EM 2021

Mit diesem Fußball-Halbwissen können Sie mitreden (plus Videos)

Nochmal "högdschde" Konzentration: "Wenn er raus geht, muss er ihn haben."

09.06.2021 UPDATE: 13.06.2021 06:00 Uhr 6 Minuten, 16 Sekunden
Kennen Sie "Abseits", den Unterschied zwischen kurzem und langem Eck oder wissen Sie, was es mit der hier im Bild dargestellten "Doppelsechs" auf sich hat? Wir geben einen Überblick. Foto: RNZ

Von Heiko Schattauer

Mosbach. Dem König kann selbst Corona nichts anhaben. An einer Fußball-Europameisterschaft kommt keiner wirklich vorbei. Selbst Menschen, die ansonsten mit dem Fußball so viel am Hut haben wie Heino mit Grunge, sind in EM-Zeiten mit am Ball. Irgendwie zumindest, und wenn es wegen des Gruppenzwangs ist. Und wo man schon mal drin ist im Spiel, da sollte man doch auch ein bisschen mitkicken, nein: mitreden können, oder? Dazu braucht es eigentlich nicht viel, Fußball ist schließlich ein ziemliches einfaches Spiel – wenn man sich damit auskennt. Wir wollen all jenen, denen das Fußball-Fachchinesisch irgendwie spanisch vorkommt, ein paar Bälle zuspielen, mehr oder weniger saubere Vorlagen liefern, die sie beim gemeinsamen Fußball-Gucken dann nur noch verwerten müssen.

Da auch wir es nicht erfunden haben und im Fußball im Grunde eh immer nur einer – Franz Beckenbauer nämlich – recht hat, bitten wir mögliche Fehlpässe schon jetzt zu entschuldigen. Also, bereit für ein bisschen – nicht immer ganz regelkonformes – Fußball-Halbwissen? Dann "högdschde" Konzentration, Anpfiff – und los geht’s:

Das Spiel

"Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen", hat Englands Fußball-Ikone Gary Lineker einst in den 1990er-Jahren erkannt. Grundsätzlich stimmig, wenngleich längst auch Frauen dem Ball nachjagen dürfen und das mit dem günstigen Ausgang für Deutschland leider keine Zwangläufigkeit mehr ist. Aktuell, also bei der EM 2020 (im Jahr 2021), jagen seit gestern Männer aus 24 Nationen jeweils einem Ball nach, inklusive Gary Linekers Engländern und deren Angstgegner Deutschland.

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Unsere Mannschaft

Die kommt heutzutage gerne mal mit Hashtags und ohne Vokale daher, spielt aber weiter verlässlich in weißen Trikots mit schwarzen Hosen. Die Jerseys haben diesmal extra Querstreifen, damit die Brust breiter und das Selbstvertrauen größer wirkt. Aufgepasst: Wenn Deutschland das Auswärtsteam ist, dann läuft die Elf von Jogi Löw (siehe Nationaltrainer) komplett in Schwarz auf. Nur Manuel Neuer nicht, der als Torhüter farblich aus der Reihe tanzen darf. Oben am Fernseher steht übrigens irgendwo "GER", wenn die Deutschen mitspielen dürfen.

Unser Trainer

Zugegeben, das war für den Fußball-Laien zuletzt ein bisschen verwirrend. Hansi Flick wird zwar Bundestrainer, Jogi Löw ist es aber noch. Futur und Präsens quasi. Für Nivea-Model Löw wird die EM das Abschiedsturnier, danach übernimmt der Bammentaler Flick für den Weltmeistertrainer. Der lässt jetzt doch den schönen Mats und Radio Müller (also Mats Hummels und Thomas Müller) mitspielen – kann eigentlich gar nichts mehr schiefgehen.

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Okay, das Aufwärmen wäre geschafft, wir lassen den Ball laufen, so wie das im Fußball am sinnvollsten erscheint von hinten nach vorn – und beginnen im Tor:

Das lange Eck. Foto: RNZ

Langes Eck

Das lange Eck (in das gern mal ein Ball unhaltbar einschlägt) befindet sich – wie die Bezeichnung schon vermuten lässt – in der Ecke des 7,32 mal 2,44 Meter großen Tores. De facto ist es nicht länger als das kurze Eck (siehe "Kurzes Eck"), heißt aber so, weil es von dem, der aufs Tor schießt, weiter entfernt ist als etwa das kurze Eck oder die Tormitte. Außerdem muss sich der Torwart mitunter verdammt lang machen, um Schüsse auf jene lange Ecke abwehren zu wollen.

