RNZ
  • E-Paper
  • Online-Service-Center
  • ABO
  • Anzeigen
  • Geschenkzeitung
RNZ

  • RNZ
  • Hoher Nistler
  • Die Geschichte
  • Die Menschen
    • Überlebende - Hinterbliebene
    • Helfer
    • Zeitzeugen
    • Erinnerungen
  • Der Hintergrund
    • Das Flugzeug
    • Die Rettungskette
    • Abstürze in der Region
    • Bunkerlow
  • Das Projekt
    • Mitwirkende
    • Projektbeschreibung
  • Die Menschen
  • Überlebende - Hinterbliebene
  • Artikel
Artikel versenden Artikel drucken Artikel vorlesen
  • Artikel versenden
  • Share on Facebook
  • Tweet

Absturz Hoher Nistler: Eine Tragödie aus zwei Perspektiven

Als am 22. Dezember 1991 ein Flugzeug mit dem Cinema Concetta-Filmteam und Komparsen an Bord am Hohen Nistler abstürzte, verloren Eberhard und Inge Malwitz ihren Sohn Ralf. Er war der Kameramann des Kurzfilms "Bunkerlow". Eckhard Kuchenbecker war der Tonmeister und überlebte. Gegenüber der Rhein-Neckar-Zeitung haben sie sich erstmals gemeinsam über ihre Erinnerungen rund um den Absturz geäußert.

Noch 10 Gratis-Artikel diesen Monat. RNZonline Angebote
22.12.2016, 06:00 Uhr

Inge und Eberhard Malwitz haben beim Flugzeugabsturz am Hohen Nistler ihren Sohn Ralf verloren. Eckhard Kuchenbecker überlebte das Unglück. Erstmals erinnern sie sich zugleich an die Geschehnisse rund um den 22. Dezember 1991 zurück. Fotos: Maren Wagner

Von Michael Abschlag und Maren Wagner

Eberhard Malwitz arbeitete als Diplom-Ingenieur in der physikalischen Grundlagenforschung und war immer auch Künstler und Autor. Ein schlanker, 78 Jahre alter Mann mit glattrasiertem Gesicht und weißen Haaren. Seine Frau Inge, 76, zierlich, mit kinnlangem braunen Bob, war Bibliotheksangestellte. Sie leben in einem ruhigen Wohngebiet bei Darmstadt, wo man noch darauf achtet, wer sich auf die Anwohnerparkplätze stellt.

Nachdem Eberhard und Inge Malwitz ihren Sohn Ralf verloren hatten, klingelte nur ein Ehepaar an der Tür, andere Nachbarn taten, als wüssten sie von nichts. Ihre Erinnerungen erzählen sie gemeinsam, er spricht länger, die Stimme fester, sie muss oft nach wenigen Sätzen abbrechen.

Inge Malwitz: Ralf war immer freundlich und hilfsbereit.

Eberhard Malwitz: Und er war beliebt, bei allen beliebt.

Inge Malwitz: Er hatte viele Freunde. Sie haben manchmal gesagt, "Wenn der Ralf dabei ist, dann ist einem nie langweilig, da ist immer was los".

Eberhard Malwitz: Er hat sich seine Möbel selbst gebaut. Ein Schreibtisch steht noch oben bei mir in meinem Atelier. Und er hatte ein Stipendium, für ein Zweitstudium zum Kameramann in Los Angeles.

Inge Malwitz: Ralf stand voll im Leben, für seine dreißig Jahre hat er viel erlebt, und das tut doch gut. Manchmal überlege ich, was wohl aus ihm geworden wäre. Auf jeden Fall hätte er das alles ganz toll gemacht, er hätte es zu was gebracht.

Eckhard Kuchenbecker, 55, ist freiberuflicher Filmtonmeister und Sounddesigner. Wir treffen ihn in seinem Tonstudio in Aschaffenburg. Rötlich-braune Haarsträhnen fallen in seine Stirn, an einer Kordel um den Hals hängt seine Lesebrille. Seit dem Flugzeugabsturz hat er bei mehr als 100 TV- und Kino-Produktionen mitgearbeitet, er ist einer der Gründer von "Yoursounds", einem Online-Tonarchiv. Das Gespräch zeichnet er mit einem Mikrofon auf.

Eckhard Kuchenbecker: Es gibt keinen Tag ohne einen Gedanken an ebendiesen einen Tag.  Oft ist es auch ein Gedanke an Ralf.  Wir waren sehr gut befreundet. Ich frage mich auch, wie seine Eltern, was wäre eigentlich… Wir könnten gemeinsam an Filmen arbeiten, das war für uns greifbar. Auch mit Martin Kirchberger gemeinsam. Die Gruppe hatte weitere Pläne, nach dem ersten geförderten Projekt. Unsere Perspektive war, weiter zusammenzuarbeiten und gemeinsam Aufträge zu bekommen.

