Für die Schlossfestspiele krempelt das ganze Dorf die Ärmel hoch
Alle für eins: Seit 40 Jahren engagieren sich die Zwingenberger für ihre Schlossfestspiele.

Von Stephanie Kern
Zwingenberg. Ein imposantes Schlosstor, dahinter der zarte Duft von Schmetterlingsflieder, eine riesenhafte Magnolie mit Blättern, so groß wie Männerhände – dann öffnet sich der Blick in den Schlosshof. Gerade werden die Stühle aufgestellt, noch sieht das nicht nach Festspielort aus. "Das Ziel ist, einen Hof zu haben, in den man die Leute lassen kann", sagt Heike Brock.
Brock ist Geschäftsführerin der Schlossfestspiele Zwingenberg. Das kleine Dorf liegt am Neckar, das Schloss thront regelrecht darüber. Dort leben Prinz Ludwig und Prinzessin Marianne von Baden. Einmal im Jahr öffnen sie der Musik und der Kunst ihre Pforten. Und Zwingenberg wird zu einem Dorf, in dem alle anpacken, damit "ihr" Schloss strahlt.
1983 feierten die Schlossfestspiele Premiere. Damals wurde der Freischütz gespielt, jene Oper, die den Italienern Konkurrenz machen sollte und die Geburtsstunde des deutschen romantischen Musiktheaters markiert. Hinter dem Schloss liegt die Wolfsschlucht. Sie soll Carl Maria von Weber überhaupt erst zu seinem Freischütz inspiriert haben. Inzwischen sind die Schlossfestspiele breiter aufgestellt: Traditionell wird eine Oper gegeben (in diesem Jahr des 40. Bestehens ist das natürlich erneut der Freischütz), aber auch ein Musical (Sister Act) und einige kleinere Veranstaltungen stehen auf dem Programm.
Die Festspiele in Zwingenberg sind besonders: Sie haben ein sehr kleines Budget – und das speist sich zu mehr als 50 Prozent aus Kartenverkäufen. Ohne den vielbeschworenen "Geist von Zwingenberg" wäre das nicht möglich. Und diesen Geist lebt Heike Brock vor. Denn die Funktionsbeschreibung "Geschäftsführerin der Schlossfestspiele" übersetzt sie so: "Wir machen alles, was ansteht."
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Im Hauptberuf ist Brock Ergotherapeutin im Kinderzentrum in Mosbach, die Co-Geschäftsführerin Ilka Zwieb leitet eine gemeinnützige Einrichtung mit dem Ziel, arbeitssuchenden Menschen eine neue Zukunftsperspektive zu ermöglichen. Auf Schloss Zwingenberg arbeiten sie ehrenamtlich, investieren Überstunden, freie Tage oder Urlaub. Und sind zuständig "für alles abseits der künstlerischen Leitung". Die liegt in den Händen von Intendant Rainer Roos.
Im Mai ging die Organisation in die heiße Phase. "Da wurden die ersten Mails an die Bauhöfe rausgeschickt." Denn auch die umliegenden Gemeinden sind Mitglied im Trägerverein, und auch sie leisten mittels Bauhofstunden, sprich Manpower, ihren Beitrag. Da sind zum Beispiel 1,5 Kilometer Beleuchtung für den Fußweg zum Schloss aufzuhängen, 761 Stühle im Schlosshof aufzustellen und die große Tribüne muss aufgebaut werden. Es braucht Zelte und Tische, Ton, Technik und Bühne.
Heike Brock ist seit ihrer Kindheit bei den Schlossfestspielen dabei. Im ersten Jahr tanzte sie in der Kindertanzgruppe mit. Mit 18 Jahren übernahm sie einen Ferienjob bei den Schlossfestspielen. "Ich bin dann hängengeblieben." Die Kultur auf dem Schloss lebt von den Ehrenamtlichen. Es gibt einen Festspielchor, in dem einige Sängerinnen und Sänger nun schon seit Jahrzehnten dabei sind. Es gibt aber auch Menschen in Zwingenberg, die ihre Türen und Häuser für die Künstler öffnen.
Eine von ihnen ist Nadine Schleihauf. Eigentlich singt sie seit Jahren im Festspielchor mit, doch in diesem Sommer geht das nicht. Dafür geht etwas anderes: Das Kinderzimmer des Sohnes wird aktuell von Lisa-Maria Wehle bewohnt. Sie ist Dance-Captain und Ensemblemitglied bei Sister Act. Nun wohnt sie Schlafzimmertür an Schlafzimmertür mit Schleihaufs in Zwingenberg. "Das ist sehr familiär, von daher musste es jemand sein, den ich schon kenne", berichtet die Gastmutter. Auch wenn sie die Musicaldarstellerin kaum zu Gesicht bekommt, der Tagesablauf ist ein anderer.
