"Fridays for Future" in Heidelberg

"Wir wollen nicht wie Greta sein - wir wollen Klimaschutz!"

Jung, weiblich und engagiert: Line Niedeggen und Franca Leutloff sind die Gesichter von "Fridays for Future" in Heidelberg - Nächste Demonstration am Freitag

07.02.2020 UPDATE: 09.02.2020 06:00 Uhr 4 Minuten, 39 Sekunden
Vor einem Jahr lebten Line Niedeggen (l.) und Franca Leutloff gar nicht in Heidelberg. Heute sind sie zwei der wichtigsten Köpfe hinter der hiesigen „Fridays for Future“-Gruppe. Foto: Rothe

Von Denis Schnur

Heidelberg. Als vor einem Jahr die Klimaschutz-Bewegung "Fridays for Future" (FFF) in Heidelberg Fahrt aufnahm, lebten weder Line Niedeggen noch Franca Leutloff in der Stadt. Zwölf Monate später sind die beiden die bekanntesten Gesichter der Klimastreiker: Vor allem Niedeggen führt mit dem Megafon die Demozüge durch die Stadt, spricht regelmäßig vor tausenden Menschen. Dass die beiden so schnell zu Aushängeschildern wurden, ist alles andere als Zufall: Zum einen ist das typisch für die noch jungen und zum Großteil unstrukturierten "Fridays". Zum anderen sind die beiden typisch für die Aktivisten. Sie sind jung, schon lange in Sachen Umwelt engagiert – und sie sind weiblich.

Darüber hinaus wirken die beiden recht unterschiedlich: Line Niedeggen, 23 Jahre, kurz geschorene Haare und Jeansjacke, wuchs zwischen Köln und Bonn auf. Sie übersprang eine Schulklasse, machte mit 17 Abi und mit 20 ihren Bachelor in Physik. "Ich hätte mit 22 meinen Master haben können." Stattdessen entschied sie sich für eine Pause, reiste, jobbte – und engagierte sich: "Ich war bei Greenpeace aktiv und verbrachte viel Zeit im Hambacher Forst." Da sie ihren Master unbedingt in Umweltphysik machen wollte, kam sie im April 2019 nach Heidelberg.

Für Franca Leutloff, 19 Jahre, langer grauer Mantel und lange blonde Haare, war der Weg hierher kürzer. Sie wuchs in Tübingen auf – einer "grünen Oase", wie sie selbst sagt. Und einer Stadt, die Heidelberg sehr ähnlich sei. Die Umwelt habe sie schon früh beschäftigt: "Da hat mich mein Vater stark geprägt." Schon mit acht Jahren hatte sie beschlossen, kein Fleisch mehr zu essen. Nach dem Abi legte sie eine Pause ein, machte Praktika, half Geflüchteten auf der Balkanroute. Erst dann stand für sie fest, dass sie Jura studieren – und von zuhause wegziehen wollte. Also landete auch sie im Oktober 2019 in Heidelberg.

Fridays for Future war da schon längst zur großen Bewegung geworden. Und auch Leutloff und Niedeggen waren schon vor ihrer Ankunft in Heidelberg dort aktiv. In ihren Heimatstädten gingen beide am 15. März 2019 zum ersten Mal bei einer Demo mit – und fingen Feuer: "Ich war begeistert, wie viele Menschen sich da engagieren", erinnert sich Leutloff. Für sie war klar: "Ich will mehr machen, als nur auf die Demos zu gehen." Wenige Wochen später gehörte sie zum Tübinger Orga-Team.

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Niedeggen stand da schon kurz vor ihrem Umzug nach Heidelberg, wo sie wenig später zum ersten Treffen der Fridays ging. "Da wurde die Bewegung hier vor allem von Schülerinnen und Schülern organisiert", erzählt sie. "Da ich eine der Wenigen über 18 war, bin ich schnell in Verantwortlichkeiten gerutscht." Aus dem Neuankömmling wurde das wohl bekannteste Gesicht der Heidelberger "Fridays". Niedeggen meldet danach fast alle Demos an, stellt sich Interviews, verhandelt mit Polizei und Stadt. "Wir haben keine festen Strukturen", erklärt sie, deshalb könne man sich so schnell einbringen. Tatsächlich sind es vor allem Schülerinnen und Studentinnen, die in Deutschland rekordverdächtig viele Menschen auf die Straßen gebracht haben – in ihrer Freizeit.

Das dürfte auch ein Grund dafür sein, warum nicht nur in Heidelberg die bekanntesten Gesichter der Bewegung weiblich sind. Mit Greta Thunberg und Luise Neubauer ist das auch welt- und deutschlandweit so. "Bei FFF wurde von Anfang an auf Geschlechtergerechtigkeit geachtet", betont Niedeggen. Zudem zeigten weibliche Vorbilder Wirkung: "Wenn man Frauen ermächtigt, inspiriert das auch andere." Dabei habe Thunberg für sie aber keine große Rolle gespielt: "Sie war natürlich Ausgangspunkt, aber für uns als Bewegung hat sie viel weniger Bedeutung als für die Öffentlichkeit", so Leutloff. "Wir wollen nicht sein wie Greta – wir wollen Klimaschutz", ergänzt Niedeggen.