Ralf Malwitz (2.v.l.) und Eckhard Kuchenbecker (r.) 1990 bei den Filmfestspielen in Hof. Es war die Premierenfeier des Films „Das deutsche Kettensägenmassaker“ von Regisseur Christoph Schlingensief, den Malwitz und Kuchenbecker gemeinsam gedreht haben. Foto: Bildarchiv Eckhard Kuchenbecker

Vor dem Flugtag

Eberhard Malwitz: Ralf studierte noch in Los Angeles. Dann hat Martin Kirchberger ihn angerufen und gefragt, ob er nicht kommen und ihm helfen könnte, bei diesem Film. "Bunkerlow" war Martins Projekt, und er wollte unbedingt Ralf als Kameramann haben.  

Eckhard Kuchenbecker: Mit Martin Kirchberger hatten wir, die wir von der Hochschule für Gestaltung in Offenbach kamen, mehrere Filme gemacht. "Bunkerlow" war ein gemeinsames Projekt von Martin, Ralf und Klaus Stieglitz. Es müssen nun einmal Positionen benannt werden, einer muss der Regisseur sein. Aber Cinema Concetta war doch eine gemeinsame Geschichte der drei.

Eberhard Malwitz: Ungefähr 14 Tage war er bei uns. Aber er ist oft weg zum Arbeiten am Set.

Inge Malwitz: Die Zeit musste ja ausgenutzt werden. Mitte Januar musste Ralf wieder nach Los Angeles.

Eckhard Kuchenbecker: Es waren zwei Drehtage in der Maschine am Boden, und ein Drehtag auf dem Rollfeld, da haben wir aufgenommen, wie die Passagiere ins Flugzeug gehen. Das wurde alles am Flughafen in Egelsbach gedreht. An diesem dritten Tag hätte auch geflogen werden sollen, aber Egelsbach war komplett dicht, alles vernebelt. Dann wurde der Flug verschoben. Aber die Piloten haben die Maschine bei dichtestem Nebel trotzdem von Egelsbach an den neuen Flughafen in Frankfurt geflogen. Da sind wir dann am 22. Dezember auch gestartet.

Drei Tage lang hatte das Cinema Concetta-Filmteam bereits am Boden und auf dem Rollfeld am Flughafen in Egelsbach gedreht. Foto: Bildarchiv Eckhard Kuchenbecker

Eberhard Malwitz: Am Vorabend seines Flugs hat Ralf mir geholfen, die Sauna aufzubauen. Da habe ich lange mit ihm gesprochen. Ich habe ihn gefragt, warum er überhaupt mitfliegen und noch einmal filmen musste. Der ganze Film wurde schließlich bereits am Boden gedreht.

Eckhard Kuchenbecker: Ich verstehe die Frage danach, warum überhaupt geflogen werden musste, nicht. Die Dreharbeiten waren natürlich nicht fertig, so lange im Drehbuch noch Szenen mit Piloten stehen, die Texte sprechen. Das war eine ganz normale Entscheidung, dass man fliegt, damit man auch einmal sieht, dass die Maschine tatsächlich in der Luft ist.  

Eberhard Malwitz: Ich habe Ralf an diesem Abend gelobt, habe ihm gesagt, dass ich stolz auf ihn bin, weil er so selbstständig ist, sich durch Jobs alles selbst finanziert, besonders seine Afrikareisen mit dem Motorrad. Am nächsten Morgen habe ich dann noch die Tür ins Schloss fallen hören, ganz früh musste er raus. Und das war für uns das Ende.

Eckhard Kuchenbecker: Wir haben uns in Frankfurt getroffen, lange bevor die Piloten und die Komparsen gekommen sind. Ich musste für mein Studio an Bord Kabel durch die Maschine ziehen, die bei mir hinten in der Bordtoilette ankamen, mein Mischpult aufbauen. Die Fenster wurden mit Folie beklebt. Wir haben immer alles gemeinsam gemacht. Dann kamen sie alle. Auch der Flugbegleiter, Hagen, mit dem ich mich wirklich angefreundet hatte in den Tagen, an denen wir am Boden gedreht hatten. Er meinte, also das geht jetzt wirklich gar nicht mit meinem Studio dahinten in der Toilette, der Platz ist nicht versichert, da gibt’s keinen Gurt. Aber ich konnte es in der kurzen Zeit gar nicht mehr ernsthaft rückbauen, außerdem waren alle Plätze besetzt.