Kurzes Eck

Das Gegenteil des langen Ecks (logisch, oder?) – und für Fußballer mit limitierter Schusstechnik mitunter die bessere Wahl beim Torabschluss. Für den Torwart ist das kurze Eck (wahlweise auch kurzer Pfosten genannt) eine echte Zwickmühle. Denn eigentlich darf er da kein Tor kassieren – und wenn doch, dann gibt’s zumindest Mecker von Oliver Kahn oder einem anderen Fußballexperten der öffentlich-rechtlichen Wahl. Gleiches – also das mit der Zwickmühle und der Mecker – gilt übrigens auch für Flanken vors Tor. Die bieten allerdings auch für Fußball-Laien eine tolle Gelegenheit, sich analytisch einzubringen: "Wenn er rauskommt, dann muss er den Ball haben", kann man da mal ganz selbstbewusst zum Verhaltensmuster von Neuer und Co. einwerfen.

Das Abseits. Foto: RNZ

Mitspielender Torwart

Ja, natürlich durfte der Torwart im Fußball schon immer mitspielen. Zumindest als derjenige, der verhindert, dass der Gegner mehr Tore macht als man selbst. Früher wurde meist der rausgedeutet, der am wenigsten kicken konnte. Heute ist das völlig anders. Einer Regeländerung (seit 1992 darf der Torwart einen Rückpass seines Mitspielers nicht mehr mit der Hand aufnehmen) und Manuel Neuer sei Dank. Er ist der Prototyp des mitspielenden Torwarts, kann es nicht nur oben (mit den Händen), sondern auch unten (also mit den Füßen) und darf damit aktiv am Spielaufbau teilnehmen. Tatsächlich erfunden hat Manuel Neuer indes den Abseits-Arm – der geht immer dann automatisch hoch, wenn er dann doch mal ein Tor kassiert (siehe "Abseits").

Vom Kaiser zur Kette

Früher war alles besser? Nein, wohl kaum. Aber simpler: Da gab es einen Libero (perfektioniert von einer Lichtgestalt namens Franz Beckenbauer), einen Vorstopper (wie den "Stopper der Nation" Karlheinz Förster), einen Verteidiger links, einen rechts. Schon stand die Abwehr. In Ermangelung brauchbarer Liberi nach dem "Kaiser" hat man die Defensive irgendwann an die Kette gelegt. Wahlweise drei, vier oder auch mal fünf Abwehrspieler verteidigen heutzutage nebeneinander und auf einer Linie, im Fernsehbild lässt sich die jeweilige "Kette" mitunter auch ohne speziell geschulten Blick ganz gut erkennen.

Tief stehen

Auch hier gilt: nicht wörtlich nehmen oder gar bildlich vorstellen. Eine Mannschaft, die tief steht, hat nicht etwa ein anderes (Höhen-)Niveau als der Gegner. Zumal ein Fußballfeld im Idealfall völlig eben ist. Tief stehen beschreibt nämlich vielmehr, dass sich eine Mannschaft bei gegnerischem Ballbesitz ziemlich weit zurückzieht, den Gegner erst mal kommen lässt, also mit vielen Spielern tief hinten (in der eigenen Spielhälfte) drin steht. Das Gegenteil davon ist, die Logik ist verblüffend ...

Hoch stehen

Wird meist von offensiv ausgerichteten Teams praktiziert, das heißt, die Spieler ziehen sich bei gegnerischem Ballbesitz nicht so weit in die eigene Hälfte zurück, sondern stören schon früh das Aufbauspiel des Gegners (tief in dessen Hälfte). Gerne kombiniert wird das Ganze dann übrigens auch mit.

Pressing

Das wiederum hat nichts mit phlebologischen Untersuchungen oder Stuhlgang zu tun. Pressing beschreibt den Druck, den die Mannschaft, die gerade nicht in Ballbesitz ist, möglichst früh auf das gegnerische Team ausübt. Dabei wird der Spieler mit dem Ball angegriffen, dessen Mitspieler (also mögliche Anspielstationen) werden möglichst eng zugestellt. Gegenpressing beschreibt den umgehenden Druckaufbau unmittelbar nach eigenem Ballverlust im Angriff.

