MrWissen2go

Wie funktionieren "Fake News"? (plus Podcast)

Die RNZ sprach mit "MrWissen2go" Mirko Drotschmann und der Diplom-Pädagogin Birgit Kimmel von "Klicksafe" über die Mechanismen von Falschnachrichten im Netz und wie man ihnen entgegenwirken kann.

30.03.2021 UPDATE: 31.03.2021 06:00 Uhr 4 Minuten, 39 Sekunden
Mirko Drotschmann. Foto: dpa

Von Matthias Kehl

Heidelberg. Austausch auf Abstand: Auch ein Jahr nach Pandemie-Beginn ist das soziale Leben junger Menschen durch physische Distanz geprägt. Die Sozialen Medien können diese überbrücken. Gleichzeitig bereiten diese Kanäle auch gefährlichen Falschinformationen den Weg zur ungebremsten Vervielfältigung. 

Wie werden junge Menschen im Alltag mit Falschnachrichten konfrontiert? Wo informieren sie sich über tagesaktuelle Themen? Und welche Hilfestellungen wünschen sie sich bei der Ausbildung von Medienkompetenz? Im RNZ-Podcast haben wir Erfahrungen von jungen Menschen aus Heidelberg eingeholt. Zur Einordnung hat die RNZ-Zeitjung unter anderem mit der Diplom-Pädagogin Birgit Kimmel von klicksafe und TV-Moderator und Youtuber Mirko Drotschmann gesprochen.  

Birgit Kimmel. Foto: klicksafe

Social Media als Nachrichtenquelle 

Der Nachrichten-Konsum junger Menschen basiert hauptsächlich auf dem Online-Angebot. Um im Netz auf Themen aufmerksam zu werden, spielen soziale Medien eine entscheidende Rolle. Gemeint sind Plattformen, auf denen Nutzer selbst Inhalte einbringen können, wie etwa Facebook, Twitter und Instagram, aber auch Messenger-Dienste wie Whats-App und Telegram oder die Videoplattform Youtube. Im "Reuters Digital Report" für das vergangene Jahr, geben gar 56 Prozent der 18 bis 24-Jährigen an, dass soziale Medien ihre wichtigste Ressource für Nachrichten sind. Dass Informationen dort oft nur verkürzt wiedergegeben werden, weiß auch Birgit Kimmel, Leiterin der EU-Initiative "Klicksafe" – einer Sensibilisierungskampagne zur Förderung der Online-Medienkompetenz. "Obwohl junge Menschen Social Media keine hohe Vertrauenswürdigkeit zuschreiben, ist es ihre Hauptinformationsquelle für tagesaktuelle Themen", sagt die Diplom-Pädagogin im Gespräch mit der RNZ. Ein Dilemma, dass die 56-Jährige als "Informations-Paradox" bezeichnet.

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Beim Prozess der Meinungsbildung komme laut Kimmel häufig das Problem dazu, Posts oder Artikel konkret in Kategorien wie Kommentar oder Analyse einzuordnen. "Zudem ist es beim Entdecken von Beiträgen in Sozialen Medien auch wichtig, über den Algorithmus der Plattformen Bescheid zu wissen, der die jeweilige Ansicht im Feed beeinflusst", sagt Kimmel. Dieser spüle oft fragwürdige Beiträge in den Feed. Besonders schwierig werde es, wenn junge Menschen Falschnachrichten von Freunden oder bekannten direkt weitergeleitet bekommen. "Damit entsteht ein Werte-Dilemma", erklärt Kimmel. "Wie verhalte ich mich, wenn ich den Beitrag zwar problematisch finde, dieser aber in meiner Gruppe zu Lachern führt?". An dieser Stelle spiele in den sozialen Medien das Streben nach Anerkennung eine große Rolle. "Einer der größten emotionalen Antreiber in sozialen Netzwerken", analysiert die Diplom-Pädagogin. 

Konfrontiert mit Desinformation

Laut der "Studie Jugend, Information, Medien 2020" (kurz: JIM) kommen 76 Prozent der 14 bis 24-Jährigen mindestens einmal pro Woche online mit gezielten Falschinformationen (Desinformationen) in Kontakt. Jeder Achte stößt sogar mehrmals täglich darauf. "Desinformations-Kampagnen haben in den letzten Jahren zugenommen", weiß Kimmel. Seit Pandemie-Beginn treffe das auch insbesondere auf verschwörungstheoretische Inhalte zu. Katarina Bader, Professorin an der Hochschule der Medien Stuttgart, bestätigt diese Einschätzung gegenüber dem Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Neben Gruppen, die sich entgegen wissenschaftlicher Belege in falschen medizinischen Behauptungen versteigen, bemerkt Bader auch zunehmende Fälle von Whats-App-Gerüchten, obskuren Tipps zum gesund bleiben und gefälschten Augenzeugenberichte aller Art.

Bei der Vervielfältigung solcher Nachrichten bilde sich oft eine Gruppendynamik heraus, findet Birgit Kimmel. Auch extremistische Gruppen zeigten sich mittlerweile online sehr jugendaffin. "Einige fühlen sich dort angesprochen, auch wenn sie den Gesamtkontext gar nicht verstehen", so Kimmel. Auch bei kritischen Themen einen Diskurs zu führen, Gegenfragen zu stellen, nach Belegen fragen, seien Mittel um Falschinformationen als solche zu enttarnen.