"Es ist mir schon schwer gefallen, dass ich dieses Jahr nicht im Chor dabei sein kann." Doch der Sohn, dessen Zimmer gerade "untervermietet" ist, soll just während der Festspiele besucht werden. Untervermietet steht hier in Anführungsstrichen, denn natürlich ist auch dieses Engagement ehrenamtlich – wenn auch nicht ganz uneigennützig: "So hole ich mir die Schlossfestspiele wenigstens ein bisschen nach Hause", meint Nadine Schleihauf.
Dass so ein Vorhaben wie die Schlossfestspiele Zwingenberg nur im Team funktioniert, betont Heike Brock. Auch Freunde und Bekannte werden eingespannt, wenn es brenzlig wird. "Natürlich gibt es Zeiten, in denen man sich fragt, warum man das macht." Wenn man Heike Brock dann aber fragt, was denn negativ auffalle an ihrer Aufgabe, muss sie schon sehr lange überlegen. "Das Wetter vielleicht. Dinge, die man nicht vorhersehen kann."
Die Schlossfestspiele in Zwingenberg sind nicht für jeden etwas, das betrifft nicht nur ehrenamtliche Helfer, sondern auch Solisten. "Manchen ist es nicht komfortabel genug", räumt Heike Brock ein. Andere hingegen schätzen die Verbesserungen der vergangenen Jahre, die familiäre Atmosphäre und, wie gesagt, den "Geist von Zwingenberg". "Im Bereich Beleuchtung und Sicherheitstechnik haben wir uns definitiv verbessert", findet Brock. Im vergangenen Jahr war das Neckartal von einem Stromausfall betroffen. "Der Schlosshof hat weitergeleuchtet." Denn inzwischen gibt es auch ein Notstromaggregat.
Besonders macht Zwingenberg auch die Logistik. Die Zuschauerinnen und Zuschauer müssen im Ort parken, schon der Fußweg ist ein Erlebnis. In den Schlosshof kann kein Transporter herein, Lieferungen müssen genau getaktet werden, denn es führt nur ein schmaler Feldweg zum Schloss. "Den Aufbau haben wir dieses Jahr etwas entzerrt", erklärt Heike Brock. Die Techniker kamen sonst, wenn die Proben im Schlosshof schon liefen.
"Da musste man sehr viel Rücksicht nehmen, leise sein. Das ist nun alles im Vorfeld erledigt worden." Bei Festspielen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen, ist das auch eine finanzielle Frage. "Und wenn wir abbauen, dann ist hier die Hölle los." Um da Entlastung zu schaffen, wird der Ton zwischen den zwei Hauptproduktionen abgebaut, für die Oper wird er nicht gebraucht – und er kostet auch unnötig Geld.
"Und dann ist das Schlosstor natürlich eine Herausforderung", so die Geschäftsführerin. So gut wie alles muss vor dem Tor abgeladen und dann mit einem Gabelstapler hereingefahren werden. Nur ein paar Scheinwerfer lagern im Marstallgebäude, alles andere muss gebracht werden. "Das Schloss ist ja sonst nur Forstamt und Wohnsitz." Das merkt man nicht zuletzt am Bewuchs. Am Marstall rankt wilder Wein, der noch geschnitten werden muss – sonst fällt eine Reihe Sitzplätze weg. "Das machen aber der Hausmeister oder die Prinzessin selbst. Schneiden und bohren dürfen wir nicht", sagt Heike Brock.
Das Wichtigste, damit es den "Geist von Zwingenberg" überhaupt geben kann, sind die Menschen. "Keiner macht das hier, um richtig viel Geld zu verdienen." Darsteller, Helfer, Techniker – das betrifft alle. "Da müssten wir andere Preise aufrufen, und das wollen wir nicht." Nur 470.000 Euro beträgt das Budget, einen großen Teil schießt der Neckar-Odenwald-Kreis zu. Und auch diese positive Nachricht trägt: Der Vorverkauf in diesem Jahr lief so gut wie nie, das Musical ist bis auf die Spätvorstellung nahezu ausverkauft, die Oper zu zwei Dritteln.
Mehr als 150 Menschen engagieren sich bei den Schlossfestspielen. Viele von ihnen tun das nur für die Sache. Heike Brock an vorderster Front. Ab der kommenden Woche hat sie Urlaub, um sich voll auf die Festspiele zu konzentrieren. "Es ist Stress, aber ich mache es gern. Ein Sommer ohne? Das würde mir schwerfallen."
Hintergrund
INFORMATIONEN
"Sister Act": Alle Aufführungen sind bereits ausverkauft außer der Spätvorstellung am 29. Juli um 22 Uhr.
"Der Freischütz": 4. und 5. August, 20 Uhr, 6. August, 19 Uhr.
Karten gibt es unter
INFORMATIONEN
"Sister Act": Alle Aufführungen sind bereits ausverkauft außer der Spätvorstellung am 29. Juli um 22 Uhr.
"Der Freischütz": 4. und 5. August, 20 Uhr, 6. August, 19 Uhr.
Karten gibt es unter www.schlossfestspiele-zwingenberg.de und am Ticketschalter der RNZ in Mosbach.