Eberhard Malwitz: Einige der Komparsen haben sich über eine Annonce im Rüsselsheimer Echo gemeldet. Unsere Nachbarn waren auch im Flugzeug; sie hatten unseren Sohn angesprochen, ob sie beim Film mitmachen dürften. Sie sind auch tot.

Eckhard Kuchenbecker: In den drei Drehtagen davor habe ich mich mit Hagen viel darüber unterhalten, was wir in Flugzeugen schon so alles erlebt hatten. Letztendlich waren die letzten Worte zwischen mir und Hagen dann, "Was soll denn schon zu unseren Geschichten noch dazu kommen?". Das war das Letzte, das ich mit Hagen besprochen habe.

Beim Flug

Eberhard Malwitz: Wir wussten nur ungefähr, wo das Flugzeug hinfliegt. Wir haben uns eingebildet, die Maschine fliegt hier über uns. Und dann standen wir so gegen 11 Uhr im Garten und haben auf Motorengeräusche gewartet. Der Himmel war bedeckt, aber unter den Wolken war die Sicht gut.

Eckhard Kuchenbecker: Es war kalt, neblig, wolkenverhangen, windig. Wir haben die Diskussion mitgekriegt über die Startfreigabe. Die Entscheidung, einfach über dem Rheintal zu bleiben, wurde von uns akzeptiert. Wer das jetzt entschieden hat, die Piloten oder der Tower, die Flugsicherung, das war für mich unerheblich.

Eberhard Malwitz: Man hätte das Flugzeug sehen oder zumindest hören müssen. Aber nichts. Meine Frau und ich sind dann wieder in den Keller gegangen. Sie hat den Hobbyraum geputzt und die Sauna hergerichtet, die Ralf und ich aufgebaut hatten. Ich wollte in der Waschküche unser Weinregal an der Wand befestigen.

Eckhard Kuchenbecker: Ein konkretes Ziel hatten wir für den Flug nicht. Es ging nur darum, so lange zu fliegen, bis die Szenen im Kasten sind.

Eberhard Malwitz: Nach dem Absturz haben wir den Film bekommen, den Ralf im Flugzeug gedreht hatte. Darauf höre ich Ralfs Stimme, wir kennen ja seine Stimme. Er hat mit Martin Kirchberger und den Piloten geredet.

Eckhard Kuchenbecker: Die Tür zur Bordtoilette war geschlossen. Ich habe also überhaupt nichts gesehen von dem Flug und hatte nur über meine Kopfhörer die Eindrücke von außen. Die Piloten waren so mit Mikrofonen versehen, dass ich alle Gespräche aufgenommen habe. Wobei ich einmal kurz raus bin. Ich habe vorne aus dem Cockpit rausgeguckt.

Eberhard Malwitz: Auf dem Film sieht man, wie der Pilot irgendwann nach hinten geht. Ralf hat dann mit dem Co-Piloten gesprochen.

Eckhard Kuchenbecker: In erster Linie ist der Pilot wahrscheinlich deshalb aus dem Cockpit, weil die Kamera den Platz eingenommen hat.

Eberhard Malwitz: Möglicherweise ist bei diesem Wechsel ein Missverständnis passiert. Ralf hält einmal die Kamera zum Fenster und fragt, "Ist das der Rhein?" Da hat der Co-Pilot gesagt: "Ja". Aber was man gesehen hat, war der Neckar. Das war die Schleusenanlage vor Heidelberg.

Eckhard Kuchenbecker: Ich habe jede Sekunde von den Tonbändern zig mal gehört. Die Schleuse, das ist der Punkt, an dem es schiefläuft. Oder kurz vorher. Aber jetzt ist der Pilot wirklich ohne Orientierung. Wenn man sich das heute anhört, muss man natürlich sagen, jetzt wird es komisch. Während des Flugs kam mir aber nichts komisch vor. Für mich befand sich das Flugzeug über dem Rhein, nach dieser Aussage, die ich gehört hatte. Insofern gab es keinen Grund zur Besorgnis.

Die Originalaufnahmen aus dem Flugzeug wurden Familie Malwitz später übergeben. Für die Aufklärung des Absturzes war der Film äußerst wichtig. Die Ermittler konnten so das Unglück nachvollziehen. Foto: Wagner

Eberhard Malwitz: Dann kommt die Stelle, an der der Pilot misstrauisch wird und sagt, "Ist das ein Mist-Wetter".

Inge Malwitz: "Scheiß Wetter", sagt er.

Eberhard Malwitz: Genau, "Ist das ein Scheiß Wetter." Und dann wird er ganz still. Man hört, dass er eine Kurve einleitet, die Motoren werden lauter.

