Sie habe „gelitten wie ein Hund“, sagt die ehemalige Leiterin des Uniklinikums, Annette Grüters-Kieslich. Archivfoto: Rothe
Von Klaus Welzel
Heidelberg. Die frühere Vorstandsvorsitzende am Heidelberger Universitätsklinikum, Prof. Annette Grüters-Kieslich, macht in einem ausführlichen Interview die Strukturen am hiesigen Klinikum für das kollektive Versagen im Umgang mit dem Bluttest-Skandal verantwortlich. Gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte die zum 31. Oktober ausgeschiedene Leitende Ärztliche Direktorin, sie sei im Vorfeld der völlig übertriebenen PR-Kampagne "systematisch von Informationen abgeschnitten" worden und hätte deshalb kaum korrigierend eingreifen können.
Kein Zweifel: Das Heidelberger Universitätsklinikum ist ein exzellenter Forschungsstandort – und wirtschaftlich ein Schwergewicht. Mit 13.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 1,3 Milliarden Euro erreicht es die Dimensionen eines Unternehmens im MDax. Darauf verweisen die Kollegen von der Wochenzeitung "Die Zeit" im Interview mit Prof. Annette Grüters-Kieslich.
Doch was antwortet die ehemalige Vorstandsvorsitzende des Klinikums? "Der Titel stand auf meiner Visitenkarte." Macht, Durchgriffsrechte, ein großer Mitarbeiterstab? Habe sie nie gehabt. Nur eine Sekretärin. Alle Vorstöße, zum Beispiel eine Stabsstelle für Digitalisierung zu schaffen oder ein Gremium, das Zukunftsvisionen für das Klinikum entwirft, seien ihr verwehrt worden.
Von wem? Das sagt Grüters-Kieslich in dem ganzseitigen Interview, das am gestrigen Donnerstag erschien, nicht. Ihr geht es darum, darzulegen, dass sie im Skandal um den Heidelberger Bluttest zur Brustkrebserkennung selbst eine Getriebene gewesen sei. Wie schon so oft zuvor betont sie, dass sie habe durchgreifen wollen, ihr dazu aber die Machtfülle gefehlt habe. So sei das Wort "Meilenstein" (in der Krebsforschung) gegen ihren Willen in die Pressemitteilung vom 21. Februar 2019 geschrieben worden. An diesem Tag posaunten Uniklinikum und die Vermarkterfirma Heiscreen den unfertigen Bluttest als großen wissenschaftlichen Erfolg hinaus, versprachen "Marktreife noch in diesem Jahr", für einen Test, der mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Tumore feststelle, bevor diese in der Mammografie sichtbar würden.
Humbug, wie man heute weiß. Und Grüters-Kieslich war es, die zumindest die Pressemitteilung, die Verkündung via "Bild" ("Weltsensation") und auch den vorbestraften Investor Harder samt Beratern mittrug. In der "Zeit" sagt sie nun in puncto Bluttest: "Für die inhaltliche Qualität war ich nicht zuständig." Und das, obwohl sie genau darauf von einer Forscherin angesprochen wurde – kurz vor knapp. Vergebens.
In dem "Zeit"-Interview finden sich zudem einige Seitenhiebe gegen Heidelberg, wo "mächtige Klinikchefs" nichts von strukturellen Neuerungen hätten wissen wollen. Und wo man ihr signalisiert habe: "Wir sind eines der besten Häuser Deutschlands, das brauchen wir nicht." Aber auch die Universitätsmedizin an sich, wo "man unendlich viel arbeiten und oft sehr lange buckeln" müsse, "um nach oben zu kommen", gerät ins Visier. Alles verkrustet.
Viele der Vorwürfe hatte Grüters-Kieslich bereits im Rahmen der Aufklärung des Bluttest-Skandals vorgetragen – auch die mangelnde personelle Ausstattung. Im Wissenschaftsministerium hieß es dazu: Hätte sie die Stellen nur beantragt. Habe sie aber nicht.
Gegen Ende des Interviews bekennt Grüters-Kieslich: "Es gab in den vergangenen Monaten Zeiten, da habe ich gelitten wie ein Hund." Doch genau das sei ihr als "inadäquate Reaktion" vorgehalten worden. Für die ehemalige Leitende Ärztliche Direktorin "ein vollkommen antiquiertes Führungsverständnis". Harter Tobak. Tritt hier jemand nach?
Und kommt jetzt die Revanche aus Stuttgart? Vor ihrem vorzeitigen Abschied zum 31. Oktober unterschrieb Grüters-Kieslich einen Auflösungsvertrag, der eine hohe Abfindung vorsieht. Normalerweise verpflichten sich dann die Parteien zum Stillschweigen. Ansonsten schmilzt die Abfindung. Je nach Vertragsausgestaltung kann sie auch ganz entfallen.