Sido in der Halle 02: Vom Gangsta-Rapper zum Popstar und zurück

Sido und seine mit ihm gealterten Fans feiern in Heidelberg: Obwohl er jetzt auch übers Vatersein rappt, ziehen die alten Skandalhits immer noch.

01.02.2017 UPDATE: 02.02.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 3 Sekunden

Sido - mal wieder mit Maske wie früher - hatte am Dienstag mindestens ebenso viel Spaß wie seine Fans. Foto: Rothe

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. 33 Songs in 90 Minuten - Sido hat auch als in Ehren angegrauter Vater dreier Kinder keine Zeit zu verlieren. Er labert nicht rum, er rappt lieber. Der Bass pumpt am Dienstag derart unablässig durch den Saal, dass viele in der ausverkauften Halle 02 bereit sind, für wenigstens diesen einen Abend zu vergessen, dass der 36-Jährige schon lange gar kein richtiger Gangster mehr ist. Sondern Popstar.

Paul Hartmut Würdig alias Sido, der seine Karriere vor 20 Jahren in einer Kreuzberger Kellerkneipe begann, ist auf "Liebhaber"-Tour. Soll heißen: Die Fans, die von Anfang an dabei waren, kommen auf ihre Kosten. Und tatsächlich sind viele der 1200 Besucher in Heidelberg so um die 30 - und die mit ihm Gealterten rappen bei den Uralt-Songs am textsichersten mit. Teenager, die vergeblich auf Pophits wie "Astronaut" warten, sind kaum da.

Da steht er jetzt also in seiner Bomberjacke, flankiert von seinen DJs Desue und Werd und seinem Ziehsohn-Rapper Estikay, und trägt doch tatsächlich wieder die olle - inzwischen güldene - Maske, die er während seines Durchbruchs als Rapper zwei Jahre lang niemals abgesetzt hatte. Doch nicht nur optisch liefert Sido, was gewünscht ist: Mit "A.i.d.S. 2007" oder "Hol doch die Polizei" greift er ganz tief in sein Archiv - und der Saal gerät in Wallung. Auch Sido selbst hat in der für seine Verhältnisse kleinen Halle richtig Spaß. Dazu mag auch beitragen, dass trotz intensiver Kontrollen am Eingang - und mehreren, gar nicht so schwer zu erkennenden Polizisten in Zivil - das ganze Konzert über irgendwo ein Joint brennt.

Natürlich ist der Rapper auch unterwegs, um sein neuestes Werk zu promoten. Mit "Das goldene Album" versucht er ebenso, an alte Zeiten anzuknüpfen. Einigermaßen befremdlich wirkt es dann aber doch, wenn ein Familienvater und mehrfacher Millionär so tut, als würde er wieder wie früher mittellos am Autoscooter rumhängen. Authentischer ist da schon der Song "Papa ist da", in dem er seinen Söhnen zwar nicht gerade weltbewegende Erkenntnisse mit auf den Weg gibt, aber immerhin: Das wirkt dann ehrlich und von Herzen. "Es kommt der Tag, an dem man euch verlässt, dann blutet das Herz" - dass Sido einmal so etwas rappen würde, war vor 15 Jahren, als er seinen berüchtigten Song über Analsex rausbrachte, nicht zu erwarten. Und als wüsste er das selbst, schiebt er hinterher: "Doch euren ersten Liebeskummer ist die Hure nicht wert."

Sido ist neben Bushido jener Mann, der den deutschen Gangsta-Rap kommerziell etablierte. Mit Songs über Drogen, Gewalt und alle anderen Themen, die eben so auf der Straße rumliegen, stießen sie die nie endende Debatte los, wie ironisch oder unironisch, wie frauenverachtend oder nicht, das eigentlich alles gemeint ist. Den Studenten, Angestellten, Beamten und anderen ganz normalen Leuten in der Halle 02 - auch und besonders den Frauen - ist diese Debatte noch immer herzlich egal. Sie rasten lieber aus, als Sidos alter Aggro-Berlin-Kollege B-Tight die Bühne entert und sie zusammen "Westberlin"-Zeiten feiern.

Natürlich fordern die Fans - wie immer - als Zugabe den am wenigsten jugendfreien Sido-Song, jenen über Analsex, dessen Titel zu ordinär ist, um ihn in diese Zeitung zu schreiben. Aber selbst Sido ist er inzwischen anscheinend zu obszön: Auf der am Bühnenboden festgeklebten Setlist steht am Ende nur verschämt: "AF-Song".

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