Eckhard Kuchenbecker: Zunächst geht es ganz normal weiter. Es wird über das Wetter gesprochen, aber laut Drehbuch. Ralf sagt, "Können Sie das noch mal sagen mit dem Wetter". Das wird wiederholt, wie man eine Szene eben noch mal dreht. In dem Moment kippt es aber tatsächlich, fast innerhalb von Sekunden. Zum Drehbuchtext kommt die Realität dazu und der Pilot sagt ungeplant "Das ist aber auch ein Scheiß Wetter". Und dann "Moment mal, stopp", aber das war immer noch nichts, bei dem ich dachte, irgendetwas ist gefährlich.

Eberhard Malwitz: Ganz am Schluss ist dann auf dem Film noch zu hören, wie der Co-Pilot sagt, "Tut mir leid, aber…".

Eckhard Kuchenbecker: Ich habe das alles ganz genau über meine Kopfhörer gehört, aber es hatte zu dem Zeitpunkt noch keine Bedeutung für mich. Erst hat der Co-Pilot gesagt, "Moment mal, stopp", und dann "Tut mir leid, aber…". Er entschuldigt sich, weil er die Dreharbeiten nicht unterbrechen wollte. So dachte ich das damals jedenfalls. Jetzt ist das anders, wenn man hört, wann er das sagt. In dem Moment fliegt er ohne Sicht. Worauf dann ja weitere 15 Sekunden lang nichts passiert.

Eberhard Malwitz: Dann hört man ein schleifendes Geräusch.

Eckhard Kuchenbecker: Es ist in meiner Erinnerung und auf den Tonbändern ein ganz ruhiger Flug, bis zu dem Punkt, an dem die Maschine zum ersten Mal wahrscheinlich Bäume berührt. Das muss ich in bleibender Erinnerung behalten haben, denn das war der Grund, warum ich zunächst kein Auto mehr fahren wollte. Besonders nicht auf diesen alten Autobahnen, an denen Betonplatten aneinanderstoßen. Dieses dudum, dudum, dudum. Diese Erschütterung ist das, was ich mit den letzten Eindrücken verbinde, die ich ganz kurz vor dem Absturz wahrgenommen habe. Aber das kann sich nur um Bruchteile von Sekunden vorher gehandelt haben.

Eberhard Malwitz: Dann kommt ein Piepston, ein Notsignal, das immer ausgelöst wird, wenn Flugzeuge abstürzen.

Nach dem Absturz

Eckhard Kuchenbecker: Ich sehe noch das Bild vor mir, wie sich meine Geräte, die vorher vor mir waren, in der Luft befinden. Ich dachte, das ist eine Turbulenz. Dann wurde ich bewusstlos. Und dann bin ich aufgewacht, ohne zu wissen, was passiert ist. Aber irgendetwas ist merkwürdig. Keine Motoren mehr, es ist ruhig. Der Schritt durch die Tür der Bordtoilette führte dazu, dass ich im Wald stehe. Und das ist in dem Moment einfach unfassbar. Denn was soll ich denn im Wald? Also blieb nur die Schlussfolgerung, es ist ein Traum, ich muss wach werden. Ich muss ja arbeiten, muss für den Film Töne aufnehmen. Letztlich war dann aber die Erkenntnis da, dass die Katastrophe passiert ist.

Eberhard Malwitz: Meine Frau summte beim Putzen im Hobbyraum zur Musik aus dem Radio. Dann hörte ich, wie sie stöhnte, ich hörte ein gequältes "Nein". So etwas hatte ich vorher noch nie gehört. Ich spürte, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Inge stand im Hobbyraum vor dem winzigen Radio und hielt sich die Ohren zu.

Eckhard Kuchenbecker: Weil ich niemanden gesehen habe, dachte ich, die anderen seien schon weg, sie hätten mich hier vergessen. Ich habe mich dann kontrolliert, weil ich blutete. Ich habe auch kontrolliert, ob meine Beine überhaupt da waren. Und dann wollte ich wegrennen.

Eberhard Malwitz: Als ich mich zu Inge und dem Radio stellte, hörte auch ich den Sprecher: "DC-3 bei Heidelberg am Hohen Nistler abgestürzt", sagte er, "Die Absturzstelle ist abgesperrt, niemand wird durchgelassen." Dann: "Das Flugzeug ist gegen Bäume geprallt."

