Von Günther Grosch
Weinheim. Begegnung, Nähe, Trauern: Was zum letzten Abschiednehmen dazugehört, war in der Corona-Krise stark erschwert. Das hat sich auch bei der Ökumenischen Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße bemerkbar gemacht. Abgesehen von wenigen Ausnahmen mussten während des Lockdowns alle persönlichen Begleitungen beendet werden, bedauert das Team um Einsatzleiterin Monika Leistikow in einem ausführlichen Gespräch mit der RNZ.
Lediglich ausgewählte Begleitungen zu Hause oder im Hospiz wurden mit Einverständnis aller Beteiligten fortgeführt. "Schwerstkranke und Sterbende in ihrer letzten Lebensphase ihren Vorstellungen entsprechend zu begleiten: Dafür sind wir schließlich da", so Leistikow. Die Corona-Lage stellte einen Gegensatz zur Grundüberzeugung der Hospizbewegung dar, der zufolge "niemand allein sterben muss", ergänzt Brigitte Rufer. Sie fordert ein menschenwürdiges Abschiednehmen, auch in Krisenzeiten: "Kein Mensch kann über Monate hinweg ohne Nähe und Begegnung leben, ohne Schaden zu nehmen." Dies trifft auf Kinder und Menschen mit einer Demenzerkrankung gleichermaßen zu – und erst recht auf Sterbende.
Die Runde ist sich einig: Vor allem für Demenzkranke und Palliativpatienten muss es einem Schock gleichgekommen sein, als ihre Bezugspersonen von heute auf morgen wegblieben. "Niemand konnte es ihnen erklären, weil diese Klienten kaum mehr etwas hören oder nichts verstehen konnten", beschreibt die ehrenamtliche Sterbebegleiterin Ulli Ischebeck ihre Ohnmacht, aus der schlaflose Nächte resultierten.
Da gab es den über 90 Jahre alten Mann, der im Heim lebte, seit fünf Jahren bettlägerig war und sich nicht mehr artikulieren konnte. "Vorlesen, erzählen und seine Hände halten, all das tat ihm gut", sagt Ischebeck. Die Kontaktsperre machte all dies zunichte. Inwieweit die Schwestern im Pflegeheim dies auffangen konnten, ist Ischebeck nicht bekannt. Sie kann nur erahnen, dass der Mann während des Lockdowns "unglaublich einsam" war und die Welt nicht mehr verstand. Er starb wenig später, ohne dass sich die Angehörigen und Ischebeck von ihm verabschieden konnten.
Auch Sonja Kühn weiß von einem Betreuten zu berichten, von dem kein tröstender Abschied mehr möglich war. Einen Tag bevor die ersten Corona-Lockerungen in Kraft traten, starb er – an seinem 98. Geburtstag. Dennoch: Die Hospizmitarbeiter zeigen Verständnis für die Verantwortlichen in den Altenheimen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Diese – "alle selbst in großer Sorge um sich wie ihre Bewohner und Patienten" – seien in vielen Fällen überfordert worden: "Seelischer Beistand und Betreuung rückten nach hinten."
Aber auch viele der 42 Ehrenamtlichen in der Ökumenischen Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße gehören zu den Risikogruppen. Das Coronavirus zwinge zu einem "Balanceakt" zwischen "Schützen" und "Dasein", kleidet es Leistikow in Worte. Dennoch solle nie außer Acht gelassen werden, wie wichtig soziale Kontakte für Menschen sind, gerade am Lebensende.
Auch wenn der Telefonhörer keinen Blick, keine Körperwärme, keine tröstende Berührung überträgt, blieb er die einzige Verbindung zu den Klienten "Wir haben viele angerufen oder Briefe geschrieben, die von Angehörigen oder Pflegepersonal vorgelesen wurden", sagt Leistikow. Ob die Briefe und Karten tatsächlich vorgelesen wurden? Schulterzucken. Obwohl für tiefergehende Einzelgespräche wenig Zeit blieb, hätten die Pflegeeinrichtungen viel geleistet, lobt Sonja Kühn. Die Einrichtungen verdienten mehr politische Rückendeckung.
Nicht mehr stattfinden konnte auch das von der Hospizhilfe angebotene und regelmäßig von bis zu 15 Menschen besuchten "Trauercafé". Gestrichen oder abgesagt wurden Gruppen- und Fortbildungsmaßnahmen, darunter "Letzte-Hilfe-Kurse" sowie bis Ende Mai die "Supervisionen". Was blieb, war das Telefonieren. Darüber hinaus hielt die Einrichtung eines "Hospiztickers" per Mail alle auf dem Laufenden.
Die Kontaktbeschränkungen ziehen auch finanzielle Folgen nach sich, wirken sich auf die Spenden an die Hospizhilfe aus. Diese werden dringend benötigt, damit die Arbeit im gewohnten Umfang weitergeht. Denn: "Die Höhe der Fördersumme und Zuwendungen richtet sich nach der Anzahl von Begleitungen", so Leistikow.
Im Augenblick geht man von 50 Prozent weniger an Fördermitteln aus. Noch sind Rücklagen vorhanden. Aber auf die Dauer wäre ein "Rettungsschirm für Hospizdienste" hilfreich. "Auf keinen Fall darf es zu einem ambulanten Hospiz-Sterben kommen", warnt Leistikow.
Bis zum Lockdown im März waren es annähernd zwei Dutzend Begleitungen, die von der Ehrenamtlichen geleistet wurden. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es allein 82 Menschen, von denen sie sich verabschieden mussten. Manche Begleitungen erfolgen dazu über Jahre hinweg. Entmutigen lassen sich die Hospizhelfer dennoch nicht.
"Wir müssen abwarten, wie sich die Situation entwickelt", sagt Leistikow. Kommen wieder ruhigere Zeiten, wird man den Einsatz in dem gewohnten und größtmöglichen Umfang fortführen. Telefon und Brief würden möglicherweise bleiben, "aber nur als Ergänzung".
Seit Juni gibt es wieder Begleitungen zu Hause. Im Juli wurden die Besuche in Pflege- und Altenheimen wiederaufgenommen. Gottlob befinde man sich in der Lage, die Sterbe- und Trauerbegleiter mit Kleidung auszustatten, die sie selbst wie auch die zu begleitenden Menschen schützt, sagt Leistikow.
Selbstverständlich behalte man die Ansteckungsgefahr im Auge und meide alles, was Begleiter, Begleitende oder Angehörige in Gefahr bringen könnte. Dennoch erscheine es "verstörend", wenn Begleiter mit Mund-Nase-Maske erscheinen oder Berührungen nur mit Gummihandschuhen erlaubt sind, beschreibt Leistikow. "Hospizarbeit lebt durch körperliche Nähe und Händehalten." Alles was Mimik ausgedrückt, falle weg. Vor allem für Demenzkranke stelle die Maske einen ungewollten Verfremdungseffekt dar.
Wenn die Virus-Krise für etwas gut sei, dann dafür, sich mit der Unkontrollierbarkeit und Vergänglichkeit des Lebens vertraut zu machen, so das Fazit. Dass man sich nicht entmutigen lässt, verdeutlicht Begleiterin Petra Kriechel. Am letzten Oktoberwochenende will nun eine 20-köpfige Delegation der Ökumenischen Hospizhilfe die Messe "Leben und Tod" in Freiburg besuchen, auch "um endlich wieder ein Gemeinschaftserlebnis zu haben".
Info: Spendenkonto Ökumenische Hospizhilfe Weinheim-Neckar-Bergstraße: DE42.6709.2300.0001 2781 00.