Von Rüdiger Busch
Walldürn. Die Frau des Bildhauers stirbt einen qualvollen Tod. Immer wieder wird von einem bestialischen Geruch berichtet, der aus seiner Werkstatt dringt. Von toten Ratten, Würmern, Käfern und Maden ist die Rede. In einer Zeit, in der der Aberglaube mindestens so mächtig ist wie der Glaube, haben viele Walldürner ihr Urteil längst gefällt: Der Altar muss verflucht sein! Was wirklich hinter den merkwürdigen Ereignissen steht, erzählt Schriftstellerin Anne Grießer in ihrem zweiten historischen Roman über ihre Heimatstadt.
In "Der Fluch des Blutaltars" verwebt sie die Geschichte der Bildhauerfamilie Juncker und die weiterer historischer Figuren mit erzählerischer Finesse und gelungenen Einfällen zu einem ungemein spannenden Werk, dessen Sogwirkung sich der Leser kaum entziehen kann.
Die Handlung setzt vor genau 400 Jahren in Miltenberg ein: Der 15-jährige Philipp Juncker, Sohn des berühmten Bildhauers Michael Juncker, verliert bei einer Explosion in der väterlichen Werkstatt sein Augenlicht. Von einem Moment auf den anderen lösen sich Philipps Pläne, in die Fußstapfen des Vaters zu treten, in Luft auf. Und ohne seinen talentierten Gehilfen sieht sich Michael Juncker außerstande, seine Zusage gegenüber Magister Jodocus Hoffius einzuhalten: Vom Walldürner Pfarrer hatte er nämlich den Auftrag erhalten, einen prachtvollen Heilig-Blut-Altar für die Erweiterung der Kirche zu gestalten.
Mit Philipp Juncker hat sich Anne Grießer eine Hauptfigur ausgewählt, dessen Los den Leser von der ersten Seite an bewegt und fasziniert.
Drei Jahre später in Walthüren (historischer Name der Wallfahrtsstadt): Michael Junckers älterer Sohn Zacharias hat den Auftrag für die Gestaltung des Blutaltars übernommen. Bei ihm lebt sein jüngerer Bruder Philipp, der sich nach und nach mit seinem Schicksal arrangiert und trotz seiner Blindheit bei der Gestaltung des Altars mithilft. Doch das Werk steht unter keinem guten Stern: Materiallieferungen verzögern sich, es kommt zu Unfällen in der Werkstatt, und schnell machen Gerüchte die Runde, dass der Teufel seine Hände im Spiel habe.
Als Zacharias’ Frau Anna plötzlich stirbt, ist für viele Walldürner klar: Der Altar muss verflucht sein! Für Philipp kommt es aber noch schlimmer. Wenige Monate später nimmt sich sein Bruder die junge Katharina Keim zur Frau - ausgerechnet das Mädchen, das Philipp seit Jahren anhimmelt und dem er im Lauf der Zeit immer näher gekommen ist. "So also fühlte sich die Hölle an", erkennt Philipp, als sein Traum von einer gemeinsamen Zukunft wie eine Seifenblase zerplatzt. Rasend vor Wut verlässt er Walldürn und bricht gemeinsam mit seinem treuen Blindenhund zu einer Reise ins Ungewisse auf.
Was der junge Man dabei erlebt, schildert Anne Grießer so gekonnt und detailreich, dass die dunkle Zeit des Dreißigjährigen Krieges vor den Augen des Lesers lebendig wird. Der Tod war allgegenwärtig in dieser Zeit: Armut, Seuchen wie die Pest und der Glaube an Schwarze Magie gehörten zum Alltag. Ein falsches Wort genügte und eine unbescholtene Frau wurde der Hexerei bezichtigt. Sogar Tieren wurde der Prozess gemacht!
Philipp, der als naiver Jüngling aufgebrochen ist und sich zwischendurch als Wahrsager durchgeschlagen hat, lernt auf seiner Reise einen Rechtsgelehrten kennen. Er interessiert sich für die Juristerei und kehrt drei Jahre später als aufgeklärter junger Mann in seine Heimatregion zurück: "Nichts hatte sich in Walthüren verändert. Die Straßen waren in einem erbärmlichen Zustand, es roch nach rußigem Herdfeuer, Abfall, Schweinemist und vergorenem Obst."
Die kunstvoll gestalteten Intarsien sind ein prägendes Element des Butaltars. Gut zu erkennen die Abbildung des Hundes, der im Roman eine wichtige Rolle spielt. Foto: Rüdiger Busch
Der Altar ist noch immer nicht fertiggestellt und die Reihe seltsamer Vorgänge rund um den Bau noch immer nicht zu Ende - im Gegenteil: Katharina droht sogar ein Hexenprozess! Doch nun liegt es an Philipp zu beweisen, dass dafür keine dunklen Mächte verantwortlich sind, sondern ein gefährlicher Gegner aus Fleisch und Blut.
Während die rätselhaften Ereignisse rund um den Bau des Blutaltars Anne Grießers Fantasie entsprungen sind, handelt es sich bei einem Großteil der Protagonisten um verbriefte Personen - angefangen bei der Bildhauerfamilie Juncker (siehe "Hintergrund") und dem blinden Sohn Philipp, Magister Hoffius oder Katharina Keim (verheiratete Juncker), der tatsächlich der Prozess gemacht wurde. Daneben stößt der Leser auf eine Reihe bekannter Walldürner Familiennamen und auf benachbarte Orte wie Gotthardsdorf (Gottersdorf), Buchen oder Höpfingen.
Für ihren zweiten Walldürn-Roman nach "Das Heilige Blut" hat Anne Grießer (Jahrgang 1967) wieder tief in den Archiven gewühlt, hat Prozessakten ausgewertet und Akten studiert. Hilfreich waren ihr dabei unter anderem ihr früherer Geschichtslehrer Walter Gramlich sowie Achim Ullrich und Gabriele Eder-Herold vom Bücherladen, die ihr den Anstoß für den Roman lieferten. "Es war ungemein spannend", sagt die in Freiburg lebende Schriftstellerin über die umfangreichen Recherchen. Eine Aussage, der wohl auch die Leser ihres neuen Romans nach Beendigung der Lektüre uneingeschränkt zustimmen werden!
Spannende Zeitreise in eine dunkle EpocheInfo: Anne Grießer: "Der Fluch des Blutaltars", Silberburg-Verlag, April 2019, 336 Seiten, 14,99 Euro. Der Roman ist im Buchhandel erhältlich, z. B. beim Bücherladen in Walldürn oder bei der Buchhandlung Volk in Buchen.