Von Martina Birkelbach
Eberbach. Wenn Timo Lind im Einsatz ist, kann es um Leben und Tod gehen. Die Umgebung eines Einsatzorts nimmt er immer mit auf: "Wie ist die Situation, die Stimmung? Das sagt schon viel darüber aus, wie es dem Patienten geht. Wenn Aufregung und Hektik ist, muss ich davon ausgehen, dass es brenzlig sein kann." Timo Lind ist Notfallsanitäter beim DRK Heidelberg und Standortleiter in Eberbach. Seit 1995 ist er hauptberuflich im Einsatz. In Eberbach und den umliegenden Gemeinden ist er mit seinen zwölf Kollegen mal mit, mal ohne Notarzt unterwegs. Je nachdem, um was für einen Notfall es sich handelt.
"Die meisten Leute verhalten sich in und rund um Eberbach gegenüber uns DRK’lern respektvoll", sagt er und spricht damit auch für seine Kollegen, die er alle einzeln zum Thema "Respekt" befragt hat. "Gemecker und Schimpfwörter" allerdings gibt es immer mal wieder, ebenso kommt es vor, dass Einsatzfahrzeuge blockiert werden. Zeit zum Diskutieren hat der 46-Jährige nicht, "auf Schimpfwörter reagiere ich einfach nicht, da stehe ich drüber". Das ist aber auch auf seine 25-jährige berufliche Erfahrung zurückzuführen.
Respekt bedeutet für Lind: "Eine höfliche Umgangsform, Empathie, unterhalten auf Augenhöhe, zuvorkommend und hilfsbereit sein". Ein respektvolles Verhalten sollte für ihn ganz klar "im Kindesalter" beginnen. Die Verantwortung für ein respektvolles Verhalten sieht er ebenso ganz klar bei den Eltern. "Die Eltern sollten Respekt vorleben. Das ist jetzt ein Trend, dass alles auf Erzieher, Lehrer oder Vereine abgeschoben wird. Was aber bei den Eltern versäumt wird, kann später kaum ein anderer mehr richten."
"Wenn jemand respektlos behandelt wird, sollte man eingreifen. Sich selbst verbal äußern und die Person unterstützen oder Hilfe rufen – in schlimmeren Fällen die Polizei informieren", sagt Lind.
In seinen früheren Zeiten als Notfallsanitäter in Heidelberg, Bammental oder Freiburg gab es schon öfter respektloses Verhalten. Einmal hat auch jemand gemeckert, weil das Einsatzfahrzeug mitten auf der Straße stand. "Da hatten wir keine Zeit einen Parkplatz zu suchen", sagt Lind mit leicht ironischem Unterton.
Es kam auch vor, dass das Einsatzfahrzeug zugeparkt war. Kurz und bündig hat er dann einem etwas bockigem Autofahrer die Situation erklärt: "Wegfahren oder wir rufen die Polizei". Der Autofahrer "hat dann recht schnell kapiert, dass ich das, was ich sage, nicht aus Spaß sage, sondern auch durchziehe – er hat sein Auto weggefahren." Für Lind kommt es dabei auch immer auf "den Ton und die Gestik" an. Auf Schimpfwörter reagiert er überhaupt nicht, denn "eine Reaktion darauf würde wieder zu einer Gegenreaktion führen". Er ist überzeugt, dass man sich immer die Frage stellen muss, "was gewinne ich, wenn ich mich auf Schimpfwörter oder Beleidigungen einlasse?". Bevor also Situationen eskalieren und vielleicht keine Zeit mehr bleibt, den Patienten zu versorgen, lässt sich Lind erst gar nicht "reizen".
Oft spielt auch Alkohol eine Rolle bei seinen Einsätzen. Einer Gruppe in gereizter Stimmung Feiernder in der Au musste er kürzlich ganz klar, um einer völlig betrunkenen Person zu helfen, erklären: "Halt. Stop. Ruhig verhalten. Ich bin hier, um zu helfen; sonst kann ich das nicht." Laut Lind verstehen solche Ansagen 98 Prozent, die restlichen zwei Prozent lässt er nicht an sich ran.