Eckhard Kuchenbecker: Dann dachte ich aber, dass kann nicht sein, dass das alles schon vorbei ist. Also bin ich wieder zurück, habe angefangen zu suchen, ich habe die Namen gerufen, die ich kannte. Ich habe auch etwas gehört und bin in die Richtung gelaufen. Ich weiß das, aber die Bilder dazu hatte ich nie. Ich erinnere mich, dass ich Frau Heeb gefunden habe, oder erst die beiden anderen Überlebenden. Ich erinnere mich an die beiden Körper auf dem Waldboden und an den Blick in Frau Heebs Gesicht. Aber dazu, dass ich mit Frau Heeb durch das ganze Feld mit diesen Trümmerteilen gelaufen bin, gibt’s kein Bild.

Beim Aufprall auf den Hohen Nistler wird das Flugzeug regelrecht in Stücke gerissen. Die Polizei findet später unzählige Metallteile, verteilt auf einer Fläche von Hunderten Quadratmetern. Foto: RNZ-Archiv

Eberhard Malwitz: Als wir die Nachrichten im Radio hörten, gab es für mich noch Hoffnung, dass Ralf gar nicht mitgeflogen war. Ich bin nach Frankfurt gefahren, um zu schauen, ob sein Auto dort stand.

Eckhard Kuchenbecker: Dann bin ich wirklich losgerannt, Richtung Handschuhsheim. Ich habe mich an Wanderwegweisern orientiert. Da standen noch andere Ziele, aber die waren weiter weg. Als ich merkte, dass der Weg in langen Serpentinen runterläuft, habe ich mich entschieden, es geht schneller, wenn ich den Berg runter laufe. Gerade runter.

Eberhard Malwitz: Wir haben zunächst keine Telefonverbindung bekommen, es war unmöglich herauszufinden, was überhaupt geschehen war.

Eckhard Kuchenbecker: Ich bin zum Haus einer Frau gekommen, Frau Fröhling, und sie hat mir tatsächlich aufgemacht. Ich war vorher an anderen Häusern, aber nur sie hat aufgemacht. Für mich ist Frau Fröhling in dem Moment fast in Ohnmacht gefallen. Ich erinnere mich noch an ihren Ausspruch, "Mein Gott, was ist denn mit Ihnen passiert?". Ich habe ihr gesagt, dass unser Flugzeug abgestürzt ist.

Eberhard Malwitz: Irgendwann habe ich die Polizei erreicht. Die haben mir gesagt, "Bleiben Sie weg, wir haben alles abgesperrt, Sie kommen nicht ran".

Inge Malwitz: Das erste Mal war so um 18 Uhr, als sie gesagt haben, er wäre nicht… haben Sie doch gesagt…?

Eberhard Malwitz: Ja, erst hat die Polizei gesagt, sie hätten Ralf nicht gefunden.

Eckhard Kuchenbecker: Dann kam eine Streife zum Haus. Ob ich den Weg zur Absturzstelle zeigen könnte, haben sie mich gefragt. Das konnte ich natürlich. Ich bin dann ins Auto gestiegen und mit den beiden Beamten losgefahren, aber die Fahrt ging nicht weit, weil da eine Forstschranke war. Als wir mit dem Auto standen, ging gleichzeitig der Funkverkehr. Da hatte ein Förster was gehört, hatten Spaziergänger was gehört. Also war schon Alarm ausgelöst worden, und wir hörten, dass Rettungskräfte von der anderen Seite vor Ort angekommen waren.

Inge Malwitz: Die Polizei hat gesagt, es gebe Überlebende…

Eberhard Malwitz: Ja, da haben wir gehofft, er ist dabei.

Eckhard Kuchenbecker: Ich bin dann mit den Beamten in die Uniklinik gefahren. Auf dem Weg wurde das ganze Ausmaß schon deutlich. Als wir in die Stadt reinfuhren, waren alle Verbindungsstraßen, alle Kreuzungen gesperrt. Es kamen Rettungswagen, Feuerwehr, Polizei, alles in die eine Richtung. Und wir mussten in die andere.

Inge Malwitz: Später hat die Polizei dann gesagt, Ralf wäre nicht unter den Überlebenden.

Eberhard Malwitz: Ich rief dann unsere Tochter Karin in Frankfurt an. Sie, die in die Fußstapfen ihres Bruders getreten und Filmemacherin war, liebte ihren Bruder über alles. Ich musste es ihr sagen. Hätte ich geahnt, was ich mit dieser Nachricht auslösen würde, wäre ich besser zu ihr gefahren.

