Von Dominik Rechner
Walldürn. Es war am 18. März 2020, an seinem 59. Geburtstag. Am Nachmittag hatte Rainer Kehl noch zuhause mit seiner Familie Kaffee getrunken, er fühlte sich gesund. Doch wird dem Vorstand der Volksbank Franken dieses Datum wohl für immer in negativer Erinnerung bleiben: In der Nacht fühlte er sich plötzlich unwohl, Fieber, trockener Husten und Gliederschmerzen überkamen ihn. Es waren die ersten Symptome seiner Erkrankung.
Was Kehl zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Er war mit Corona infiziert. Im Interview mit der RNZ spricht der Walldürner über die ersten Wochen mit der Erkrankung, erzählt, wie es ihm heute geht und was er Verschwörungstheoretikern entgegnet.
Herr Kehl, wie geht es Ihnen?
Ich fühle mich wieder relativ fit. Im Juni bin ich bei einem Lungenarzt gewesen, der festgestellt hat, dass die Lunge wieder ganz gut aussieht im Vergleich zu der Zeit, als ich an Corona erkrankt war. Allerdings ist das Lungenvolumen unterdurchschnittlich für einen Mann in meinem Alter und meiner Körpergröße. Ich werde demnächst nochmal meine Lunge untersuchen lassen. Noch lange nachdem das Coronavirus letztmals bei mir nachgewiesen wurde, hatte ich zudem verstärkten Haarausfall. Laut meinem Hausarzt ist das aber nicht unüblich, wenn man an Corona erkrankt war.
Wann wurde bei Ihnen festgestellt, dass sie an Covid-19 erkrankt sind?
Am Morgen nach meinem Geburtstag, das war am Donnerstag, 19. März, habe ich beim Arzt angerufen. Der hat mir die Frage gestellt, ob ich in einem Corona-Risikogebiet gewesen sei. Das war ich aber nicht. Nach der ersten Diagnose hatte ich einen grippalen Infekt. Ich habe Antibiotika, Schmerz und Fieber senkende Mittel bekommen. Über das Wochenende wurde es aber nicht besser, im Gegenteil: Mein Gesundheitszustand hat sich weiter verschlechtert.
Deshalb habe ich mich am Montag, 23. März, wieder beim Arzt gemeldet und bin auf Empfehlung dann am nächsten Tag zum regionalen Coronatestzentrum nach Osterburken gefahren und habe einen Corona-Abstrich machen lassen. Am Freitag, 27. März, habe ich dann das Ergebnis erhalten: positiv! Ich wurde dann direkt mit dem Krankentransport nach Buchen in die Isolierstation der Neckar-Odenwald-Kliniken gebracht.
Wie haben Sie die Zeit als Corona-Patient im Krankenhaus erlebt?
Was ich jetzt so von anderen Corona-Patienten mitbekommen habe, würde ich sagen, ich hatte einen mittelschweren Verlauf. In der ersten Woche habe ich nicht viel von der Welt um mich herum mitbekommen. Ich war wie im Delirium. Als es mir besser ging, habe ich auch mal den Fernseher eingeschaltet. Da hat es dann aber auch mal depressive Phasen gegeben, wenn ich die Berichte zu den vielen Corona-Toten in Italien gesehen habe. In den Momenten denkt man schon auch mal: "Hoffentlich kommst du da heil raus."
Zumal ich auch einen Rückfall erlitten habe und es dann zwischendurch auf der Kippe stand, ob ich in die Intensivstation verlegt werden muss. Ich war außerdem komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Ich durfte keinen Besuch empfangen. Nach einer Woche etwa konnte ich wieder telefonieren, wobei der Empfang im Krankenhaus sehr schlecht war. Ich war mit der einen Woche zu Hause insgesamt drei Wochen lang nur gelegen, habe zehn Kilo abgenommen.
Wie wurden Sie medizinisch behandelt?
Im Krankenhaus habe ich das Malaria-Mittel Hydroxychloroquin bekommen. Damals dachte man noch, dass das Präparat gegen Corona helfen könnte. Außerdem wurden mir Antibiotika verordnet, um mich vor einer bakteriellen Lungenentzündung zu schützen. Und bis ein paar Tage vor der Entlassung wurde ich über eine Sauerstoffbrille mit Sauerstoff versorgt.
Wo beziehungsweise bei wem könnten Sie sich angesteckt haben?
