Unweit des Mahnmals auf dem Meier-Heller Platz, das an ermordete ehemalige Hirschberger Einwohner erinnert – 21 Leutershausener und sechs Großsachsener – gedachten Franz Ulrich Kepler mit Klarinettenmusik sowie Michael Penk, Rainer Müller, Martina Schulz-Hamann und Jana Schilling (von links nach rechts) der Holocaust-Opfer. Foto: Dorn
Von Stefan Zeeh
Hirschberg. Eigentlich sollten sich möglichst viele Menschen an Gedenktagen, wie etwa dem "Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust" an diesem Mittwoch, beteiligen. Coronabedingt fand die Veranstaltung des "Arbeitskreises Ehemalige Synagoge Leutershausen" auf dem Meier-Heller-Platz jedoch nahezu vollständig unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Nur Pressevertreter waren zugelassen. Trotzdem sorgten die Mitglieder des Arbeitskreises eindrucksvoll durch das Verlesen von Texten rund um den Holocaust dafür, dass die Erinnerung an das schreckliche Geschehen während der NS-Diktatur in Deutschland erhalten bleibt.
"Heute vor 76 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee der Sowjetunion befreit", leitete bei regnerischem Wetter der Vorsitzende des Arbeitskreises, Michael Penk, die Veranstaltung ein, zu der Franz Ulrich Keppler mit Klarinettenmusik den musikalischen Rahmen lieferte.
Wie wichtig es ist, die Erinnerung an die Geschehnisse um die Ermordung von Millionen Menschen durch das nationalsozialistische Regime wach zu halten, verdeutlichte Rainer Müller. "Denn unfassbarerweise gibt es ihn wieder, den aktuellen Antisemitismus", erinnerte er an verschiedenste Ereignisse der jüngsten Vergangenheit. Dazu sei eine "unerträgliche Vereinnahmung der Rolle von Nazi-Opfertum mittels Missbrauch von Judenstern und Missbrauch von Namen wie Sophie Scholl und Anne Frank durch Querdenker und Corona-Leugner" gekommen.
Der allmähliche Verlust von Zeitzeugen sorge nun dafür, dass vor allem historische Orte zu Vermittlern von Geschichte werden, so Müller. Ein solcher sei in Leutershausen das Fachwerkhaus in der Hauptstraße 1. Hier befand sich im 18. und 19. Jahrhundert die "Judenschul", und bis zum Bau der Synagoge im Jahr 1868 war dies der Ort der Begegnung, des Unterrichts, und des Gebetes für die jüdische Gemeinde, die damals immerhin zehn Prozent der Einwohner Leutershausens ausmachte.
Als Zeitzeugin berichtete in ihrem Tagebuch die vor wenigen Wochen verstorbene Helga Pollak-Kinsky über die Geschehnisse in den Konzentrationslagern. Von Theresienstadt wurde sie in einem geschlossenen Viehwagen ohne Fenster nach Auschwitz gebracht. Dort wurden die Ankömmlinge in ein Gebäude getrieben. Sie mussten alle Kleider ausziehen und ihnen wurden die Haare geschoren. Eindrücklich auch die Beschreibung der Ereignisse einige Tage später. "Wir mussten nackt Aufstellung nehmen, und mit erhobenen Händen im Laufschritt vor der SS vorbeilaufen. Am Ende fehlten einige von uns, vor allem ältere und schwangere Frauen", las Müller aus dem Tagebuch.
Auf das tragische Schicksal der Familien Buchheimer/Türkheimer gingen Martina Schulz-Hamann und Jana Schilling ein, die aus einem Text von Erhard Schnurr lasen, in dem die Geschichte jüdischer Familien aus Großsachsen und Leutershausen dokumentiert ist. Henriette Buchheimer wurde zusammen mit ihrem Ehemann Manfred Max Kaufmann im Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Ihrer Tochter Beate, die mit Gregor Türkheimer verheiratet war, gelang es jedoch, die Freilassung ihrer Eltern zu erreichen. Das Ehepaar Kaufmann lebte dann nach der Freilassung am gleichen Ort in Frankreich wie ihre Tochter und deren Familie. Der Familie Türkheimer gelang es zudem, bei der US-Botschaft in Vichy ein Einreisevisum in die USA zu erhalten. Allerdings hatten die französischen Behörden noch nicht über ein Ausreisegesuch entschieden, als die Familie mit ihren beiden Kindern in ein Internierungslager gebracht wurde. Da sie das Visum nicht mit sich führten, sollte ihnen ein Bote das Visum bringen. Doch dieser traf zu spät im Lager ein.
Die Familie Türkheimer war bereits an die SS übergeben worden und befand sich in einem Transport nach Auschwitz, wo sie vermutlich nach ihrer Ankunft ermordet wurde. Das Ehepaar Kaufmann überlebte die deutsche Besatzung in der französischen Provinz. Manfred Kaufmann verstarb dort 1947, Henriette Kaufmann reiste 1948 als Staatenlose in die USA ein, wo sie 1954 verstarb.