Ralf Malwitz gehörte zu den 28 Absturzopfern. Foto: Maren Wagner

Eckhard Kuchenbecker: Von der Notaufnahme aus wurden die Telefonate geführt vom Leiter des Einsatzes. Ich habe den Arzt immer wieder sprechen hören. Es wurde telefoniert mit Basel und Frankreich, alle Teams, die in kurzer Zeit in der Lage waren, nach Heidelberg zu kommen, wurden herübergerufen. Bis dahin dachte ich, die anderen werden noch irgendwann kommen. Erst als ich mitbekam, dass der gleiche Arzt diesen Einsatz abblies, mit den Worten, es sei kein Bedarf, es brauche niemand nach Heidelberg zu kommen, es komme keiner mehr runter, wurde mir klar, was passiert war.

Eberhard Malwitz: Es war nachts, als wir diese Nachricht bekamen. Aber keine Auskunft, wie Ralf aussah, wie er gestorben war. Ich habe mir das sehr schrecklich ausgemalt.

Eckhard Kuchenbecker: Das war das erste Mal, dass ich richtig erkannt habe, dass meine Freunde tot sind und dass es unglaublich viele andere Tote gibt.

Eberhard Malwitz: Am Telefon hat uns die Polizei nur gesagt: "Bleiben Sie da, wo Sie sind, kommen Sie nicht her."

Eckhard Kuchenbecker:  Ich habe relativ schnell meine Eltern angerufen, ob das in der Klinik war oder schon davor, weiß ich nicht mehr. Ich wusste, das geht jetzt überall in die Nachrichten und ich muss meinen Eltern sagen, dass ich lebe. Dann habe ich meinen Freund in München angerufen, der das ganze Tonequipment zur Verfügung gestellt hatte, und habe ihm mitgeteilt, dass alles zerstört ist. Und dann wollte ich nach Hause. Aber ich sah auch ein, dass die Ärzte das nicht zulassen wollten. Also blieb ich da.

Eberhard Malwitz: Ich bereue heute, dass ich an dem Tag nicht mehr hingefahren bin. Wir sind am nächsten Tag hin.

Inge Malwitz: Die Polizei hatte abgesperrt und alles bewacht. Du hast doch dann mit einem Polizisten gesprochen, und dann durften wir überhaupt erst an die Absturzstelle und ein bisschen gucken.

Eberhard Malwitz: Das war dramatisch da oben. Da steckten im Baum Metallteile drin, Sitzreihen standen herum.

Die Bundesstelle der Flugunfalluntersuchung hat noch zahlreiche Fotos von der Absturzstelle in ihrem Archiv. Sie dokumentieren die Zerstörung. Foto: Wagner

Eckhard Kuchenbecker: Die Polizei ist schon am Tag des Absturzes zu mir ins Klinikum gekommen, um mit mir zu sprechen. Und am nächsten Tag habe ich mich dann von meinen Freunden abholen lassen.  

Eberhard Malwitz: Die Polizei kam dann auch bei uns vorbei.

Inge Malwitz: Ich glaube, das war zwei Tage später. Sie haben von außen den Schlüssel ins Türschloss gesteckt. Sie hatten den gefunden und mussten jetzt gucken, wo er hingehört und ob das stimmte, dass Ralf unter den Opfern war. Der Schlüssel passte.

Eberhard Malwitz: Ich habe meinen Sohn nach dem Absturz nicht mehr gesehen. Weil ich immer dachte, ich will ihn nicht so sehen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Heute bereue ich das. So aber sehe ich ihn immer noch freundlich und lachend vor mir. Später durften wir in den Akten blättern und Ralf war gar nicht so verletzt.  

Eckhard Kuchenbecker: Ich habe lange nicht über den Absturz gesprochen. Das erste Mal war ungefähr zehn Jahre später. Die Tonbänder habe ich mir viel später erst angehört. Ich glaube, ich habe erst vor dem 20. Jahrestag angefangen, mich dem Absturz tatsächlich noch mal zu nähern. Ich habe die Bänder digitalisiert, um sie zu retten, um sie zu archivieren, aber nicht, um sie zu hören. Ich wollte die Bänder nicht anhören. Auch weil ich befürchtete, dass die Bilder, die bis heute fehlen, wieder ausgelöst werden. Irgendwann aber war der Zeitpunkt da, an dem ich mir sicher war, jetzt passiert das nicht mehr.


