Von Annette Steininger
Hirschberg-Leutershausen. Ilse Gräfin von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf war nicht schon immer Gräfin und trug einst den Mädchennamen Schulz. Manch älterem Leutershausener dürfte er vielleicht noch ein Begriff sein; die Geschichte, die mit ihr und ihrem Vater verbunden ist, wohl wenigen. Auch der RNZ war sie bislang nicht bekannt – bis sie eine Nachricht von der Stellvertretenden Vorsitzenden des Arbeitskreises Ehemalige Synagoge Leutershausen, Helga Klein, erhielt.
Ilse Gräfin von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf im Jahr 2018. Foto: KreutzerSie berichtet darin über einen interessanten Anruf einer Gräfin aus Schleswig-Holstein im November 2019. "Es war ihr wichtig, eine Aussage zu machen, die sie lange beschäftigt hatte", erzählt Klein. Ilse Gräfin von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf wurde am 19. Dezember 1928 in Leutershausen geboren. Als sie knapp zehn Jahre alt war – am 8. November 1938 –, begegnete ihr auf der Treppe ihres Elternhauses der damalige Bürgermeister August Reinhard. Derjenige NS-Bürgermeister, über den erst kürzlich ein Artikel in der RNZ erschien.
Zuhause angekommen, "herrschte eine bedrückende Stille". So schilderte Ilse Gräfin von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf Helga Klein die damalige Situation. "Ich fragte meine Mutter, was denn passiert sei. Sie antwortete: Vater soll die Synagoge sprengen." Und dann passierte etwas, das die Gräfin sehr stolz machte: "Mein Vater sagte darauf: Ich werde das Gotteshaus meiner Freunde nicht in die Luft sprengen."
Ihr Vater Heinrich Schulz weigerte sich 1938, Sprengstoff zur Sprengung der Synagoge herauszugeben. Repro: DornIhr Vater, das war Heinrich Schulz, Baumeister und Architekt in Leutershausen. Er besaß Sprengstoff, weil er einige Zeit vorher den Hohlweg (heute Burgweg) von Leutershausen nach Schriesheim ausbaute.
Seine Weigerung und der Verkauf der Synagoge durch die jüdische an die politische Gemeinde im Jahr 1938 bewahrten das Gebäude davor, von den Nazis zerstört zu werden. Nach vielerlei Nutzungen ist die Alte Synagoge heute ein Kultur- und Begegnungszentrum.
Was aus Heinrich Schulz wurde? Nachdem er aus dem Krieg zurückgekehrt war, starb er wenige Jahre später, 1951, an einem Herzinfarkt. Seiner Tochter Ilse Gräfin von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf aber war es wichtig, dass seine besondere Geschichte veröffentlicht wird. Gerne hätte die RNZ noch persönlich mit ihr gesprochen, aber sie selbst starb Anfang Mai im Alter von 91 Jahren und wurde in Giekau, wo sie zuletzt lebte, beigesetzt.
Auch eine Blumenschale zweier Familien aus Schriesheim wurden als "letzter Gruß aus der alten Heimat" zur Beerdigung geschickt – in Rot-Weiß gehalten, den Leutershausener Farben. Unter den Verwandten, die Ilse Gräfin von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf so würdigten, ist Dossenheims Hauptamtsleiter Frank Röger. Er ist der Enkel der Cousine der Gräfin. "Ich mochte sie sehr; sie war eine pfiffige Frau", beschreibt er sie.
Sie sahen sich auch des Öfteren, wenn die Gräfin die Bergstraße besuchte. Denn sie fühlte sich auch mit Schriesheim verbunden. War doch ihre Mutter Lisette und Ehefrau von Heinrich Schulz eine geborene Hauser. Jener alten Wagnerfamilie aus der Oberstadt, zu deren Abkömmlingen auch der ehemalige Sparkassen-Vorstand Professor Rüdiger Hauser gehört.
Gerade zuletzt begleitete sie dabei ihr Sohn, Wolf-Christoph Graf von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf. Wobei die nur 1,58 Meter große Frau laut ihrem Sohn bis kurz vor ihrer schweren Erkrankung noch sehr fit war und sogar Holz in einer Schubkarre durch den Garten fuhr.
Die Gräfin in Jugendjahren zu ihrer Leutershausener Zeit, als sie noch Ilse Schulz hieß. Foto: privatAuch in ihrer Jugend war sie ein Energiebündel und hatte zahlreiche Hobbies. Sie spielte in Leutershausen in der Theatergruppe, sang im evangelischen Kirchenchor und war Handballerinen bei der Sportgemeinde Leutershausen (SGL). Schon mit fünf Jahren sagte sie immer: "Ich heirate mal einen Grafen." Was wohl nicht von ungefähr kam, da sie eine Freundin der in Leutershausen ansässigen gräflichen Familie von Wiser war. Und sie sollte recht behalten.
Nach einer Chorprobe traf sie im Gasthaus "Zum goldenen Hirsch" auf ihren Grafen, der gerade ein Praktikum auf dem Rotthof der von Wisers absolvierte. Eine Jugendfreundin von ihr, mit der sie bis zuletzt in Kontakt stand, erinnert sich gerne an die damalige lustige Zeit zurück. Im Gasthaus "Zum Löwen" schließlich verliebten die beiden sich, heirateten in der evangelischen Kirche in Leutershausen und zogen nach Schleswig-Holstein.
Der Kontakt an die Bergstraße blieb aber bestehen. Die Schwester der Gräfin lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 2017 im Elternhaus in der Obergasse. Diese pflegte in Weinheim den bekannten Rennfahrer Graf Philipp Constantin von Berckheim. Im Schlosspark in Weinheim fanden dann auch die damaligen Hochzeitsfeierlichkeiten von Ilse Gräfin von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf mit ihrem Gatten Wolf-Heinrich statt.
"Wenn wir nach Leutershausen kamen, wusste ich immer, dass uns viele Besuche bevorstehen", sagt Wolf-Christoph Graf von Baudissin, Zinzendorf und Pottendorf schmunzelnd. Und so erinnern sich noch heute viele Leutershausener gerne an die wache, weltoffene Frau, die mit der Geschichte ihres Vaters Heinrich Schulz auch ein Stück Ortsgeschichte hinterlässt.