Barbara Casadei, Präsidentin der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie übergab Hugo Katus in Paris die Goldmedaille. Foto: Universitätsklinikum
Von Holger Buchwald
Heidelberg. Die Entwicklung eines Bluttests kann eine Erfolgsgeschichte sein - auch am Universitätsklinikum Heidelberg. Wie das geht, zeigt das Beispiel von Prof. Hugo Katus. Der Ärztliche Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie erhielt gerade eine der höchsten Auszeichnungen, die ein Kardiologe in seiner Fachrichtung bekommen kann: Die Goldmedaille der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC).
Die Präsidentin des ESC, Prof. Barbara Casadei, verlieh ihm die Medaille innerhalb des gemeinsamen Kongresses mit der World Heart Federation in Paris vor mehr als 32.000 Besuchern. Nach seiner Rückkehr in Heidelberg sprach Katus mit der RNZ:
Können Sie in zwei Sätzen die Funktion ihres Bluttests erklären?
In zwei wird es schwierig, ich versuche es in drei. Wir haben ein Eiweiß, Troponin T, entdeckt, das bei gesunden Menschen nur in Herzmuskelzellen vorkommt. Wenn es in die Blutbahn gelangt ist, muss beim Patienten eine Schädigung des Herzens vorliegen. Und wir haben in Zusammenarbeit mit der Firma Boehringer, heute Roche, ein sehr empfindliches Messsystem entwickelt, mit dem man auch kleinste Spuren von Troponin T im Blut nachweisen kann.
Wieso gelangt dieses Eiweiß überhaupt ins Blut?
Troponin T ist für die Entwicklung der Herzkraft entscheidend. Und es sitzt in der Herzmuskelzelle. Bei einer Durchblutungsstörung oder einer extremen Belastung kann die Zellmembran undicht werden und so gelangt das Protein ins Blut. Unser Test ist so empfindlich, dass er ein Nanogramm Troponin in einem Liter Blut nachweisen kann.
Was bedeutet das für die Medizin?
Es ist ein enormer Fortschritt, weil wir mit diesem Bluttest nicht nur Herzinfarkte nachweisen können, sondern jede andere Form der Schädigung des Herzmuskels. Wenn das Eiweiß in ganz geringer Konzentration im Blut von vermeintlich gesunden Patienten nachgewiesen werden kann, liegt ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko vor. Es ist ein Anzeichen für Umbauprozesse im Herzen. Das haben alle Daten bestätigt.
Können Sie an den Ergebnissen des Bluttests ablesen, ob der Patient einen Herzinfarkt erlitten hat oder ob er unter einer Herzmuskelentzündung leidet?
Nein. Wir können nur Troponin T im Blut nachweisen und damit zeigen, dass das Herz schwer geschädigt ist. Alles Weitere muss mit weiteren Untersuchungsmethoden wie EKG, Herzkatheter oder Kernspintomografie abgeklärt werden. Eines lässt sich aber sagen: Mit diesem Bluttest können wir heute 30 Prozent mehr Patienten mit Herzinfarkt diagnostizieren, die uns sonst entgangen wären, weil ihr EKG unauffällig ist. Sie können sofort behandelt werden, alleine in den USA rettet das 60.000 Menschenleben pro Jahr. Der Test hat die Herzmedizin grundlegend verändert.
Wie oft wird er angewandt?
Das lässt sich schwer sagen. Aber in den USA und Europa zusammen kommen 20 Millionen pro Jahr mit undefinierbaren Brustschmerzen ins Krankenhaus. Dort kommt der Test in der Regel zur Anwendung. Was wir auch wissen: Liegt bei zweimaliger Messung im Abstand von ein bis drei Stunden kein erhöhtes Troponin im Blut vor, ist ein Infarkt ausgeschlossen.
Laut Mitteilung des Uniklinikums haben sie jahrzehntelang an dem Test geforscht. Warum so lange?
Wenn man eine Idee hat, ist man noch lange nicht am Ziel. 1979 haben wir damit angefangen, einen Test für ein anderes Eiweiß zu entwickeln. Doch dies führte zunächst nicht zum Erfolg, weil dieses Protein auch in anderen Muskelzellen vorkam. 1986 haben wir mit Troponin weitergemacht, 1989 war der Test entwickelt. Er musste viele klinische Studien durchlaufen, Ärzte mussten überzeugt werden. Diese Translation in die klinische Anwendung hat bis ins Jahr 2000 gedauert. Erst dann wurde er in den ärztlichen Leitlinien als Standard festgeschrieben und war ein Schwerpunkt der Herzinfarktdiagnostik. In der aktuellen Forschung geht es darum, dass der Marker Troponin nicht nur einen Infarkt anzeigt, sondern jede Form der Herzschädigung. Wie man daraus Therapien entwickelt, darum wird es die nächsten zehn, 15, vielleicht 20 Jahre gehen.
Ist das die Geduld, die den Erfindern des Brustkrebs-Bluttests gefehlt hat?
Dazu möchte ich mich nicht äußern. Nur so viel: So einen Test zu entwickeln ist nicht so einfach. Viele Fragen müssen geklärt werden: Wie gut bindet der Test das Eiweiß, wenn die Blutprobe etwas länger steht? Wie präzise ist er? Das ist schon eine Kunst. Alleine haben wir uns das nicht zugetraut, deshalb haben wir frühzeitig eine Kooperation mit Boehringer vereinbart und profitieren von deren Expertenteam. Boehringer und jetzt Roche vermarkten auch den Test. Sie haben Geräte in der ganzen Welt stehen. Die Zusammenarbeit mit einem industriellen Partner war für uns ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg.