Raus aus der Blase, rein in die Stadt
Sarah Ungan möchte dem Karlstorbahnhof neue Kreativimpulse geben.

Von Daniel Schottmüller
Heidelberg. Sarah Ungan späht kurz ins Innere und wendet sich wieder um: Gerne hätte sie eine kleine Führung durch die neuen Räumlichkeiten angeboten, aber leider sind die Handwerker gerade im Karlstorbahnhof zu Gange. Macht nichts. Auch der Marlene-Dietrich-Platz bietet genug Raum, um kreativ zu werden: "Ab dem Eröffnungswochenende wird vor dem Karlstorbahnhof eine Fotoausstellung zu sehen sein", erzählt die 35-Jährige und deutet mit ausladender Geste auf die offene Fläche vor sich. "Ich kann mir gut vorstellen, dass wir hier auch künftig viele spannende Projekte starten."
Sarah Ungan trägt Jeans und ein lässiges schwarzes Oberteil. Die junge Frau erzählt und lächelt gerne, kann aber auch konzentriert zuhören. Seit April ist sie für eine neu geschaffene Programmsäule am Karlstorbahnhof zuständig: Community Arts. Was das bedeutet? "Übersetzt heißt Community Arts Gemeinschaftskunst. Der Fokus liegt also auf dem gemeinschaftlichen Schaffen. Dabei wollen wir professionelle Künstler mit den Menschen der Region zusammenbringen."
Wie das ablaufen kann, wird am kommenden Samstag deutlich werden. "Ab in den Süden" lautet das Motto eines kollektiven Spaziergangs vom alten zum neuen Karlstorbahnhof, den Sarah Ungan zusammen mit der Künstlerin Stefanie Rübensaal vorbereitet hat. "Das Angebot ist partizipativ. Es geht darum, gemeinsam zu gehen, zu hören und zu reagieren." Die Gedanken, Wünsche und Erinnerungen, die den Teilnehmern unterwegs kommen, sollen gesammelt werden. Wichtig ist dabei die Freiwilligkeit: "Wer seine Eindrücke mit den anderen teilen möchte, ist herzlich dazu eingeladen – das ist aber kein Muss."
Nicht nur mit dieser Aktion betritt die junge Frau kulturelles Neuland: "Generell bewegen wir uns mit Community Arts weg vom klassischen Audience Building. Ziel ist es nicht, unbedingt möglichst viele Menschen in eine Einrichtung wie den Karlstorbahnhof zu locken. Wir wollen raus aus dem Gebäude, raus aus unseren alten Blasen und hin zu den Menschen", betont Sarah Ungan. Sie ist überzeugt: "Überall, wo Menschen zusammen leben, entsteht zwangsläufig Kunst!"
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Schon jetzt kooperiert der Karlstorbahnhof mit dem Tanzkollektiv InterActions, das regelmäßig Workshops und Projekte anbietet – für alle, egal, ob sie Tanzerfahrung haben oder nicht. Auch den Kalamari Klub, der unter anderem Workshops für analoge Fotografie anbietet, sieht Sarah Ungan als wichtigen Partner. "Und dann gibt es mit Shared Reading ja auch schon ein großes Netzwerk von Ehrenamtlichen, die in der ganzen Region dazu einladen, zusammen Literatur zu lesen und darüber in Austausch zu kommen." Ihre Rolle sieht sie darin, weitere Kooperationspartner zu gewinnen, um neue Angebote initiieren und Teilhabe ermöglichen zu können. Ob dabei eine Parkanlage umgestaltet wird, oder ob man zusammen malt, tanzt, häkelt oder musiziert, ist für die Community-Arts-Verantwortliche zweitrangig: "Erst einmal will ich herausfinden, was die Menschen in den einzelnen Stadtteilen sich überhaupt wünschen", erklärt sie.
Sarah Ungan hat in Karlsruhe einen Master im Studienfach Interkulturelle Bildung, Migration und Mehrsprachigkeit absolviert und seitdem schon einige Erfahrungen als Netzwerkerin gesammelt: Über ein Mentorenprogramm bildete sie Künstler zu Kunstvermittlern aus, bei der Weltmusikmesse WOMEX übernahm sie als Projektleiterin Verantwortung, zuletzt organisierte die ausgebildete Fotografin in Berlin Fotoworkshops für Kinder und Jugendliche mit Flucht- und Migrationshintergrund.
Auch in Heidelberg möchte Sarah Ungan jene Menschen unterstützen, deren Stimme bislang noch nicht so laut zu hören ist. Die Kulturvermittlerin ist überzeugt davon, dass die Stadt als Ganzes von mehr Vielfalt profitiert. Dass Veränderungen an einem so traditionsreichen Ort wie Heidelberg ihre Zeit brauchen, ist der jungen Frau dabei durchaus bewusst. "Was das Tempo angeht, könnten wir uns vielleicht manchmal eine Scheibe von Mannheim abschneiden", sagt sie und schmunzelt. Sie selbst kennt beide Städte gut: Sarah Ungan ist in Mannheim aufgewachsen und hat an der Johannes Gutenberg Schule in Heidelberg ihre Fotografenausbildung gemacht. Der Arbeitsbeginn am Karlstorbahnhof war für sie also auch eine Rückkehr in die alte Heimat – einen Ort, den sie jetzt ganz bewusst mitgestalten möchte.
Von der neuen Strahlkraft der Gemeinschaftskunst können sich die Gäste des Karlstorbahnhofs schon Ende Oktober bei der Eröffnung der neuen Räumlichkeiten überzeugen: "Die Werke, die bei unserem partizipativen Walk entstehen, werden wir am Premierenabend an die Gebäudefassade projizieren", freut sich Sarah Ungan. "Ich bin schon mega gespannt, wie das aussehen wird!"
Info: Der gemeinsame Kunstspaziergang startet am 17. September um 15 Uhr. Anmeldungen bis 15. September per E-Mail an anmeldung@karlstorbahnhof.de.




