Ab in den Dschungel
Das Heidelberger Theater zeigt Pablo Manzis Stück "Wo die Barbaren leben" im Tropenhaus des Botanischen Gartens

Riesengrimasse hinter tropischen Gewächsen: Auf diesem Szenenfoto sind die verzerrten Gesichtszüge des Heidelberger Schauspielers Hendrik Richter als Projektion auf einem großen Ballon zu sehen. Gespielt wird das chilenische Stück "Wo die Barbaren leben" im großen Glashaus des Botanischen Gartens. Foto: Sebastian Bühler
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Abends ist es weder schwül noch stickig unterm Glasdach. Man muss auch nicht befürchten, dass während der Vorstellung von Pablo Manzinis Stück "Wo die Barbaren leben" im Tropenhaus des Botanischen Gartens plötzlich die Regenmaschine angestellt wird. Und auf den berüchtigten "Schwiegermütter-Polstern", sprich den großen Kugelkakteen, muss man auch nicht Platz nehmen, wenn man dem ungewöhnlichen Spektakel des chilenischen Autors folgen will.
Es geht also recht gesittet zu bei den "Barbaren". Rund 50 Hocker wurden herbeigeschafft, damit das Publikum zum Saisonauftakt des Heidelberger Theaters dieser Produktion abseits der Theaterstraße folgen kann. Die Truppe knüpft damit an das erfolgreiche iberoamerikanische "Adelante"-Festival an, bei dem Manzi auch schon zu Gast war. Vor zwei Jahren wurde er in seiner Heimat bereits als bester chilenischer Dramatiker ausgezeichnet.
Im Gewächshaus-Dschungel der Universität gibt es keine freien Sichtachsen auf eine Bühne. Deshalb ersann die junge Regisseurin Luise Vogt zusammen mit dem Technischen Direktor Peer Rudolph ein ganz besonderes Setting: Die Schauspieler hocken versteckt hinter dem üppigen Blattwerk, vor sich jeweils eine Live-Kamera, sodass ihre zum Teil grotesk verzerrten Visagen auf große Ballons projiziert werden können. Nur ab und an treten die Akteure leibhaftig vor die Zuschauer. Ganz schön tricky, diese Vorgehensweise.
Das Stück selbst wirkt jedoch weniger trickreich. Es mutet eher an wie jenes szenische Stückwerk, das Ende der 1990er/Anfang des neuen Jahrtausends geradezu tropisch sprießend ins dramaturgische Kraut schoss - etwa nach der Machart: Hier ein Dialogfetzen, da ein verstörender Alltagsbeobachtung und dort eine assoziativ überhöhte Mystifikation als Kopfnuss.
Ästhetisch ist diese Phase zwar längst überwunden, aber dennoch finden sich immer wieder neue Theatertexte, die auf diesem ranzig gewordenen Rezeptbuch der vorletzten Avantgarde beruhen. "Wo die Barbaren leben" thematisiert immerhin ein hochbrisantes Problemfeld: den Fremdenhass und die üblen Ressentiments gegenüber Ausländern. Peru und Chile, von denen im Stück die Rede ist, unterscheiden sich darin nicht vom Deutschland kurz vor der Bundestagswahl. Drei Cousins echauffieren sich aus unterschiedlichen Perspektiven über Gewaltexzesse, mit denen sich Jugendliche gegenseitig in einer Betreuungseinrichtung drangsalieren. Hinzu kommt Belehrungsgeschwätz über die schon bei den alten Griechen grassierende Xenophobie und über den damals geprägten lautmalerischen Begriff "Barbaren". So bezeichnete man in der Antike unverständlich brabbelnde Fremde. Die Schauspielerin Sophie Melbinger und ihre vier männlichen Kollegen Hendrik Richter, Friedrich Witte, Raphael Gehrmann und Martin Wißner schlagen sich mit den Macheten ihrer Worte durch die Vegetation. Na dann, ab in den Dschungel!
Info: Wegen der großen Publikumsnachfrage wurden kurzfristig Zusatztermine im Botanischen Garten angesetzt. Mehr dazu auf der Homepage www.theaterheidelberg.de



