Von Stefan Meyer
Wer auch immer am Freitagabend zum Vortrag von Sérgio Moro gekommen sein sollte, ohne dessen politische Brisanz zu kennen, war informiert, noch bevor der brasilianische Bundesrichter auch nur ein Wort gesagt hatte. Schon in der Eingangshalle der Neuen Universität hatten Demonstranten Plakate ausgebreitet, die Moro unterschiedlichster Verbrechen bezichtigten. Der Eröffnungsapplaus mutierte zu einer minutenlangen Abfolge aus Jubel und Buh-Rufen, mit der Unterstützer wie Kritiker den 44-Jährigen Willkommen hießen.
Dabei hatten politische oder emotionale Gründe am wenigsten damit zu tun, dass Moro nach Deutschland kam. Die Heidelberger Soziologen veranstalteten am Wochenende eine Tagung zu Korruptionsforschung und Wirtschaftskriminalität und hatten den Richter als Experten eingeladen. Mit der "Operation Autowäsche" leitet der 44-Jährige in Brasilien eine aufsehenerregende Untersuchung und konnte aus erster Hand über den Kampf gegen Korruption sowie den Bestechungsskandal rund um den Ölkonzern Petrobras berichten. Nun ist es allerdings auch nicht Moros Fachkompetenz, gegen die sich der Zorn seiner Kritiker richtet, sondern sein Amtsverständnis. 27 Professoren hatten ihm in einem offenen Brief für das "politische Klima des Faschismus und der politischen Intoleranz" verantwortlich gemacht und ihn des Rechtsbruchs sowie parteipolitischer Voreingenommenheit bezichtigt. Dem gegenüber steht eine Vielzahl Brasilianer, die Moro für einen Helden halten und seine Untersuchung unterstützen - "der Großteil der öffentlichen Meinung", wie Moro selbst glaubt.
So brisant die Rahmenbedingungen auch waren, so unspektakulär war der eigentliche Vortrag. Moro berichtete von den Ermittlungen - und war auf alle Vorwürfe vorbereitet. Warum die Ergebnisse so schnell an die Medien weitergegeben werden? "Seit Beginn der Untersuchung war es unsere Entscheidung, nichts geheim zu halten. Es ist seltsam, dass man das in einer Demokratie kritisiert." Ob sein Verfahren politisch motiviert ist? "Es ist keine Hexenjagd. Insofern Beweise vorliegen, werden Politiker nicht wegen ihrer Meinung, sondern wegen Geldwäsche und Bestechung angeklagt." Warum nur gegen linke Politiker ermittelt wurde? "Petrobras hatte keinen Grund, an die oppositionelle Partei zu zahlen." Und was sagt er zu dem Foto, das Moro scherzend mit dem konservativen Politiker Aécio Neves zeigt, gegen den die brasilianische Justiz wegen des Verdachts der Korruption ermittelt? "Es war eine öffentliche Veranstaltung. Und an meinem Gericht läuft keine Untersuchung gegen den Senator", rechtfertigte er sich.
Wenn etwas von Sérgio Moros Besuch in Heidelberg in Erinnerung bleiben wird, dann also nicht der eigentliche Vortrag, sondern vielmehr das ungewöhnliche Auditorium. Mindestens ein Drittel des Publikums bestand aus Brasilianern, die teilweise aus Österreich und der Schweiz angereist waren. Und auch wenn die Fragerunde in erster Linie genutzt wurde, um der eigenen Abscheu oder Verehrung Ausdruck zu verleihen, ging es den Abend über friedlich und gesittet zu.
Die Veranstalter jedenfalls zogen ein zufriedenes Fazit. Für die Teilnehmer der Konferenz seien sowohl der Vortrag als auch die Diskussion am Folgetag wichtig gewesen, so Soziologie-Professor Markus Pohlmann. Zumal Universitäten hervorragende Orte seien, um auch kritische Sachverhalte friedlich miteinander zu diskutieren. "Insofern war es wissenschaftlich, wie auch von demokratischer Seite, ein gelungenes Ereignis."