Wolfgang Graczol inszeniert und spielt "Heute weder Hamlet"
Eindrucksvolles Kammerspiel

Weichgummi oder Hartplastik? Diese Frage stellt sich beim Anblick von Yoricks Schädel entscheidend für den Darsteller des Hamlet, gespielt von Wolfgang Graczol. Foto: Manfred Liedtke
Von Ingeborg Salomon
Heidelberg. Ein Unfall des Hauptdarstellers kurz vor der Vorstellung ist so ungefähr das Übelste, was im Theater passieren kann. Dann tritt meist der Intendant vor den Vorhang und schickt mit den Worten tiefsten Bedauerns das erwartungsvolle Publikum nach Hause. Aus dieser misslichen Ausgangssituation entwickelt der Schriftsteller Rainer Lewandowski in seinem Stück "Heute weder Hamlet" ein amüsantes Kammerspiel, das seit über 20 Jahren ein Theaterklassiker ist und über 100 verschiedene Inszenierungen erlebt hat. Im Heidelberger Taeter Theater bringt nun Hausherr Wolfgang Graczol diesen gewaltigen Monolog auf die Bühne und übernimmt die Hauptrolle des Ingo Sassmann gleich selbst.
Die stumme zweite Hauptrolle spielt der rote Samtvorhang, der im Taeter Theater ganz klassisch altmodisch die Bühne vom Zuschauerraum trennt und noch mit der Hand gezogen wird. Dieser wichtigen Aufgabe kommt Ingo Sassmann nach, der schon bessere Zeiten gesehen hat, denn eigentlich ist er Schauspieler. Deshalb schlägt seine große Stunde, als das Publikum nach der Ansage "Heute weder Hamlet....noch sonst irgendetwas" einfach nicht gehen will.
Sassmann plaudert nun ausführlich aus dem Nähkästchen der Theater-Interna. Dabei erinnert er sich an eigene Auftritte, auch in Shakespeares "Hamlet" und in "Romeo und Julia", an seine ganz persönliche Julia, seine Frau Rebecca, an große Erfolge und peinliche Pannen. Dabei wird die Grenze zwischen Sassmanns Leben als Vorhangzieher und seiner wehmütigen Erinnerung an bessere Zeiten immer fließender.
Wolfgang Graczol weiß diese Übergänge in Sprache, Gestik und Mimik fein auszuloten. Wenn er von Sassmanns Karriereende erzählt - verursacht durch eine Verkettung unglücklicher und ziemlich absurder Umstände - leidet der Zuschauer mit. Wenn Sassmann/ Graczol über die enge Beziehung zu dem roten Plüschvorhang spricht, schwingt ein leises erotisches Knistern mit und macht klar: Hier verrichtet nicht irgendein Bühnenarbeiter irgendeine Routinearbeit, hier ist einfühlsame Handarbeit gefragt. Denn "Automation ist das Ende des lebendigen Vorhangs", unterstreicht Sassmann.
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Im ersten Teil sind die Anklänge an "Hamlet" noch sporadisch. So erinnert sich Sassmann an eine Inszenierung, in der er als Titelheld Yoricks Schädel hält und sich schrecklich ekelt, weil der aus Weichgummi und deshalb ziemlich wabbelig war. Das Publikum fühlt mit und versteht sofort, warum Sassmann in späteren Inszenierungen nur noch mit Hartplastikschädeln arbeiten wollte.
Im zweiten Teil (nach einer gebührenden Pause) folgt dann ein Parforceritt durch Shakespeares Monumentalwerk. Das sei schon "ein bisschen überladen", findet Sassmann, um kurz in einige der wichtigsten Rollen zu schlüpfen. Graczol lässt die wahnsinnig gewordene Ophelia verwirrt säuseln, kämpft ziemlich eindrucksvoll mit dem Degen gegen (den nicht vorhandenen) Laertes, leert als Königin Gertrude den Giftbecher und stirbt schließlich heftig atmend.
Hamlet ist tot. Und der Rest ist keineswegs Schweigen, sondern an diesem Abend: herzlicher und begeisterter Applaus des Publikums für Wolfgang Graczol, der einmal mehr bewiesen hat, dass er als Hauptdarsteller über eine einzigartige Bühnenpräsenz verfügt und es zudem als Regisseur versteht, Lewandowskis Theaterklassiker neu und geistvoll in Szene zu setzen.
Info: "Heute weder Hamlet" wird am Montag gespielt, ist aber bereits ausverkauft. Die nächsten Vorstellungen sind am 11., 12. und 25. Januar, jeweils um 20 Uhr. Karten unter Telefon 06221/163333 und www.taeter-theater.de