Theaterszene in Aufruhr
Die Ensembles vieler Bühnen in Baden-Württemberg wehren sich gegen die Kulturpolitik der Landesregierung.

Von Volker Oesterreich
Südwest. Die Alarmglocken schrillen. Und das kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Ensembles von Konstanz über Karlsruhe bis Heidelberg und von Ulm über Tübingen bis nach Bruchsal sind empört über den Umgang der Landesregierung mit freischaffenden Künstlern: Der Ausfall von vielen Vorstellungen und der lang anhaltende Stillstand des Kulturbetriebs bedeuteten für die freien Kolleginnen und Kollegen den "Wegfall sämtlicher Einnahmequellen und eine existentielle Bedrohung", heißt es in einem Brandbrief der Theaterleute an Kunstministerin Theresia Bauer und deren Staatssekretärin Petra Olschowski. Das Schreiben wurde am Wochenende von 13 Ensembles unterzeichnet. Die Künstler reagieren damit auf eine Pressemitteilung des Kunstministeriums, die, gelinde gesagt, einer Nebelkerze gleicht und Tatsachen verschleiert.
Ob in Staatstheatern, Landesbühnen oder kommunalen Theatern, überall wird seit jeher mit Gastkünstlern gearbeitet. Seit Beginn der Pandemie im März 2020 würden sie aber nur "unangemessen bis gar nicht" für ausgefallene Produktionen und Vorstellungen entschädigt, beschweren sich die Ensembles unter Federführung von Künstlern des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.
In einer Pressemitteilung des Kunstministeriums wurde jedoch Gegenteiliges behauptet: Die Staatstheater kämen ihrer Verantwortung nach und zahlten Ausfallhonorare, hieß es darin. Die 13 Ensembles des Landes wollen das aber nicht gelten lassen: "Seit einem Jahr erleben wir, wie die Verantwortung von höchster politischer Ebene und den Verwaltungen der Kulturinstitutionen hin und her geschoben wird", mahnen die Ensembles der 13 Häuser. Den freien Künstlern würden klare Rechtsaussagen verwehrt, außerdem fänden sie keine Ansprechpartner in der Verwaltung. "Dadurch werden die freischaffenden Künstler*innen zum Spielball eines kulturpolitischen Kräftemessens, in dem die Theaterleitungen und das Kulturministerium kaum bis keine Verantwortung übernehmen." Auch der Deutsche Bühnenverein in Köln ist deshalb in großer Sorge.
Als besonders ärgerlich empfinden die fest angestellten Theaterleute die Doppelzüngigkeit. Auf der einen Seite werde von verschiedenen Theaterleitungen gesagt, dass sie ihre Gäste nicht angemessen zahlen dürfen oder können, auf der anderen Seite stehe das grüne Kunstministerium, das in der erwähnten Pressemitteilung von der "Rechtssicherheit" bei Ausfallgagen spreche.
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Dem sei jedoch nicht so: "Es ist untragbar, dass nach wie vor keine faire Rechtssicherheit im Umgang mit Gastverträgen geschaffen wurde, umso mehr, da wir wahrscheinlich noch lange mit der Pandemie und ihren Folgen werden umgehen müssen."
Das Kunstministerium nannte zwar die Zahlung von Ausfallhonoraren in Höhe von 235.000 Euro für die Württembergischen Staatstheater in Stuttgart und von 120.000 Euro fürs Staatstheater Karlsruhe, es sei aber vollkommen unklar, was den Betroffenen tatsächlich ausgezahlt werde. Die Beträge, die bei den Künstlern ankämen, seien viel zu niedrig. Die Rede ist von ca. 30 Prozent. Nach einem Modellfall seinen statt 1800 nur 540 Euro brutto gezahlt worden. "Davon kann kein Mensch leben." Die Festangestellten sähen das "mit Fassungslosigkeit".
Der Deutsche Bühnenverein schlägt in die gleiche Kerbe. Ihm ist es vollkommen unverständlich, dass das Land bei den Kommunaltheatern die Abfindungen für freie Künstlerinnen und Künstler nicht als zuwendungsfähige Ausgaben anerkenne. "In keinem anderen Bundesland ist das üblich", sagte Heidelbergs Intendant Holger Schultze.
Unabhängig davon sind die Ensembles auch besorgt über die vom Land geplante Umstellung der Förderpraxis. Statt der seit Jahrzehnten üblichen Festbetragsfinanzierung soll es künftig nur noch eine Fehlbedarfsfinanzierung geben: "Wir befürchten, dass es dadurch vielen Kommunaltheatern unmöglich gemacht wird, Ausfallzahlungen an ihre Gäste zu tätigen, ohne selbst erheblichen finanziellen Schaden zu nehmen." Die Künstler fordern stattdessen eine rechtlich verbindliche Regelung, "mit denen eine Rückkehr zur Festbetragsfinanzierung garantiert wird".