In Frage kommen eigentlich nur Personen aus dem Umfeld der Volksbank. Genau sagen kann man das aber nicht. Ich hatte nie groß mit Grippe oder Erkältungen zu tun gehabt und generell wenig Krankheitstage.
Haben sich Familienmitglieder oder andere Kontaktpersonen bei Ihnen angesteckt?
Ich hatte fünf Kontaktpersonen. Vier aus dem familiären Umfeld und eine aus der Bank. Alle sind und waren gesund. Meine Frau und meine Tochter hatten nachgewiesenermaßen keine Corona-Antikörper im Blut.
Wie sah bei Ihnen der Alltag aus, als Sie aus dem Krankenhaus entlassen wurden?
Bevor ich in die Reha in den Schwarzwald gegangen bin, war ich zwei Wochen zu Hause. Bei der Entlassung aus dem Krankenhaus am 9. April habe ich für daheim ein mobiles Sauerstoffgerät mitbekommen. Ich wurde negativ getestet, galt somit als genesen. Aber ich habe gemerkt: Genesen ist nicht gesund, denn gesund habe ich mich noch lange nicht gefühlt. Die größte Anstrengung war anfangs, zu duschen oder die Zähne zu putzen. Da konnte ich das Gerät nicht benutzen. Als ich mit meiner Frau anfangs mal die wenigen Treppenstufen am Walldürner Friedhof hochgegangen bin, habe ich Atemnot bekommen.
Ich konnte am Anfang nicht ohne Sauerstoffunterstützung spazieren gehen. Die drei Wochen in der Reha haben mir sehr geholfen. Ich habe Atemübungen, Yoga und Übungen für den Muskelaufbau beigebracht bekommen und bin viel gewandert. Das habe ich auch zu Hause weiter gemacht und mich um den Garten gekümmert, so weit es ging. Aber ich habe auch noch viel Ruhe und Entspannung gebraucht.
Wie lange waren Sie arbeitsunfähig?
Ich habe vom 19. März bis Ende Mai nicht gearbeitet. Am 2. Juni habe ich wieder in der Volksbank angefangen. Die Ärzte in der Kurklinik wollten mich noch eineinhalb Monate länger krank schreiben. Aber irgendwann fällt einem zu Hause die Decke auf den Kopf. Und die Einschränkungen waren nicht mehr so groß. Am Anfang hatte ich noch etwas Probleme mit dem Atmen, aber das hat sich mit der Zeit gelegt. Abends nach der Arbeit war ich schon geschlaucht und bin es teilweise heute noch. Das war vor der Erkrankung nicht der Fall.
Was entgegnen Sie Verschwörungstheoretikern, die Covid-19 nur als eine Erfindung oder harmlose Grippe abtun?
Wenn man den Verlauf selbst miterlebt hat, kann man diese Geschichten nicht nachvollziehen. Corona ist kein Schnupfen. Ich kann nur appellieren, die Maßnahmen einzuhalten. Also Mund-Nasen-Maske aufzusetzen, Abstand zu halten, Hygieneregeln zu befolgen. Mich hätte es zwar auch schlimmer treffen können, doch ich wünsche keinem, das durchzumachen. Alle Leuten, denen ich davon erzählt habe, haben gesagt: "Wenn ich höre, wie es dir ergangen ist, kann ich die Leute, die das leugnen, nicht verstehen."
Was denken Sie über die Corona-Demonstrationen, wie sie etwa in Stuttgart oder Berlin Anfang August mit mehreren Tausend Menschen stattgefunden haben?
Ich würde sicher nicht dahin gehen. Da kommen ja nicht nur Gegner der Corona-Maßnahmen hin, sondern auch Impfgegner, Leute, die Bill Gates für die Pandemie verantwortlich machen, oder Rechtsradikale. Ich glaube, denen geht es nicht mehr um die coronabedingten Einschränkungen. Sie nutzen die öffentliche Wirksamkeit der Corona-Demos für ihre eigene Bühne.
Werden Sie sich gegen Corona impfen lassen, sobald es einen Impfstoff gibt?
Ich werde mich erstmal nach den Empfehlungen der Ärzte gegen alles Mögliche impfen lassen: Gegen bakterielle Lungenentzündung, Grippe. Demnächst werde ich wieder einen Antikörpertest machen lassen, um zu schauen, ob noch Antikörper zur Abwehr vorhanden sind. Ich werde vielleicht nicht bei den ersten verfügbaren Impfungen die Möglichkeit ergreifen. Aber sobald ein verlässlicher Impfstoff da ist, werde ich mich sicher auch gegen Corona impfen lassen.