Buchen. (rüb) Unabhängig voneinander interessieren sich Anfang der 90er Jahre zwei Odenwälder für die in unseren Breiten kaum verbreitete Nutzung der Windenergie. Ein in einer Gärtnerei ausgelegter Flyer bringt die beiden 1994 zusammen. Ein Jahr später gründeten sie ihr eigenes Unternehmen, im Jahr 2000 geht ihr erster Windpark – und damit die ersten Windräder im Neckar-Odenwald-Kreis – in Betrieb. Heute, gut 20 Jahre später, können die beiden Windkraftpioniere Bernd Brunner und Uwe Steiff sowie ihre Mitstreiter Elke Herkert und Bernd Scheuermann auf eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte zurückblicken. Die 17 Windräder in den fünf Windparks der Windenergie S&H GmbH haben seither mehr als 630 Millionen Kilowattstunden grünen Strom erzeugt.
Wie der Zufall so will, waren sowohl der Unternehmer Uwe Steiff aus Hettigenbeuern als auch der Landschaftsplaner und Naturschutzfachmann Bernd Brunner aus Mosbach 1992 in Norddeutschland in Urlaub. Und beide interessierten sich für die aus dem süddeutschen Blickwinkel doch recht ungewohnten Windräder an der Küste. "So etwas wäre doch auch bei uns toll", haben sich beide gedacht und sind unabhängig voneinander an dem Thema drangeblieben. Bernd Brunner engagierte sich ab 1994 in der "Initiative Windkraft Odenwald" (IWO). Ein Flyer der IWO fiel Uwe Steiff in der Gärtnerei Breunig in Mudau in die Hände, und wenig später lernten sich Brunner und Steiff bei einem IWO-Treffen kennen. Eine Zusammenarbeit war aber zunächst nicht geplant.
Die damaligen Methoden muten aus heutiger Sicht skurril an: Mit einem zehn Meter hohen Windmessmast aus Holz waren die Windkraftpioniere in der Region unterwegs und suchten geeignete Standorte. "Wie stark der Wind aber 50 oder 100 Meter höher weht, konnte niemand mit Sicherheit sagen", sagt Uwe Steiff. 1995 begann er, sein erstes Projekt, den Windpark "Hettinger Eulsberg", zu planen. Auch Bernd Brunner und die IWO waren aktiv: Sie wollten in Waldbrunn ein Windrad errichten.
Beiden Vorhaben stießen aber auf heftigen Gegenwind und wurden abgelehnt. "Wir waren zu früh dran", erinnert sich Brunner. Der menschengemachte Klimawandel sei damals gesellschaftlich noch sehr umstritten gewesen. ",Nachhaltigkeit‘ existierte damals nicht im Sprachgebrauch", verdeutlicht Bernd Brunner. In den Anfangsjahren seien sie von den kommunalpiltischen Gremien eher belächelt und nicht ernstgenommen worden. "Der Gedanke, dass ein Bauwerk größer sein könnte als die Kirche vor Ort, war damals für viele unvorstellbar", erklärt Uwe Steiff. Doch der Wind drehte sich recht bald.
Nach den ersten Misserfolgen schlossen sich beide Ende der 1990er Jahre zusammen. Uwe Steiff machte Bernd Brunner auf den möglichen Standort "Altheimer Höhe" aufmerksam. "Nachdem wir teilweise bei den Gemeinden auf Unverständnis gestoßen waren, war Altheim die erste Ortschaft, die zwar kritisch, aber aufgeschlossen und zukunftsorientiert das Projekt beurteilt hat", erinnert sich Uwe Steiff. Der damalige Bürgermeister Karl-Heinz Joseph, Ortsvorsteher Hubert Mühling und der Ortschaftsrat hätten die Chance erkannt und sich von der Idee überzeugen lassen.
Die hohe Geschwindigkeit, mit der der Traum der technikbegeisterten Klimaschützer wahr wurde, überrascht aus heutiger Sicht: Bauvoranfrage im Juli 1999, Zustimmung im April 2000, Bauantrag im Mai und Baugenehmigung schließlich im August 2000. Mit den Erdarbeiten wurde im September begonnen, und der letzte Flügel wurde am 16. November 2000 montiert: Die ersten Windräder im Kreis standen! Die Anlagen des Herstellers Fuhrländer mit 70 Metern Turmhöhe und 54 Metern Rotorkreisdurchmesser haben 1000 Kilowatt Nennleistung: "Das waren damals gigantische Dimensionen", weiß Bernd Brunner. Die Investitionssumme betrug knapp 5,4 Millionen DM. Gut 60 Anteilseigner aus der Region brachten zusammen 2,5 Millionen DM Eigenkapital auf.
"Klimaschutz zum Mitmachen", lautete das Motto: Von Anfang an haben Brunner und Steiff auf Bürgerbeteiligung gesetzt und dafür Anteile an Menschen aus der Region, aber auch an Windkraft-Begeisterte von auswärts verkauft. ",Windkraft gehört in Bürgerhand‘, davon waren wir überzeugt", so Brunner. Die Bürger sollten wirtschaftlich von einem Windpark in ihrer Region profitieren, die Wertschöpfung möglichst vor Ort stattfinden. Auch bei den vier folgenden Bürgerwindparks konnten sich die Einwohner beteiligen, die Finanzierung übernahmen regionale Banken, und Aufträge wurden, wo es möglich war, an lokale Unternehmen vergeben.
