"Ich will nicht predigen"
Rockröhre Melissa Etheridge zeigt bei Konzerten in Stuttgart, Frankfurt und Breisach ihr ganzes Können

Von Olaf Neumann
Die Sängerin Melissa Etheridge macht kein Geheimnis aus ihrer sexuellen Orientierung und kämpft schon lange für die Rechte der LGBTQ+-Community. Jetzt stellt die 63-jährige US-Amerikanerin ihre größten Hits und Songs ihres kommenden Albums live in Deutschland und Österreich vor. Mit Etheridge sprach Olaf Neumann über den tragischen Tod ihres Sohnes Beckett und Trumps Dekrete gegen Transgender-Personen.
Mrs. Etheridge, Sie sind das ganze Jahr über auf Tour. Welcher Ihrer vielen Songs darf da auf keinen Fall fehlen?
"Bring Me Some Water" und "Like The Way I Do", "I Am The Only One" und "Come To My Window". Und natürlich "I Want To Come Over". Das sind die Songs, die ich immer spiele, aber in Europa, besonders in Deutschland, spiele ich auch viel von meinem ersten, zweiten und sogar dritten Album. Tatsächlich habe ich viele Songs in Deutschland geschrieben, als ich dort in den späten 80ern und frühen 90ern auf Tour war. Weil ich inspiriert wurde. Ich war in Berlin, als die Mauer fiel. Das hat mich beeinflusst.
Wie erinnern Sie sich an die Tage um den 9. November 1989?
In der Nacht standen die Soldaten noch auf der Mauer, und man wusste nicht, ob sie anfangen würden, auf Menschen zu schießen. Aber an dem Morgen, als wir in Berlin ankamen, war tatsächlich die Grenze offen. Die Mauer war gefallen, und ich war dabei und sah all diese Leute mit den Kettensägen. Das miterlebt zu haben, bewegt mich immer noch. Ich sah, wie sich direkt vor meinen Augen ein großer Wandel vollzog. Ich glaube fest daran, dass der Wille der Menschen alles verändern kann.
In den USA gehen Sie zusammen mit den Indigo Girls auf Tour. Wollen Sie mit der Tour ein Zeichen setzen in Zeiten, in denen Trump LGBTQ+-Bürgerrechte einschränken will?
Sicher, ja. Wir gehen nicht auf die Bühne und predigen oder so. Wir zeigen einfach, dass wir die Musik gemeinsam mit dem Publikum genießen. Wir lachen mit ihnen. Man bewirkt auf diese Weise mehr, als wenn man predigt.
Trump will Transfrauen von weiblichen Sportteams in Schulen und Unis ausschließen. Was hasst er so sehr an Trans-Personen?
Trump hasst nicht, es kümmert ihn einfach nicht. Er wählt einfach ein Thema aus, das die Leute nicht verstehen. Republikaner wissen nichts über Trans-Personen, sie zeigen einfach ein "verrücktes" Foto von einem Mann, der wie eine Frau gekleidet ist und sagen: "Wollt ihr das in eurem Badezimmer?" Sie setzen auf die Grundangst. Und diese Angst kontrolliert dann. Sie versuchen, drakonische Gesetze gegen Trans-Personen zu erlassen. Es geht nur um Macht. Alles andere ist ihnen egal. Sie wissen nur, wenn sie den Leuten genug Angst machen, werden sie für sie stimmen. Es ist schon traurig.
Eigentlich dachte man, dass die Gesellschaft viel toleranter geworden sei. Überrascht Sie der neue Konservatismus?
Die Offenheit, die wir in den letzten 20 Jahren hatten, hat die wirklich ängstlichen und ungebildeten Menschen aufgebracht. Die haben Angst, weil wir ein Teil der Gesellschaft geworden sind. Es ist einfach, den Leuten zu sagen, dass der Grund für ihre Unzufriedenheit Transgender-Personen sind. Damit sie sie hassen können. Aber weniger als ein Prozent der Amerikaner sind Transgender. Das alles macht wirklich keinen Sinn.
Kann man den Song "The Shadow Of A Black Crow" als Widmung an Ihren verstorbenen Sohn Beckett lesen?
Ja. Ich habe ihn geschrieben, als ich merkte, dass Beckett ein Problem hatte. Es ist ein Lied über Sucht im Allgemeinen. Es transportiert ein Gefühl von Verlorenheit auf der Straße. Ich habe es in diesem Gefängnis gesungen, um mit den eingesperrten Frauen über Sucht zu sprechen.
Beckett starb 2020 an den Folgen seiner Opioidabhängigkeit. Als Reaktion auf diese Tragödie gründeten Sie die Etheridge Foundation. Müsste nicht eigentlich der Staat diese Aufgabe übernehmen?
Nun, Sie denken so, weil Sie im Staat Deutschland aufgewachsen sind. In den USA hat man das schon vor 50 Jahren abgeschafft. Man kann hier nicht einmal Suchtforschung betreiben. Unsere Forschung findet also in Spanien oder Australien statt. Dort, wo wir Daten bekommen können, die wir dann meiner Regierung vorlegen, um ihr zu sagen, dass man sie quasi als Medizin verwendet werden kann. Wir versuchen zunächst, das Gesetz zu ändern, damit der Staat es übernehmen kann. Der Prozess dauert sehr lange. Unser Ziel ist, so viele Daten zu sammeln, dass es unbestreitbar ist.
War der tragische Tod Ihres Sohnes Beckett rückblickend die größte Katastrophe in Ihrem bisherigen Leben?
Ja, aber meine ganze Familie in der Zeit hielt zusammen. Und ich musste mir auch selbst helfen und zu dem Punkt kommen, dass ich entweder zulassen kann, dass mich das in Schuld, Scham, Trauer und Traurigkeit wegspült und ich mich hinlege und sterbe. Oder ich kann daran arbeiten, zu verstehen, dass dies sein Leben war und dass ich ihn nicht retten konnte. Niemand kann jemand anderen retten. Man kann ihn nur inspirieren, und ich habe mein Bestes getan. Beckett war so lange hier. Das ist in Ordnung. Ich musste mich einfach selbst aufbauen und das Ganze in etwas Positives verwandeln. Also habe ich diese Stiftung gegründet, um anderen Familien zu helfen und vielleicht andere Leben zu retten. Und das war es mir wert.
Haben Sie viel darüber nachgedacht, wer für Becketts Sucht verantwortlich war?
Letzten Endes war er dafür selbst verantwortlich. Ich kann nicht darüber hinausgehen, denn das würde mich verrückt machen. Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen. Ich habe alles getan, was ich konnte, um ihm zu helfen, aber er hat diese Entscheidungen getroffen.
Info: Melissa Etheridge spielt am 30. Juni in der Liederhalle Stuttgart, am 2. Juli bei Pinot And Rock in Breisach und am 8. Juli in der Frankfurter Jahrhunderthalle.