Während der hohe Frauenanteil in Heidelberg typisch für die Bewegung ist, sticht die hiesige Ortsgruppe beim Alter der Aktiven etwas heraus: Hier sind es vor allem Studierende – wie Niedeggen und Leutloff –, die sich im Orga-Team engagieren. Gut 20 Menschen bilden dort den harten Kern. Schülerinnen und Schüler sieht man dort mittlerweile seltener: "Wir können uns die Zeit besser einteilen und notfalls langsamer studieren", erklärt Leutloff das Phänomen. "Außerdem studieren viele von denen, die die Bewegung gestartet haben mittlerweile", fügt Niedeggen hinzu. Die Schüler kämen ja weiterhin zu den Streiks, nur werde die Organisation meist von Studierenden übernommen. Und die hat es zum Teil in sich: "30 Stunden die Woche investiere ich in Fridays for Future", erklärt Niedeggen, vor Demos eher zwölf Stunden am Tag. "Aber das ist nicht repräsentativ und sollte auch nicht dauerhaft so sein", betont sie.

Ihr Engagement hat den Klima-Kämpferinnen viel Respekt eingebracht, ihnen selbst auch viel gegeben, lässt sie aber auch immer wieder verzweifeln. An keinem Tag wurde das so deutlich wie am 20. September 2019. Damals fanden die größten Klimaproteste der Geschichte statt, in Heidelberg mit 10.000 Teilnehmern die größte Demo aller Zeiten. "Wir hatten das Gefühl, es passiert richtig was", erinnert sich Niedeggen, die vor der riesigen Menge sprach. Doch als später die Pläne für das Klimapaket der Bundesregierung öffentlich wurden, machte sich Frustration breit: "Das war ein historischer Tag", findet Leutloff. "Einerseits hat man die unglaubliche Kraft der Bewegung gesehen – und andererseits die unglaubliche Langsamkeit der Politik."

Deshalb ziehen die Frauen knapp ein Jahr nach den ersten großen FFF-Demos in Deutschland eine gemischte Bilanz: "Ohne FFF gäbe es überhaupt kein Klimapaket", so Niedeggen. Aber das reiche natürlich noch lange nicht: "Das ist, als würden wir ein Buschfeuer bekämpfen und hätten einen Eimer mehr zum Löschen. Das macht nicht den Unterschied." Und Leutloff fügt hinzu: "Wir bräuchten ein Feuerwehr-Auto." Auf der anderen Seite habe man natürlich zum gesellschaftlichen Wandel beigetragen: "Und das lässt sich auch nicht zurückdrehen", ist Niedeggen überzeugt.

Und auch wenn die Politik schwerfällig sei, merke man den Wandel im Kleinen immer wieder: "Meine Mutter und Schwester fahren jetzt mit dem Zug nach London", erklärt Leutloff, "obwohl das Flugzeug billiger wäre". Und auch die beiden versuchen ihren Alltag klimafreundlich zu gestalten. "Ich war schon vorher Veganerin, achte jetzt aber auch sonst mehr darauf", betont Niedeggen. Beide sind aber auch sicher, dass verändertes Konsumverhalten nicht die Welt retten wird: "Die Stellschrauben, an denen wir drehen müssen, sind größer", sagt Leutloff. "Die Voraussetzungen für ein klimaneutrales Leben müssen von der Politik geschaffen werden."

Sollte das bald passieren, sind die Aktivistinnen optimistisch, dass die Erderwärmung zumindest noch begrenzt werden kann: "Aber wir müssen so oder so mit den Konsequenzen leben – auch jetzt schon. Es sterben ja bereits Menschen durch den Klimawandel", betont Niedeggen. "Wir müssen uns klarmachen, dass selbst das Best-Case-Szenario schlechter ist als der Status quo", mahnt auch Leutloff. Trotzdem wollen die beiden auch mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Schließlich könne man jetzt die Weichen für eine bessere Welt stellen: "Klimaschutz verändert ja auch viele Dinge zum Guten", sagt Niedeggen. Der Übergang sei aufwendig, so Leutloff, "aber es ist doch gut, wenn keine Dörfer mehr abgegraben werden für den Kohleabbau. Es ist gut, wenn in der Stadt weniger Autos fahren. Es ist gut, wenn Busse und Bahnen günstiger und zuverlässiger werden. Und es ist gut, wenn Luft und Meere sauber sind."

Info: Am Freitag, 14. Februar, ruft Fridays for Future zur nächsten Demonstration unter dem Motto "Make Love not Cement" auf. Los geht es um 11 Uhr im Park neben der Stadtbücherei. Einen Blick in die Vorbereitungen bekommen Sie, wenn Sie @rnzonline auf Instagram folgen. Hier übernimmt "Fridays for Future" von 12. bis 14. Februar den Account der Rhein-Neckar-Zeitung.

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