Wenn mal, etwa bei einer Schlägerei, eine sehr gereizte Stimmung herrscht, "nehmen wir auch den Patienten aus der Situation raus." Er erklärt: "Patient rein in den Rettungswagen, einmal um die Ecke fahren, und weiter behandeln." Nach über 25 Jahren Erfahrung weiß Lind, ob sofortige Maßnahmen erforderlich sind, oder ob ein Entfernen aus der Situation noch möglich ist. Die Schuldfrage bei Schlägereien interessiert Lind nie: "Ich bin eine neutrale Person. Mich interessiert nur der Patient, und dass es ihm besser geht."
Bei Alkoholisierten, die meckern oder sich nicht behandeln lassen wollen, kommt es auch vor, dass der Notfallsanitäter "auf Augenhöhe geht". "Ich halte ihnen dann sozusagen einen Spiegel vor und erkläre ihnen, dass sie über die Linie gegangen sind, nicht ich." Helfen kann auch: "Wenn Du noch so nüchtern bist, dass Du blöd redest, kann ich Dir auch eine Nacht in der Zelle buchen".
"Man muss die Leute einfangen", erklärt er seine Vorgehensweise. Will jemand nicht ins Krankenhaus, ist vielleicht genervt, weil Angehörige das DRK verständigt haben, kann auch "eine Aufklärung über die möglichen Folgen" helfen.
Grundsätzlich versucht Lind durch sein Auftreten und seine Art des Handelns Situationen, in denen die Patienten sich auch oft in einem Ausnahmezustand befinden, zu entschärfen. Respektlos ist das Verhalten solcher Patienten, die meist maximal unter Stress stehen, "eigentlich nicht". "Es kommt immer darauf an, wie wir es aufnehmen", fügt er an.
Wichtig ist es für ihn immer, Grenzen aufzuweisen: "Halt. Stopp. Bis hierhin und nicht weiter. Wenn es weiter geht, gibt es Konsequenzen." Ein Kind ist für Lind respektlos, wenn es das sein kann, wenn es keine Konsequenzen zu befürchten hat. "Respekt bekommt man nicht, man verdient ihn sich", fügt er an.
Männer haben es Linds Meinung "sicher leichter, sich Respekt zu verschaffen, als Frauen. "Wobei, es gibt auch Frauen, da steht jeder Mann stramm", sagt er lachend. Respektlosigkeit ist seiner Meinung nach in den vergangenen 15 bis 20 Jahren "mehr geworden". "Es ist ein Egoismus in der Gesellschaft entstanden." Wo der "Knackpunkt" in der Gesellschaft ist, darüber macht sich Lind Gedanken. Respekt bedeutet für ihn, auch zwischendurch im Leben einfach mal respektvoll zu handeln: "Jemandem die Tür aufhalten, einer älteren Dame über die Straße helfen...".
Für die insgesamt gestiegene Respektlosigkeit der Polizei gegenüber sieht er die Verantwortung "in der Politik". Er erinnert sich auch an den inzwischen pensionierten Polizisten Karl Link: "Da hat früher nur sein Auftauchen gereicht und alles hat auf sein Kommando gehört. An der Neckarwiese etwa hat es gereicht, wenn er nur auftauchte, und alles war sofort wieder sauber. Er war eine richtige Respektsperson – im positiven Sinne."
"Corona: unser Kampf gegen den unsichtbaren Feind. Wir ziehen bei Einsätzen FFP2-Masken an, Handschuhe und Schutzbrillen, bevor wir eine Wohnung betreten. Die meisten, die uns rufen, tragen ebenfalls Mund-und Nasenschutz. Selten, dass wir darum bitten müssen. Wenn, wird es sofort erledigt. Das ist Respekt."
Wobei Lind Verständnis dafür hat, dass Patienten in Notsituationen "an alles denken, aber als Letztes an eine Maske". Und da beginnt es wieder mit den Gesprächen auf "Augenhöhe": "Könnten Sie bitte...".
Timo Lind ist froh, dass seine eigenen beiden Jungs "respektvoll durchs Leben gehen". Und fügt an: "Darauf bin ich auch als Vater stolz".