  • Meist gelesen |
  • Zuletzt kommentiert |
  • Meist kommentiert
Zuletzt kommentiert
  • Sandhausen/Heidelberg: Trotz Anmeldung wurde vorerkrankter 79-Jähriger im Impfzentrum abgewiesen
  • Sinsheim: Ämter und Klinik warnen vor Ausbreitung von Corona-Varianten
  • Neckargemünd/Heidelberg: Nur noch drei Spuren für Autos auf der B37
  • Mannheim: Sternekoch schließt  sein Restaurant in Q6/Q7
  • Nach Ansturm: Noch ist nicht jede "Alla Hopp!"-Anlage in der Region ist zu
  • Hirschhorn: Ärger wegen der Sperrung der Schleusenbrücke
  • Extinction Rebellion: Klimaaktivisten fälschen CDU-Wahlplakate mit eigenen Sprüchen
  • Heidelberg: Corona-Fälle in drei Kitas
  • Tötungsdelikt in Eschelbach: 14-jähriger Junge tötet 13-Jährigen in Eschelbach
  • Region Wiesloch/Walldorf: Alle Landtagskandidaten wollen den Radverkehr stärken
Meist kommentiert
  • Neckargemünd/Heidelberg: Nur noch drei Spuren für Autos auf der B37
  • Heidelberg: Corona-Fälle in drei Kitas
  • Heidelberg: Impfungen mit Astra-Zeneca-Vakzin kaum nachgefragt - viele freie Plätze
  • Sandhausen/Heidelberg: Trotz Anmeldung wurde vorerkrankter 79-Jähriger im Impfzentrum abgewiesen
  • Rhein-Neckar: So wenige Unfälle wie lange nicht mehr - außer bei Pedelecs
  • Heidelberg: Grundschulen-Öffnung ist eine organisatorische Meisterleistung
  • Sinsheim: Ämter und Klinik warnen vor Ausbreitung von Corona-Varianten
  • Kriminalität: Corona bremste Straftäter auch in der Rhein-Neckar-Region aus
  • Mannheimer Sicherheitsbefragung: Furcht vor Kriminalität ist gesunken
  • Heidelberg: Forstarbeiten im Mühltal "ökologisch sinnvoll"
Meist gelesen
  • Tötungsdelikt in Eschelbach: Passanten hörten Kinderschreie - 14-Jähriger blutverschmiert (Update)
  • Baden-Württemberg: Wer darf sich jetzt zur Impfung anmelden? - Der Überblick
  • Realschule Östringen: Schüler nach Messerangriff außer Lebensgefahr (Update)
  • Corona-Ticker Neckar-Odenwald: Inzidenz wieder im grünen Bereich (Update)
  • Corona-Ticker Baden-Württemberg: Inzidenz im Südwesten steigt erneut leicht (Update)
  • Sandhausen/Heidelberg: Trotz Anmeldung wurde vorerkrankter 79-Jähriger im Impfzentrum abgewiesen
  • Heidelberg: Corona-Fälle in drei Kitas (Update)
  • Eppingen/Zaisenhausen: Motorrad-Fahrer starb bei Unfall auf der B293 (Update)
  • Halt in Heidelberg: "Alpen-Sylt-Nachtexpress" fährt zu Pfingsten wieder
  • Tierheim Dallau: Katzendame Polly kehrt nach 13 Jahren heim (plus Video)

Artikel versenden Artikel drucken Artikel vorlesen
  • Artikel versenden
  • Share on Facebook
  • Tweet

Alles kostenlos? 

Guter Journalismus kostet Geld. Deshalb bietet die RNZ das RNZonline-Abo an. Qualität ist unser Markenzeichen.

Ihre RNZ.

 

Mehr Infos hier...

