Im voll besetzten Alten Saal des Stadttheaters befragte RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel (auf dem Podium links) am Montagabend Jobst Wellensiek - wohl einer der bundesweit bekanntesten Heidelberger. Foto: Philipp Rothe
Von Micha Hörnle
Angenommen, man bräuchte mal einen geborenen Erzähler, der nonchalant aus seinem Leben plaudert und dabei auch noch herrlich selbstironisch ist, sollte man Jobst Wellensiek fragen. Und wenn das nicht klappt, gibt es noch eine andere Möglichkeit - sofern man pleite ist. Denn dann erlebt man Deutschlands bekanntesten Insolvenzverwalter Wellensiek - situationsbedingt - hautnah. Oder man hatte schlicht das Glück, am Montagabend beim RNZ-Forum im Alten Theatersaal zu sein: RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel musste nur ein Stichwort geben, und schon sprudelte es aus Wellensiek, der am Samstag 85 Jahre alt geworden ist, heraus: Wie seine Familie mit dem westfälischen Namen in die Gegend kam - sein früh verstorbener Vater war eine Größe im Tabakanbau. Wie er Jurist wurde - sein Stiefvater Eugen Moufang war auch einer, und er wollte nicht aufmucken. Und wieso aus dem begeisterten Sportler kein Profi wurde - er war schlicht nicht gut genug.
Wellensiek nimmt sich in diesen 90 Minuten im Theater wahrlich nicht allzu wichtig, wohl auch weil ihn seine Familie und seine vielen Heidelberger Freunde - heute nennt man das wohl "Netzwerk" - hinreichend geerdet haben. Auf Welzels fordernde Fragen antwortet er mit seinem Lieblingswitz und einer Kette sehr amüsanter Anekdoten ("Da muss ich eine kleine Story draus machen").
Zum Beispiel jener, wieso er sich vor über 50 Jahren dem juristisch damals eher unbedeutenden Insolvenzrecht zuwandte: Die Kanzlei seines Stiefvaters war renommiert, befand sich aber in den frühen sechziger Jahren "im Sinkflug": Man hatte wohl vornehme Klienten, aber die starben langsam alle weg. Und die katholische Kirche fiel als Klient aus: "Ich als Lutheraner bekam keine Aufträge von ihr." So kam er in wirtschaftlich schwieriger Lage 1964 an seinen ersten Fall: "Es war ein Konkursverfahren gegen einen Trompeter, der nebenbei einen Haushaltswarenhandel hatte - und dabei Umsatz mit Gewinn verwechselte. Kommt ja heute immer noch vor." Er hatte damals von dieser Materie keine Ahnung und kniete sich umso tiefer rein.
Bis heute hat er über 900 Insolvenzverfahren hinter sich gebracht, die meisten mit halbwegs glücklichem Ausgang. Sein Rezept nahm später auch der Gesetzgeber auf: Eine Insolvenz soll nicht zur Liquidation des Betriebes führen, sondern ist "die letzte Chance zur Sanierung". Klingt einfacher, als es ist. Irgendwann kam er als Mann der Praxis ("Ich bin nicht so der Schreibtischtäter") auf den Trichter, dass man die unrettbaren Betriebsteile schließen und für die gesunden eine neue Firma mit neuer Leitung ("meistens aus der zweiten Führungsgarnitur, die kamen vorher nie zum Zug") gründen muss.
Aber fast alles steht und fällt mit dem Vertrauen. Und für so etwas war er offenbar der richtige Mann: "Die Leute merken, dass da einer auf Augenhöhe mit ihnen spricht - dafür habe ich wohl ein bisschen Talent." Das galt vor allem für die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer, die ihn oft inständig darum baten, sich der maladen Firma anzunehmen. Zu Wellensieks Fingerspitzengefühl gehörte, dass er "nie ins Vorstandszimmer, sondern immer in ein kleineres" gezogen ist und "nie mit einem Protzauto vorgefahren" ist. Und wie kommt man zu eigenem Wohlstand, wenn man doch marode Unternehmen rettet? Die Antwort liegt in den Vergütungsbestimmungen: Ein Insolvenzverwalter hat Anrecht auf einen bestimmten Teil des verwertbaren Firmenvermögens. Und natürlich halfen ihm auch die "dicken Fische" wie die Maxhütte (ab 1987), ein Stahlwerk in der Oberpfalz, oder die Bremer Vulkan-Werft (ab 1996): "Von kleinen und mittleren Verfahren kann man nicht leben, man verdient bei den großen."
Und natürlich gibt es da auch den Sportler und Sportfreund Wellensiek. Vor allem kennt man ihn vom Tennis. In seinem Verein, dem HTC, spielten Steffi Graf - er holte sie als Zwölfjährige aus einem Mannheimer Club - oder Anke Huber. Doch wer hätte das gedacht: Seine wahre Liebe gilt dem Fußball. Einmal rastete er zum ersten und letzten Mal im Büro völlig aus, als ihm seine Sekretärin berichtete, das "Aktuelle Sportstudio" hätte ihn zum Torwandschießen eingeladen, sie hätte aber abgesagt: "Und das bei meinem absoluten Wunschtraum!" Er beruhigte sich erst wieder, als sie ihn sanft aufs Datum hinwies: Es war der 1. April.
Und wie geht es ihm heute? Seine vor eineinhalb Jahren verstorbene Frau Annelie sagte einmal zu ihm: "Wenn Du jammerst, versündigst Du Dich!" Also geht es ihm gut. Und so rief ihm Klaus Welzel zu: "Dann freuen wir uns also auf das nächste RNZ-Forum zum 90. Geburtstag." Darauf Wellensiek trocken: "Dann werden wir aber in den ,Engel’ gehen!"