Eine repräsentative Online-Umfrage im Auftrag der Vodafone Stiftung Deutschland legt offen, dass sich mehr als 40 Prozent der 14 bis 24-Jährigen unsicher oder sogar sehr unsicher fühlen, Falschinformation als solche zu erkennen. Textbasierte Dienste wie Facebook, Twitter, Whats-App und vor allem Telegram seien besonders anfällig für die Verbreitung von Desinformation. Aber auch die Video-Plattform Youtube ist laut Klicksafe-Leiterin Kimmel ein Herd für Falschinformationen. Bei der Bekämpfung von Falschnachrichten befinde man sich auf einem schwierigen Feld. "Viele Dienste sind nicht in Deutschland gehostet, daher sind wir bei Regeln auch etwa auf europäisches Recht angewiesen", sagt Kimmel.

Der Algorithmus als Problem

Ein Profi in Sachen moderner Wissensvermittlung ist der TV-Moderator und Youtube-Host Mirko Drotschmann. Der 34-Jährige beschäftigt sich in seinen Videos sowohl mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Phänomenen, als auch mit großen historischen Themen im Detail. Über 1,4 Millionen Abonnenten hat allein der von ihm moderierte Youtube-Kanal "MrWissen2go" angesammelt, den er seit 2012 betreibt. Seit 2017 finanziert durch Funk für das Online-Medienangebot von ARD und ZDF. "Bei Falschinformationen muss man sich angucken, was dahinter steht", so Drotschmann im Gespräch mit der RNZ. "Es gibt etwa Menschen, die gut daran verdienen, wenn Desinformation geklickt werden", sagt Drotschmann. Etwa über geschaltete Werbe-Einnahmen. "Es gibt auch staatliche Institutionen wie Geheimdienste, die gezielt Falsches verbreiten. Die ein Interesse daran haben, durch Stimmung politische Systeme zu destabilisieren und damit Demokratien zu beschädigen", erklärt der 34-Jährige.

Die Akteure, die ohne weitreichende Motivation austesten wollen, wie weit sich Falschinformation verbreite, seien der kleinste und harmloseste Teil, findet Drotschmann. Eine stärkere Regulierung von Plattformen wie Youtube über die aktuellen Funktionen hinaus sieht er trotzdem kritisch. "Das würde ja bedeuten, dass eine Art ,Wahrheitsministerium’ eingesetzt werden müsste". Dieses könne wiederum für kommerzielle Interessen der Plattform arbeiten und konzernkritische Themen blockieren. Den Ansatz sieht der Moderator darin, den Algorithmus des Kanals zu verändern. "Dass kontroverse Inhalte besonders gepusht werden und häufig auf der Startseite landen, verstärkt die Gefahr, dass die Lügen von Verschwörungstheorien eine große Reichweite bekommen." Birgit Kimmel sieht Youtube aus diesem Grund "sehr anfällig" für die Verbreitung von Falschnachrichten. Bei der Regulierung müsse daher zumindest "sensibel diskutiert" werden. 

Drotschmann, der selbst auch soziale Medien wie Instagram und Twitter nutzt, stellt klar, dass "Fake News" aus historischer Sicht nicht erst durch Social Media entstanden sind. "Sie sind aber ein Brandbeschleuniger", so der Wissenschaftsjournalist. Er selbst reagiere oft mit gezielten Rückfragen. Da merke man schnell, dass es für den Verbreiter der Falschnachricht "argumentativ dann dünn werde". 

Eindämmung und Umgang

Bei der Eindämmung von "Fake News" unter Jugendlichen selbst spielen auch moralische Werte eine große Rolle, sagt Pädagogin Kimmel. Viele empfinden sehr genau, wenn für sie eine Grenze überschritten wird. Beim Prozess, das eigene Weltbild zu entwickeln, brauche es jedoch Orientierungshilfen für den Medienbereich. Kimmel rät dazu, Medienkompetenz stärker als Disziplin im Bildungssystem zu etablieren. "Junge Menschen erreichen wir – egal aus welchem Bildungsmilieu sie kommen – am besten in der Schule". Dabei gelte es, sowohl die technischen Fähigkeiten, als auch die zur Einordnung von Inhalten sowie ethische Kompetenzen zu schulen. "Wie reagieren leider immer erst zu spät, weil man erst beobachtet und dann bemerkt, wo man einschreiten muss", findet die Klicksafe-Leiterin. 

Einen konsequenten Quellen-Check und die Auseinandersetzung mit dem Thema Datenschutz schlägt auch Mirko Drotschmann als Disziplin für die Schulung von Medienkompetenz vor: "Am besten ab der ersten, spätestens ab der fünften Klasse", so der Youtube-Host. Bis es dazu kommt, empfiehlt der Moderator, gerade bei Meldungen mit emotionsgeladenen Überschriften, Informationen wachsam auf ihre Fakten hin zu checken. "Immer mindestens zwei oder drei Quellen dazuziehen und schauen, wo die Webseite gehostet ist", rät der Wissenschaftsjournalist. Oft enttarne etwa die Google-Bilder-Rückwärtssuche oder ein fehlendes Impressum der verdächtigen Seite die gestreuten Desinformationen. 

Im sozialen Umfeld mit verdächtigen Nachrichten konfrontiert, sollen gezielt Rückfragen gestellt werden. Medienprofessorin Bader sagt dazu dem BMBF: "Infos vor der Weitergabe zu prüfen, ist leider kein menschliches Grundbedürfnis, aber eine Kulturtechnik, die wir ganz dringend nutzen sollten." So könne jeder Einzelne auch selbst der Filter und das Stoppschild für die Weiterverbreitung von Fakes sein.

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