Hans Jörg Staehle. Foto: Hentschel
Heidelberg. (dns) 30 Jahre nach der Deutschen Einheit hat Heidelbergs ostdeutsche Partnerstadt Bautzen keinen guten Ruf. Wer selbst noch nicht dort war, kennt die sächsische Stadt entweder als Ursprungsort des Bautzener Senfs – oder eben als Hochburg von AfD und Neonazis. "Dabei ist Bautzen eine der schönsten Städte Deutschlands", betont der Heidelberger Hans Jörg Staehle. Und er muss es wissen. Denn Staehle ist nicht nur mit einer ehemaligen Bautzenerin (und DDR-Flüchtigen) verheiratet. Der Professor für Zahnmedizin hat auch ein Sachbuch über Bautzen geschrieben.
Doch während der Autor im Gespräch mit der RNZ immer wieder die Schönheit der mittelalterlichen Stadt betont, zeigt das Cover von "Bautzen – Glanz und Tragik einer ostdeutschen Stadt" auch die unschönen Seiten – etwa eine Hauswand, auf die "in die Fresse treten" gesprüht wurde. "Ich denke, die wunderschöne Partnerstadt Heidelbergs kann es gut verkraften, wenn man einmal auch einen etwas anderen Eindruck von ihr vermittelt", ist Staehle überzeugt.
Entsprechend findet sich in dem 256-Seiten-Werk zwar ein durchaus ernsthafter Textteil über Geschichte und Gegenwart der Stadt – inklusive kritischer Betrachtungen. Die erste Hälfte des Buches besteht jedoch vor allem aus Fotos, die Staehle bei seinen Besuchen aufgenommen hat und die in der Regel nicht die Schokoladenseite Bautzens zeigen – und die der Zahnarzt auch gerne mal höhnisch kommentiert. Man sieht etwa das "Heidelberghaus", das 1990 mithilfe der westdeutschen Partnerstadt saniert wurde – und darunter steht: "Gut gemeint, aber doch ein bisschen grau geraten." 60 Seiten weiter sieht man eine Bank mit Erbrochenem davor, daneben zahlreiche an Wände geklebte und gesprühte Parolen von Rechten und Linken.
Ein ähnlich provokantes Buch hatte der Heidelberger Zahnmediziner im Jahr 2018 schon über Pirmasens geschrieben – und dort für mächtig Aufsehen gesorgt. Der Bürgermeister der pfälzischen Stadt hatte sich so sehr über Staehle geärgert, dass er ihm eine Lesung auf der öffentlichen Toilette nahegelegt hatte. In Heidelbergs ostdeutscher Partnerstadt fielen die Reaktionen dagegen besser aus: "Pirmasens ist ja wirklich eine gestrafte Stadt. Da liegen vielleicht die Nerven blanker", vermutet der Autor. Bautzen als eine der schönsten Städte Deutschlands könne dagegen besser mit etwas Spott umgehen.
Außerdem verweist Staehle nicht ohne Stolz auf seinen ausgiebigen Textteil, der Bautzen auch immer wieder würdigt: "Ich beleuchte an vielen Beispielen, wie die langen Schatten der Vergangenheit auf die Gegenwart ausstrahlen und arbeite dabei heraus, dass Bautzen glücklicherweise wesentlich mehr und vor allem besseres zu bieten hat als brutale Schläger."
Dabei merkt man auch, dass der Heidelberger die Stadt und ihre jüngere Geschichte hautnah selbst erlebt hat. In den 70er Jahren lernte er seine heutige Frau kennen, die selbst aus Bautzen stammte und kurz vor dem Mauerbau aus der DDR geflohen ist. Einige Jahre später besuchte das Paar ihre Heimatstadt mit einem Touristenvisum. Für Staehle, der damals in Freiburg lebte, eine unwirkliche Erfahrung: "Die Stadt war tagsüber und nachts noch schlimmer." Denn während Westdeutschland damals boomte, wurde im Osten vieles dem Verfall überlassen – freilich ohne, dass die Einwohner etwas dafür konnten. "Deswegen finde ich auch nicht gut, wie die Westdeutschen schon damals auf die Ostdeutschen herabschauten – und es noch immer tun."
Info: Hans Jörg Staehle: "Bautzen – Glanz und Tragik einer ostdeutschen Stadt". Verlag Regionalkultur, 24,80 Euro.