den Schülern einfach", meint Saur. Er ist sicher: "Für manche ist G 8 machbar, aber für mindestens 60 bis 70 Prozent wäre ein weiteres Jahr an der Schule ein Segen."
Saur ist einer von vier Rednern aus der ganzen Republik, die der Einladung der Freien Wähler Baden-Württemberg nach Heidelberg gefolgt sind. Am Dienstag hatten sie in Kooperation mit der Elterninitiative "G 9 - jetzt!" zu einer Expertenrunde in die Stadtbücherei geladen. Anlass war ein RNZ-Artikel über Anja Plesch-Krubner, selbst Mutter und Mit-Gründerin der Initiative. Dieser Artikel habe ihm "aus dem Herzen gesprochen", wie Bernd Barutta, Landessprecher der Freien Wähler, meinte. Denn mit ihren Sorgen und Nöten sei Plesch-Krubner nicht allein. Deshalb wollten die Freien Wähler es jetzt genau wissen: Wie haben andere Bundesländer den Weg zurück zu G 9 geschafft? Michael Schwägerl, Vorsitzender des bayrischen Philologenverbandes, kann das beantworten. Bayern entschied erst im April dieses Jahres, zum neunjährigen Gymnasium zurückzukehren. Schwägerl sagte zwar, dass die Vergleichbarkeit der beiden Schulsysteme nur bedingt gegeben sei, gab Plesch-Krubner und ihrer Mitstreiterin Corinna Fellner aber einen Rat mit auf den Weg: "Sie müssen einen langen Atem haben." Gerade bei diesem Thema zählten nicht nur Argumente - "es geht damit auch viel Emotionalität einher".
Den Ausschlag in Bayern habe schließlich ein Modellprojekt gegeben, das zum Schuljahr 2015/2016 eingeführt wurde: die Mittelstufe-Plus. Nach Jahrgangsstufe neun wird dabei je nach Wunsch der Schüler ein zusätzliches Jahr eingeschoben. Die Resonanz auf das Projekt war überwältigend: Zwei Drittel der Schüler meldeten sich laut Schwägerl im ersten Jahr für die Mittelstufe-Plus an, im zweiten seien es schon weit über 70 Prozent gewesen. "Das war der ultimative Erkenntnisgewinn für die Regierung", sagt er. Geht es nach Bernd Saur, Schwägerls baden-württembergischem Pendant, braucht es im Ländle einen solchen Aha-Moment gar nicht mehr. Schließlich seien die Zeichen eindeutig: "Die 44 Modellschulen, an denen G 9 angeboten wird, platzen aus allen Nähten." Tatsächlich belegen das auch Berichte der G 9-Modellschulen in der Region. Am Burghardt-Gymnasium in Buchen ist die Situation etwa prekär: Dort müssen jetzt Millionen für mehr Räume investiert werden, da die Anmeldezahlen für Klasse fünf in den letzten Jahren überproportional gestiegen sind. Die 44 Modellschulen sind aus Sicht von Saur überhaupt ein fauler Kompromiss, "ein bisschen Opium fürs Volk", wie er meint. Schließlich habe man schon lange bewiesen, dass G 9 funktioniere.
Wenig übrig hat Saur auch für die Landes-Grünen. Diese lehnten das neunjährige Gymnasium nur ab, um die von ihnen protegierten Gemeinschaftsschulen (GMS) zu schützen. Das Argument, auf eben jenen Schulen könne man ja auch Abitur in neun Jahren machen, sei obsolet: "Zwei oder drei GMS im Land können tatsächlich eine Oberstufe einrichten", berichtet Saur. Bei den anderen seien die nötigen Anmeldezahlen nicht zustande kommen. "Viele haben einfach kein gymnasiales Niveau", so Saur. Auch für Marcus Hohenstein aus Hessen, wo gerade ein Volksbegehren für G 9 läuft, spielen die Grünen in Baden-Württemberg ein falsches Spiel: "Sie wollen die gewünschte Schulform stärken - und das auf dem Rücken der Kinder."
Gerade für die, die mit dem achtjährigen Gymnasium nicht zurecht kämen, sei das System unfair. Saur nennt ein Beispiel: "Ab der siebten Klasse wird Englisch nur noch dreistündig unterrichtet. Für die Schwachen ist das ein Problem, für die Starken nicht." Saur fragt: "Und das ist dann Sozialpolitik?" Vor diesem Hintergrund sei das Ziel des Philologenverbandes - die Vertretung von 22.000 Lehrern im Land - ein "Mehrwert-Gymnasium". Man wolle nicht einfach die Stundenzahl des acht- auf das neunjährige Gymnasium verteilen, sondern Platz schaffen im Lehrplan: für das Zeitgeschehen, für Literatur - und auch für mehr Allgemeinbildung.