So läuft das Lernen in Quarantäne
Lehrer und Schüler berichten über ihre Erfahrungen mit Lockdown, digitalem Büffeln und leeren Klassenzimmern in Corona-Zeiten.

Von Janek Mayer
Buchen. Setzen, sechs! Deutschland ist zu spät auf den Zug "Digitales Lernen" aufgesprungen. Laut dem Index of Readiness for Digital Lifelong Learning rangiert die Bundesrepublik im November 2019 EU-weit auf dem letzten Platz. Doch es war erst die Corona-Krise, die dann im März schonungslos offenbarte, wie es um Hardware, Lernplattformen, digitale Inhalte und die Fortbildungen der Lehrer bestellt ist. "Nach dem Lockdown war Chaos angesagt", fassen mehrere Lehrer diese erste Umstellung vom Präsenz- auf Digitalunterricht zusammen.
Doch rund ein halbes Jahr später hat sich die Situation entspannt. Sogar beim Online-Unterricht ist so etwas wie Alltag eingekehrt, erklärt Deutschlehrer Axel Blösch, der die Eingangsklasse an der Zentralgewerbeschule Buchen (ZGB) unterrichtet. Dennoch verlange die Corona-Krise weiterhin viel Flexibilität von Lehrern und Schülern. "Das war das erste Mal, dass ich meine Stunde im Klassenzimmer, aber ohne Klasse gehalten habe", erinnert sich Blösch an die Lektion zurück, nachdem seine Schüler ins Homeschooling geschickt wurden.
Hintergrund
Was passiert, wenn Corona die Schule erreicht?
Nach einer nachgewiesenen Covid-19-Erkrankung bei einem Schüler entscheidet das zuständige Gesundheitsamt, welche Maßnahmen notwendig sind, um einen möglichen Ausbruch an der Schule einzudämmen. Dabei
Was passiert, wenn Corona die Schule erreicht?
Nach einer nachgewiesenen Covid-19-Erkrankung bei einem Schüler entscheidet das zuständige Gesundheitsamt, welche Maßnahmen notwendig sind, um einen möglichen Ausbruch an der Schule einzudämmen. Dabei beurteilen die Gesundheitsämter jeden Fall einzeln. Welche Kette von Ereignissen eine Corona-Infektion bei einem Schüler nach sich zieht, erklärt das Gesundheitsamt des Neckar-Odenwald-Kreises der Zeitjung.
Welche Abläufe setzt ein positiver Test bei einem Schüler in Gang?
Die Abläufe im Gesundheitsamt sind bei jedem positiven Fall gleich: Der Betroffene wird kontaktiert und er muss so schnell wie möglich seine Kontaktpersonen ersten Grades angeben. Diese wiederum erhalten dann einen Bescheid über ihre Quarantäne und müssen sich testen lassen. Und selbstverständlich werden die Schulleitung und der Schulträger informiert.
Werden die PCR-Tests von Schülern und Lehrern mit einer besonderen Priorität analysiert?
Nein, die Labore behandeln jeden Test gleich. Dieser wird nach der Reihenfolge des Eingangs im Labor abgearbeitet.
Wie lassen sich in Schulen im Nachhinein enge Kontaktpersonen von solchen mit einem geringeren Infektionsrisiko abgrenzen?
Die Schulen haben umfassende Hygienepläne, die insbesondere vorsehen, dass sich Klassen oder Lerngruppen möglichst konstant zusammensetzen. Aufgrund dieser Kohorten – also beispielsweise alle Schüler einer Klasse oder einer Stufe – lassen sich in Abstimmung mit der Schulleitung die Kontaktperson ersten Grades meist schnell ermitteln.
Wann ordnet das Gesundheitsamt eine Schulschließung an?
Eine angeordnete Schulschließung ist immer nur das allerletzte Mittel. Eine Schule kann aber natürlich in Abstimmung mit dem Regierungspräsidium entscheiden, ab wann sie den Schulbetrieb im Präsenzmodus nicht weiter durchführen kann, beispielsweise weil zu viele Lehrer in Quarantäne sind. Dann stellen die Schulen auf Fernunterricht um.
Frei nach dem Motto "Organisier dir deinen Unterricht so, dass du ihn möglichst identisch online halten kannst" bespricht er mit seinen Schülern die Hausaufgaben, lässt sie aus der Kurzgeschichte "Streuselschnecke" von Julia Franck lesen und teilt sie in Gruppen ein, damit die Schüler tiefer in die Handlung eintauchen können. Dass all das problemlos am PC funktioniert, ist guter Vorbereitung, aber auch etwas Glück geschuldet. "Wir haben gerade erst die Programme eingeführt, die Accounts angelegt ... und zack: war die Klasse schon in Quarantäne."
Für die Lehrer bedeutet der Fernunterricht einen höheren Arbeitsaufwand. Wer normalerweise für 25 Unterrichtsstunden an der Schule ist, sitzt jetzt an Schultagen acht Stunden zuhause vor dem Computer und beantwortet danach noch Mails, erstellt Arbeitsblätter, plant und hält Konferenzen, macht Lösungen zugänglich, gibt Rückmeldungen und schreibt persönliche Briefe an die eigene Klasse. "Irgendwann ist man so fokussiert auf den PC, dass man die fehlende Klasse gar nicht mehr wahrnimmt", berichtet Blösch.
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Ausgeschlafen am Schreibtisch
Lena ist 16 Jahre alt, wohnt in Buchen im Neckar-Odenwald-Kreis und besucht die Eingangsklasse der Buchener Zentralgewerbeschule (ZGB) – zumindest eigentlich. Denn seit einer Woche fällt der kurze Weg zur Schule für sie aus. Gemeinsam mit 15 anderen Schülern hat ihr das Gesundheitsamt Quarantäne verordnet, weil sie im evangelischen Religionsunterricht Kontakt zu einem Corona-Infizierten hatte. Die Rückkehr zum Fernlernunterricht fällt für sie nach dem langen Lockdown im ersten Halbjahr jedoch relativ kurz aus: Für sieben Tage tauscht sie die Schulbank am ZGB gegen den heimischen Schreibtisch aus.
Für schlechte Stimmung sorgt die Zwangsisolation bei der 16-Jährigen jedoch nicht. Stattdessen genießt sie die wenigen Vorteile, die der digitale Unterricht im eigenen Heim mit sich bringt – zum Beispiel die Möglichkeit, länger zu schlafen. "Manchmal nehme ich mir die Freiheit und setze mich so, wie ich aus dem Bett komme, vor den Bildschirm", erzählt Lena. Ein schlechtes Gewissen muss sie deshalb nicht haben, denn bei ihrer Klasse hat es sich früh eingebürgert, die eigene Kamera auszuschalten – zum einen aufgrund der Datenmenge, zum anderen, um sich weitere Freiheiten wie einen Snack während des Unterrichts zu bewahren.