Der erste Erfolg sorgte dafür, dass sich plötzlich weitere Türen öffneten: Das Jahre zuvor "beerdigte" Projekt am Hettinger Eulsberg wurde plötzlich wieder aktuell. 2002 wurden dort zwei Anlagen in Betrieb genommen. Parallel plante S&H die Bürgerwindparks "Ravensteiner Höhe" (zwei Anlagen) und "Steinbacher Höhe" (drei), die 2005 bzw 2010 verwirklicht wurden. 2011 wurde die "Altheimer Höhe" noch um zwei Anlagen erweitert ("Altheimer Höhe II").
Das Team hinter der S&H Windenergie GmbH: Uwe Steiff, Elke Herkert, Bernd Brunner und Bernd Scheuermann. Foto: Christian MeixnerDie Krönung folgte dann 2013: das Leuchtturmprojekt "Großer Wald" Hettingen-Rinschheim, der zu diesem Zeitpunkt größte Bürgerwindpark in Baden-Württemberg. Rund 300 Bürger zeichneten Anteile. Zur Inbetriebnahme des aus fünf Anlagen bestehenden Windparks, der 25 Millionen Euro kostete und der im Jahr so viel Strom erzeugt, wie etwa 7000 Haushalte verbrauchen, reiste sogar Ministerpräsident Winfried Kretschmann an.
Der lobte die Macher: "Nach den Gesellenstücken in den Vorjahren haben Sie jetzt Ihr Meisterstück abgeliefert!" Auch heute, sieben Jahre später, kann man dem grünen Landesvater uneingeschränkt zustimmen: 250 Millionen Kilowattstunden hat der Windpark seither erzeugt – deutlich mehr als kalkuliert. Dies entspricht dem Energiegehalt von 25 Millionen Liter Heizöl.
Insgesamt haben die 17 Windräder von S&H eine Stromausbeute von 630 Millionen Kilowattstunden erzielt. Eine imponierende Bilanz. Eigentlich könnten Bernd Brunner und Uwe Steiff zufrieden die Füße hochlegen und stolz auf ihr der Umwelt dienendes Lebenswerk blicken. Denn der "Große Wald" war ihr letztes Projekt, da waren sie sich 2013 einig. Doch inzwischen gibt es neue Pläne: "Altheim III".
Uwe Steiff erklärt, wie es dazu kam: "Jeder von uns geht seinem eigentlichen Beruf nach, und die Kapazität für ein weiteres Projekt war schlicht nicht vorhanden. Die Ausbauzahlen der erneuerbaren Energien stiegen jedes Jahr stark an, und wir glaubten, die Energiewende auf einem sehr guten Weg zu sehen." Das war jedoch ein Trugschluss: Seit einigen Jahren stockt der Ausbau – vor allem bei der Windkraft. Es ist kein Geheimnis, dass die Genehmigungsverfahren immer aufwendiger und bürokratischer geworden sind. Doch nicht nur das: Vielerorts weht den Planern inzwischen ein scharfer Wind entgegen.
Das ist manchmal auch kein Wunder, denn große Konzerne gehen nicht gerade zimperlich vor, wenn sie ein Projekt verwirklichen möchten – zur Not auch komplett gegen den Willen der Bürger vor Ort. Man muss nur einige Kilometer weiter schauen, wo der Energiekonzern Zeag bei Bretzingen den Windpark "Kornberg" gegen alle Widerstände durchboxen möchte. Eine transparente Planung und die Bürger mitnehmen – das war für Brunner und Steiff immer oberstes Gebot. Sie können deshalb verstehen, dass neue Vorhaben nicht überall begrüßt werden. Und auch sie wissen, dass es Orte im Kreis gibt, von denen aus man gut und gerne 60 bis 80 Anlagen sehen kann. Ein Anblick, der nicht jedem gefällt.
Während die Klimadebatte immer stärker in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt ist, sei andererseits die Energiewende komplett ins Stocken geraten, so dass jedes Klimaziel verfehlt werde: "Die politische Zielvorgabe passt nicht zum eingeschlagenen Weg", kritisiert Marek Steiff diesen Widerspruch. Der 23-jährige Sohn von Uwe Steiff hat sein Bachelor-Studium als Wirtschaftsingenieur Energiewirtschaft abgeschlossen. Als er 2019 ein Praxissemester in der Firma absolvierte sagte er auf der Rückfahrt von einer Windkraftmesse: "Ich hätte Lust, einen Windpark zu realisieren." "Auf gar keinen Fall", antworteten sein Vater und Bernd Brunner.
Der Satz war da aber schon gefallen, und er arbeitete in den Köpfen der beiden Windkraftpioniere. "Wenn die Jugend sich engagieren möchte, dann dürfen wir Alten sie nicht bremsen", betont Brunner. Und so begannen die Planungen für "Altheim III", die derzeit coronabedingt nur sehr zäh vorangehen. Die für Oktober 2020 geplante Bürgerinformation musste verschoben werden. Möglicherweise wird sie nun online durchgeführt, wobei die Bürger mit ihren Fragen und möglichen Bedenken zu Wort kommen sollen.
"Wir sind trotzdem zuversichtlich, dass wir am Ende fünf bis sieben Anlagen realisieren können", sagt Marek Steiff. 2023 könnte der nächste Bürgerwindpark von S&H ans Netz gehen. Gut 30 Jahre nachdem sich zwei Männer aus dem Odenwald in Norddeutschland staunend die dortigen Windräder angeschaut haben ...