  • Meist gelesen |
  • Zuletzt kommentiert |
  • Meist kommentiert
Zuletzt kommentiert
  • Sandhausen/Heidelberg: Trotz Anmeldung wurde vorerkrankter 79-Jähriger im Impfzentrum abgewiesen
  • Sinsheim: Ämter und Klinik warnen vor Ausbreitung von Corona-Varianten
  • Neckargemünd/Heidelberg: Nur noch drei Spuren für Autos auf der B37
  • Mannheim: Sternekoch schließt  sein Restaurant in Q6/Q7
  • Nach Ansturm: Noch ist nicht jede "Alla Hopp!"-Anlage in der Region ist zu
  • Hirschhorn: Ärger wegen der Sperrung der Schleusenbrücke
  • Extinction Rebellion: Klimaaktivisten fälschen CDU-Wahlplakate mit eigenen Sprüchen
  • Heidelberg: Corona-Fälle in drei Kitas
  • Tötungsdelikt in Eschelbach: 14-jähriger Junge tötet 13-Jährigen in Eschelbach
  • Region Wiesloch/Walldorf: Alle Landtagskandidaten wollen den Radverkehr stärken
Meist kommentiert
  • Neckargemünd/Heidelberg: Nur noch drei Spuren für Autos auf der B37
  • Heidelberg: Corona-Fälle in drei Kitas
  • Heidelberg: Impfungen mit Astra-Zeneca-Vakzin kaum nachgefragt - viele freie Plätze
  • Sandhausen/Heidelberg: Trotz Anmeldung wurde vorerkrankter 79-Jähriger im Impfzentrum abgewiesen
  • Rhein-Neckar: So wenige Unfälle wie lange nicht mehr - außer bei Pedelecs
  • Heidelberg: Grundschulen-Öffnung ist eine organisatorische Meisterleistung
  • Sinsheim: Ämter und Klinik warnen vor Ausbreitung von Corona-Varianten
  • Kriminalität: Corona bremste Straftäter auch in der Rhein-Neckar-Region aus
  • Mannheimer Sicherheitsbefragung: Furcht vor Kriminalität ist gesunken
  • Heidelberg: Forstarbeiten im Mühltal "ökologisch sinnvoll"
Meist gelesen
  • Tötungsdelikt in Eschelbach: Passanten hörten Kinderschreie - 14-Jähriger blutverschmiert (Update)
  • Baden-Württemberg: Wer darf sich jetzt zur Impfung anmelden? - Der Überblick
  • Realschule Östringen: Schüler nach Messerangriff außer Lebensgefahr (Update)
  • Corona-Ticker Neckar-Odenwald: Inzidenz wieder im grünen Bereich (Update)
  • Corona-Ticker Baden-Württemberg: Inzidenz im Südwesten steigt erneut leicht (Update)
  • Heidelberg: Corona-Fälle in drei Kitas (Update)
  • Sandhausen/Heidelberg: Trotz Anmeldung wurde vorerkrankter 79-Jähriger im Impfzentrum abgewiesen
  • Eppingen/Zaisenhausen: Motorrad-Fahrer starb bei Unfall auf der B293 (Update)
  • Halt in Heidelberg: "Alpen-Sylt-Nachtexpress" fährt zu Pfingsten wieder
  • Tierheim Dallau: Katzendame Polly kehrt nach 13 Jahren heim (plus Video)
KLARO!
  • Klaro! - Sport
  • Klaro! - Wissen
  • Klaro! - Tiere
  • Klaro! - Neues
Ratgeber
  • Verbraucher
  • Technik
  • Haus & Garten
  • Mensch & Tier
  • Essen und Trinken
  • Gesundheit
  • Mobilität
  • Reise
  • FamilienZeit
  • Ausbildung & Beruf
Kultur & Tipps
  • Heidelberger Frühling
  • Ausstellungen
  • Kinoprogramm
  • Veranstaltungen
  • Literatur
  • Kultur und Entertainment
  • Kultur Regional
Wissen
  • Das Dossier
  • Umwelt und Innovation
  • Campus
  • Der Mensch im Netz
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Computer und Web
  • Wissenschaft
  • Wissenschaft Regional
Panorama
  • ZeitJung
  • Tracks
  • Bilder des Tages
  • Magazin
  • Lebensart
  • Leute - Das RNZ-Interview
  • Leute
  • Aus aller Welt
Wirtschaft
  • Wirtschaft Regional
  • Wirtschaft Überregional
  • Wirtschaft Magazin
  • DAX
  • Finanzen
  • Das Dossier
Sport
  • 1899
  • SVS
  • SV Waldhof
  • Löwen
  • Adler
  • Academics
  • Astoria Walldorf
  • Regionalsport
  • Rugby
  • Weltsport
  • Fußball
Politik
  • Faktencheck
  • Fotogalerien
  • Das Dossier
  • Newsticker
  • Die Karikatur
  • RNZ-Glosse: Die Ecke
  • Hintergrund
  • Südwest
  • Ausland
  • Inland
Startseite
  • Wiesloch
  • Sinsheim
  • Mosbach
  • Eberbach
  • Buchen
  • Bergstraße
  • Mannheim
  • Metropolregion
  • Region
  • Heidelberg
  • Regionalticker
  • Anzeigen
  • RSS
    • Regionalticker
    • Heidelberg
    • Region Heidelberg
    • Metropolregion Rhein-Neckar
    • Mannheim
    • Bergstraße
    • Buchen
    • Eberbach
    • Mosbach
    • Sinsheim
    • Wiesloch
    • Südwest
    • Wirtschaft Regional
    • Campus
    • 1899 Hoffenheim
    • SV Sandhausen
    • Rhein-Neckar-Löwen
    • Adler Mannheim
  • Wir über uns
  • 75 Jahre RNZ
  • Beratung & Selbsthilfe
 Nach oben
Copyright © Rhein-Neckar-Zeitung 2021 | Kontakt | Karriere | Impressum | Datenschutzbestimmungen der Rhein-Neckar-Zeitung GmbH | AGB
Website by Rhein-Neckar-Zeitung