Plus Willem Dafoe im Interview

"Genuss geht mit Beschränkung einher"

Der US-Schauspieler verrät, wie es sich anfühlt, mehrere Wochen ganz alleine am immer gleichen Set zu drehen.

17.03.2023 UPDATE: 17.03.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden
Ein Kunstdieb, gefangen in einem goldenen Käfig: Willem Dafoe brilliert als Solodarsteller des experimentellen Kinofilms „Inside“. Foto: dpa

Von Patrick Heidmann

Berlin. Willem Dafoe beherrscht die Bandbreite der Schauspielerei. Von großen Auftritten am Theater, wo er in den Siebziger Jahren seine Karriere begann, über Rollen in Blockbustern wie "Aquaman" oder "Mord im Orientexpress" bis hin zu anspruchsvollen Arthouse-Filmen à la "Nymphomaniac" – nichts ist ihm fremd. Wenn’s sein muss, wuppt der 67-Jährige, der bereits viermal für den Oscar nominiert war, auch einen ganzen Film mehr oder weniger alleine. So der Fall bei "Inside" (seit Donnerstag im Kino), anlässlich dessen Weltpremiere wir den Amerikaner bei der Berlinale trafen.

Mr. Dafoe, in Ihrem neuen Film spielen Sie einen Kunstdieb, der in dem Apartment eingeschlossen wird, das er ausrauben will. Wird man nicht ein bisschen kirre, wenn man nur an einem einzigen Schauplatz dreht?

Ich bin ein Schauspieler, der gerne den Tag am Set verbringt. Ich ziehe mich nicht, wie andere Kollegen, in jeder Pause in meinen Trailer zurück – außer vielleicht wir drehen bei Minus-Graden. In diesem Fall ging die Sache aber tatsächlich eine Spur weiter, denn diese Apartment-Kulisse war im Grunde mein Zuhause, in dem ich ein paar Wochen lebte. Und weil wir chronologisch drehten, konnten die Wohnung und ich uns gemeinsam gehen lassen. Ich ließ meinen Bart wachsen, meine Haare, meine Nägel, und das Set sah nach jedem Tag abgenutzter aus.

Normalerweise sind Worte und Sprache fester Bestandteil Ihrer Arbeit als Schauspieler. Das fiel dieses Mal größtenteils weg, weil Sie ja alleine in diesem Apartment feststecken. Machte das Ihren Job schwieriger?

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Nicht unbedingt. Worte können ja vieles vertuschen und übertünchen. Sie machen es einem leichter, Dingen auszuweichen, und man kann sich gut hinter ihnen verstecken. Deswegen ist es immer spannend, auf Worte verzichten zu müssen. Wobei: Es ist nicht so, dass ich nicht mit Worten gearbeitet hätte. Die waren nur eben im Kopf meiner Figur und blieben unausgesprochen. Und natürlich gab es Momente, wo er – wie es wahrscheinlich jeder in einer solchen Situation tun würde – mit sich selbst gesprochen, Witze gerissen und herumgealbert hat.

Für Regisseur Vasilis Katsoupis ist "Inside" der erste Spielfilm. Was reizte Sie daran, mit ihm zu arbeiten?

Ganz einfach: Ich mochte ihn. Außerdem hatte er sehr viel recherchiert, was dieses Hightech-Kunstsammler-Apartment angeht. Ich hätte es langweilig gefunden, wenn die Sammlung im Film erkennbar fake gewesen wäre. Aber Vasilis und sein Kunstberater Leonardo Bigazzi sind das angegangen wie eine echte, in sich stimmige Sammlung, mit einer Mischung aus Künstlerinnen und Künstlern, die ich teilweise gar nicht und teilweise sogar persönlich kannte.

Im Film heißt es, es gäbe keine Schöpfung ohne Zerstörung. Sehen Sie das als Kunstschaffender genauso?

Das sehe ich nicht nur so, sondern das ist ein Fakt. Alles hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Das gilt für diesen Nachmittag genauso wie für unser Leben. Nichts und niemand bleibt ewig – und wenn etwas zu Ende geht, entsteht danach etwas Neues. Für Kunst gilt das natürlich auch, die Schauspielerei eingeschlossen. Man muss immer wieder Platz machen, damit man etwas Neues erschaffen kann. Und das bedeutet, dass man womöglich einen kleinen Teil seiner selbst oder seines Lebens zerstört, wenn man mit etwas Neuem beginnt. Das gehört zwangsläufig dazu, wenn man sich weiterentwickeln will.

Lassen Sie uns kurz zu jener Kunst zurückkehren, um die es im Film geht: Sind Sie selbst ein Kunstsammler?

Dazu bin ich nicht reich genug … Was ich nur halb im Scherz meine, denn gute Kunst ist leider tatsächlich teuer. Ich gehe gerne in Galerien und Museen. Hier in Berlin habe ich mich zum Beispiel mit Klaus Biesenbach getroffen, den ich noch aus seiner Zeit beim MoMa in New York kenne, und war in seiner Neuen Nationalgalerie. Und ich bin auch mit tollen Künstlern befreundet, etwa mit Julian Schnabel, mit dem ich ja auch schon zusammengearbeitet habe. Aber mir liegt nichts daran, Kunst zu besitzen. Ich hänge bei mir zu Hause noch nicht einmal Fotos auf, auch wenn ich kistenweise davon habe. Damit beraubt man Dinge ihrer Wirkung, finde ich. Wenn man etwas jeden Tag vor sich sieht, verliert es an Kraft und dann verschwindet zusehends die Leidenschaft dafür. Wahrer Genuss geht immer mit einer gewissen Beschränkung einher. Wenn man jeden Tag sein Lieblingseis isst, schmeckt es ja irgendwann auch nicht mehr so köstlich.

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