Davon einmal abgesehen, nimmt sie das digitale Lernen so ernst wie den Präsenzunterricht. Denn, das betont Lena, das Homeschooling, das die ZGB der Quarantäne-Klasse bietet, kann sich sehen lassen. "Viele Lehrer kennen sich inzwischen wirklich gut mit Teams aus", sagt sie. Die App von Microsoft, gepaart mit dem nötigen Know-how, ermöglicht es den Lehrkräften an der ZGB, ihre Schüler sogar über die große Distanz sinnvoll in den Unterricht einzubinden.
Gegenüber dem Beginn des Lockdowns im März, als ihre frühere Schule Online-Unterricht überhaupt nur für Mathematik anbot, während in anderen Fächern lediglich eine Aufgabe nach der anderen abzuarbeiten war, sieht sie große Fortschritte. An der nötigen Ausstattung mangelt es laut ihrer Einschätzung ebenso nur noch selten. "Wenn es mal Schwierigkeiten gibt, dann höchstens, weil bei einem Schüler das Mikrofon kaputt ist", berichtet Lena. Doch dann wissen sich die Schüler untereinander zu helfen. Mit einem kurzen Chat in Teams oder einer WhatsApp-Nachricht in der Klassengruppe lässt sich das Hardware-Problem schnell umschiffen.
Die Sportstunde fehlt
Kai vergibt ebenfalls gute Noten für den Fernunterricht am ZGB. Der 16 Jahre alte Fahrenbacher strebt ebenso wie Lena einen Abschluss im Profil Technik und Management an der ZGB an – und genauso wie für Lena heißt es für ihn sieben Tage lang "GoToMeeting" statt "Go To School". Ein wichtiger Unterschied: Kai ist nicht in verordneter Quarantäne, sondern verzichtet nur aufgrund einer Vorsichtsmaßnahme der Schule auf Präsenzunterricht, weil er nicht als Kontaktperson ersten Grades zum Coronafall an der Schule gilt. Das hat es ihm immerhin erspart, voller Anspannung auf das Ergebnis eines Corona-Tests warten zu müssen.
Dennoch lernt er nun zuhause am Computer. Denn, das hat sein Klassenlehrer zu Beginn des Schuljahrs betont: "Wir sitzen alle in einem Boot. Erwischt es einen, erwischt es alle." Dass es nicht so schlimm wie befürchtet kam, führt Kai auf das gute Hygienekonzept der Schule zurück. Einbahnstraßenverkehr im Schulhaus, Desinfektionsmittel und Waschbecken in jedem Klassenzimmer, ausreichend Platz zwischen den Tischen und regelmäßiges Lüften sind Standard beim ZGB.

Ebenso vorbildlich verlief nach Kais Einschätzung die Rückkehr zum Fernlernunterricht: "Unser Lehrer hatte noch zwei Tage vor der Quarantäne Probeläufe mit Teams mit uns durchgespielt." Die Bedienung der App geht ihm leicht von der Hand, und den digitalen Unterricht der Lehrer findet er ansprechend. "Man hat nicht das Gefühl, das viel fehlt", sagt der 16-Jährige.
Nicht viel, aber doch etwas: Was Kai vor allem während des Lockdowns und des Fernunterrichts vermisst hat, ist der Sportunterricht. "Es wäre schön, wenn den Schulen da etwas einfallen würde", sagt Kai und ergänzt: "Für mich zählt zum Beispiel gesunde Ernährung zum Sport dazu."
Weit umfangreicher fällt seine Kritik für den Start des digitalen Lernens beim Lockdown aus. Bis Mai bestand dieser Fernunterricht ihm zufolge vor allem daraus, Aufgaben abzuarbeiten. "Im März und April waren es teilweise so viele, dass man deutlich länger daran sitzen musste als beim Präsenzunterricht", bemängelt er. Doch er sah große Fortschritte: "Gegen Ende gab es viel mehr Rückmeldung von den Lehrern, wir haben uns zu Online-Meetings getroffen, Gruppen gebildet und Aufgaben gemeinsam gelöst", erinnert er sich. Und sein Fazit: "Ich bin zufrieden, wie die Schulen reagiert haben."