Die Schwalbe. Foto: RNZ

Abseits

So, irgendwann müssen wir ran, es hilft ja nichts. Die erste und wichtigste Regel hierzu lautet: Abseits ist dann, wenn der Schiedsrichter auch Abseits pfeift – und nicht, wenn Manuel Neuer den Arm hebt und Selbiges reklamiert. Dem technischen Fortschritt sei dank, gehören leidige Diskussionen um das Abseits der Vergangenheit an. Und auch Laien können hier leicht punkten: Mit einem selbstsicheren "Erst mal schauen, was der VAR sagt" liegen sie bei der Frage Abseits oder nicht auf der sicheren Seite. Der VAR ist übrigens der Video Assistent Referee, der am Bildschirm die Entscheidungen des echten Schiedsrichters überprüft und unterstützt, nur falls doch jemand nachfragt.

Doppelsechs

Klingt nach unterhaltsamem Kartenspiel oder Schweinereien – ist aber für die Beteiligten harte Arbeit. Ein "Sechser" ist ein defensiver Mittelfeldspieler, der schon vor der Abwehrreihe gegnerische Angriffsbemühungen unterbinden und eigene Vorstöße einleiten soll. Was früher ein Jens Jeremies locker alleine weggegrätscht hat, müssen im modernen Fußball meist zwei Männer erledigen, daher Doppelsechs. Im deutschen Team besetzen wohl Joshua Kimmich und Ilkay Gündogan diese zentralen Positionen. Aus zwei Sechsern wird dann schnell auch eine Sechs und eine Acht, Fußball ist eben nicht Mathematik.

Falsche Neun

Nein, von dieser Positionsbezeichnung Rückschlüsse auf den Charakter des Angreifers zu ziehen, wäre unangebracht. Mit der 9 auf dem Rücken waren einst klassische Mittelstürmer wie Rudi Völler unterwegs. Die waren zwischenzeitlich ausgestorben, die Fußballevolution und Pep Guardiola haben die falsche Neun, also technisch versierte Offensivspieler à la Messi und Mario Götze (unser WM-Held von 2014, die älteren unter uns werden sich erinnern), nach vorne ins Sturmzentrum rücken lassen. Im Gegensatz zum Libero ist die echte Neun aber nicht totzukriegen – und dank Lewandowski, Haaland und Co. inzwischen wieder zunehmend gefragt und gesetzt.

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So, wir haben uns halbwegs sauber und hinreichend vernünftig durchgespielt, ein paar Körner braucht es aber noch, es geht in die Nachspielzeit:

Schwalbe

Manchmal muss man beim Fußball eben einfach auch Glück haben. Es geht um eine Europameisterschaft, Neymar darf also gar nicht erst mitspielen. Das Thema Schwalben können wir daher getrost vernachlässigen. Falls doch einer unbegründet abheben und durchs Bild fliegen sollte – der Verweis auf einen WM-Titel, den sich Deutschland einst u.a. dank eines vorgetäuschten Foulspiels gegen die ungeliebten Nachbarn im eigenen Land geholt hat, sichert in der Nachspielzeit Extrapunkte. Auf Nachfrage sollte ein "Ich sag’ nur Hölzenbein" ausreichen.

Tödlicher Pass

Keine Angst, hier kommt niemand zu Tode – sehr wohl aber zu Schaden. Denn die martialische Bezeichnung eines entscheidenden Passes soll unmissverständlich klar machen, dass mit diesem einen Zuspiel des Gegners Abwehr auf einen Schlag "Schach matt" gesetzt wurde, um eine Anleihe aus einer anspruchsvolleren Sportart zu nehmen. Übersetzt aufs Grün und den kommenden Dienstag heißt das: Gündogan spielt aus dem Mittelfeld den Ball an der französischen Defensive vorbei in den Lauf von Thomas Müller, der den Abwehrspielern irgendwie (meist weiß er das ja selbst nicht) entwischt ist und die Kugel im Anschluss eiskalt im Tor versenkt. Schöne Vorstellung eigentlich – für Fußball-Laien und -Experten gleichermaßen.

PS: Falls Ihnen doch noch einer mit Packing oder abkippender Sechs oder dergleichen kommen sollte und Sie ihr Halbwissen-Pulver schon verschossen haben: Der Lichtgestalt-Joker ist universell einsetzbar: "Am Ende liegt die Wahrheit auf dem Platz!" Und wenn gar nichts mehr geht, dann hauen Sie eben noch einen Völler-Klassiker raus: "Ich kann den Scheiß nicht mehr hören." Dann ist erst mal Schluss mit lustig. Aber nicht lange, denn nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Gut jetzt – viel Spaß bei der Europameisterschaft.

PPS: Und dann gibt es noch die "Kaiserregel".