„Das ist einfach nur ein leidenschaftliches Hobby“, sagt Kai Gissel. Aber seine großformatigen Werke können sich sehen lassen. Foto: Kreutzer
Von Nicoline Pilz
Hirschberg-Leutershausen. Marlon Brando, Jim Morrison, Marilyn Monroe und Frida Kahlo: Sie alle blicken in Kai Gissels Wohnung von den Wänden herab oder vom Boden herauf, wenn sie dort Platz gefunden haben.
"Ich habe mich schon immer für Kunst, Musik und Film interessiert", schildert der Frisörmeister. Im ersten Corona-bedingten Lockdown habe er diese Leidenschaft intensiviert und sei dabei auf die belgische Künstlerin Patricia Gaddiseur aufmerksam geworden. Ihre Collagen-Technik faszinierte Gissel, und er griff das auf, wobei er seinen Respekt vor dem Können der ganz großen Ikonen der Kulturgeschichte in seine großformatigen Gemälde miteinfließen lässt.
Er startete langsam, schaffte sich Farben, Spraydosen und Leinwände an, um schließlich erste Schritte zu gehen. Von Bild zu Bild wurde er besser. Familie und Freunde bestärkten ihn, gute Rückmeldungen von Kunden im zwischendurch geöffneten Frisörgeschäft, wo zwei Bilder hingen, und Kommentare in sozialen Netzwerken, wo er seine Bilder hochlädt, machten Mut.
Aber Gissel muss ohnehin künstlerisch auf einem Niveau eingestiegen sein, das über das Malen nach Zahlen schon weit hinausging. Davon künden seine Werke, für die es bereits Kaufangebote gibt. "Das ist aber einfach nur ein leidenschaftliches Hobby", meint er. Er sei froh, dass er seine Kunst habe, um sich mental abzulenken. In den schwierigen Zeiten, in denen auch Frisöre von wiederkehrenden Schließungen betroffen sind, ein Geschenk. Er habe Nachmittage und Abende der Kunst gewidmet und dabei oft die Zeit, Essen und Trinken vergessen. "Ich bin schon immer ein Liebhaber von Pop Art gewesen", schildert er beim Besuch der RNZ. Von den großflächigen Collagen sei er inzwischen "fast wieder weg". Großformate ja, denn da könne man sich austoben, doch nun widme er Legenden wie David Bowie, Elvis Presley, Mick Jagger und vielen anderen eine Fläche für sich alleine.
Es gibt schon Kaufangebote
Lars Rieger, ein Freund, der auch Grafikdesigner ist, ziehe ihm die Bildmotive größer, jage sie durch seine "Giga-Pixel-Maschine" und schicke sie dann an den Drucker". Keine Frage, bei Formaten von bis zu 1,20 auf 1,20 Meter und 500 Megabyte Datenpaketen würde jeder heimische Drucker hier aussteigen.
Gissels Werke strahlen Lebendigkeit und Kraft aus, sie sind eher Rock ’n’ Roll als Walzer, obgleich ihr kreativer Schöpfer sagt, er höre morgens auch gerne Klassik. Ideen und Inspiration holt sich der Frisörmeister bei ausgedehnten Joggingrunden. Oder er bekommt sie von Sohn Fynn. Der Siebtklässler ist ein Freund der Beatles und wird sich daher bald erfreuen an einem passenden Gemälde aus der väterlichen Bilderwerkstatt.
Dabei trägt Gissel die Grundstruktur mit einer Spachtel-Pinseltechnik auf die Leinwand auf, die Farbe wird dabei schier auf den Untergrund gepresst. "Das ergibt eine tolle Farbstruktur", meint er. Dann werden die eigentlichen Motive sorgfältig mit dem Cutter-Messer ausgeschnitten, aufgeklebt und besprüht. Dabei erzielt der Künstler einen "Destroyed-Effekt" mit faszinierender Wirkung: Die gewollte Imperfektion fügt sich am Ende homogen zusammen, das Werk erzählt eine Geschichte und gibt auch Hintergründe preis. Zeitungsschnipsel mit Schlagzeilen geschichtlich bedeutsamer Momente werfen besondere Schlaglichter auf das jeweilige Werk, das am Ende einen farblichen Feinschliff und eine Lackschicht erhält.
Das Ausschneiden der Konturen sei Präzisionsarbeit und das Kleben am schwierigsten, schildert Kai Gissel. Er habe da schon einiges ausprobiert und sich inzwischen eine eigene Klebstoffmischung angefertigt. "Das Ganze darf nicht zu nass und nicht zu faltig werden", sagt er. Einige Bilder hat er sich bei "Kunst Klüber" in Schriesheim rahmen lassen, für andere fand er Rahmen im Barockstil auf dem Sperrmüll und bei privaten Anbietern. Andere Werke bestehen aus doppelten Leinwänden mit Rahmen aus italienischem Holz, die ins Bild miteinbezogen werden.
Sein Talent kommt nicht von ungefähr, familiär ist er da vorbelastet. Nicht zuletzt ist auch das Frisörhandwerk ein kreativer Beruf, den Gissel in vierter Generation ausübt. Kunst und Frisieren, das sei beides eng verzahnt, meint er. Doch bei aller Liebe zum Hobby freue er sich auf den 1. März, wenn er wieder seinem Frisörberuf nachgehen darf. Und auf die Kunden und seine Mitarbeiter, die ihn alle toll unterstützt hätten.