Ein Jahr lang hat Sabrina Bertsch (40) die sich täglich aufs Neue ergebenden Fragen von Mitarbeitern, Regelschullehrern, Sonderpädagogen, Erziehern oder auch Eltern gesammelt und sie in ihrem Ratgeber „Inklusion auf Augenhöhe“ beantwortet. Foto: Dorn
Von Annette Steininger
Hirschberg-Leutershausen. Manchmal kommt die Diagnose erst bei der Vorschuluntersuchung: Das Kind hat eine Behinderung. Aus Erfahrung weiß Sabrina Bertsch, dass dann viele Eltern erst einmal mit der Situation überfordert sind. Sie wissen nicht, ob und wie sie ihr Kind in einer Regelschule anmelden können und was ihnen auch an Unterstützung zusteht. Und dann fehlt es an Antworten.
Mit ihrem Ratgeber "Inklusion auf Augenhöhe" will die Leutershausenerin genau in solchen Situationen Hilfestellung bieten. Er soll auch als Nachschlagewerk beispielsweise für Inklusionshelfer oder Pädagogen dienen. Die 40-Jährige ist Abteilungsleiterin für Inklusion und Heilerziehungspflege bei der Vereinigung für Hauspflege und Familienhilfe Mannheim und sieht sich alltäglich mit vielerlei Fragen konfrontiert. Auch von Schulbegleitern, die oft Quereinsteiger sind und sich auf Neuland bewegen, nicht wissen, wie sie das behinderte Kind in der Schule genau unterstützen sollen.
Auch Pädagogen, weiß Bertsch aus Erfahrung, wissen oft nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollen und wie viele Aufgaben der Schulbegleiter übernehmen kann. "Also habe ich ein Jahr lang von 2018 bis 2019 alle Fragen zusammengetragen, die immer wieder an mich herangetragen worden sind", erzählt Bertsch.
"Dann habe ich ein Jahr lang abends daran geschrieben." Eigentlich war das Nachschlagewerk zunächst innerbetrieblich für Schulbegleiter gedacht, aber dann ermutigte sie eine Sonderpädagogin, das Buch doch zu veröffentlichen. Sie brachte das Werk tatsächlich in Eigenregie, aber mit Unterstützung ihres Arbeitgebers auf den Weg. Zu Beginn der Corona-Krise im März 2020 erschien dann der Ratgeber.
Obwohl sie kaum Werbung machen konnte, das Buch nicht wie geplant beispielsweise in Kindereinrichtungen oder Logopädie-Praxen auslegen konnte, verkaufte sie über ihre Online-Seite immerhin gut 900 Exemplare bis nach Berlin und Österreich.
Das reichte laut Bertsch aber bislang nur, um die Kosten zu decken. Verdient habe sie daran bislang nicht. Das steht für sie auch nicht im Vordergrund. Aus ihrer Sicht ist Inklusion ein wichtiges Thema, bei dem es um "Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit" geht. Sie findet: "Die Chance, das Kind auf eine Regelschule zu schicken, sollte immer da sein." Auch weil sie davon überzeugt ist, dass alle davon profitieren können. So könnten auch schon Kindergartenkinder lernen, dass jemand, der deine Unterstützung benötigt, auch dein Freund sein kann. Sonderpädagogischen Einrichtungen will sie ihre Daseinsberechtigung dabei aber nicht absprechen. Manchmal bräuchten behinderte Kinder genau diese Unterstützung.
Bertsch selbst hat beruflich wie privat vielerlei Erfahrungen gesammelt. So gibt es in ihrem Verwandtenkreis mehrere Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen.
Da es Bertsch außerdem ein Anliegen ist, Kindern zu helfen, hat sie sich für diesen Beruf entschieden. Sie selbst hat drei Töchter, von denen zwei auch das Cover des Ratgebers gestaltet haben. Eigentlich ist Bertsch gelernte Kauffrau, seit 2015 arbeitet sie nun bei der Vereinigung für Hauspflege und Familienhilfe. Diese begleitet derzeit knapp 100 Kinder mit Inklusionsbedarf in Schulen und Kindergärten in Mannheim und dem Rhein-Neckar-Kreis.
Daher weiß Bertsch, wovon sie spricht. Oft fehlt es nicht nur an Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten, auch Gesetzestexte und fachbezogene Begriffe lassen Eltern oft ratlos zurück. Diese hat Bertsch in ihrem Ratgeber in verständliche Sprache gebracht. Auch in ihrem Alltag muss sie oft Hilfestellung beim Ausfüllen von Formularen leisten.
So ist es aktuell durch die Corona-Situation beispielsweise so, dass Schulbegleiter nur nach Einzelfallentscheidungen nach Hause kommen dürfen, um beim Homeschooling zu unterstützen. "Dabei sind viele Eltern gerade jetzt überfordert", bedauert Bertsch diese Regelung. Generell habe häusliche Gewalt gegenüber Kindern in der Pandemie zugenommen, berichtet sie bedauernd. Hier arbeiten sie eng mit den Behörden zusammen.
Auch dass es für Schulbegleiter keine spezifische Ausbildung gibt, kritisiert sie. Oft kennen sich diese gar nicht mit den verschiedenen Behinderungen aus. Deshalb bietet die Vereinigung für Hauspflege und Familienhilfe auch eine interne Fortbildung dazu an und hält fest, was für Aufgaben der Schulbegleiter genau übernehmen soll. Eine entsprechende Mustervereinbarung findet sich ebenfalls im Ratgeber.
Was sich Bertsch für die Zukunft wünschen würde? "Dass mehr informiert wird und dass es eine Ausbildung für Schulbegleiter gibt", so die Leutershausenerin. "Und dass Inklusion in Deutschland Normalität wird. Da sind andere Länder schon viel weiter."
Info: "Inklusion auf Augenhöhe" von Sabrina Bertsch gibt es für 9,95 Euro unter https://inklusions-ratgeber.de/.