"Die Blumen von gestern" im Gloria-Kino: Schwieriges Thema mit Sensibilität und Humor inszeniert

Chris Kraus präsentierte in Heidelberg seinen neuen Film. Eine Spurensuche nach Tätern und Opfern der NS-Zeit.

08.01.2017 UPDATE: 09.01.2017 06:00 Uhr 1 Minute, 53 Sekunden

Regisseur Chris Kraus kam zur Vorstellung seines neuen Films in das Heidelberger Gloria-Kino. Foto: Philipp Rothe

Von Wolfgang Nierlin

Heidelberg. "Mein ganzes Leben lang habe ich nach dem Leben gesucht", sagt Lars Eidinger in der Rolle des Historikers und Holocaust-Forschers Totila Blumen zu Beginn und am Ende des Films "Die Blumen von gestern" aus dem Off. Auch Chris Kraus, Regisseur und Autor, hat eine mehrjährige Spurensuche hinter sich, die ihn durch diverse Archive führte, wo er die ihn verstörende SS-Vergangenheit seines Großvaters erforschte. Demnach war dieser während des Zweiten Weltkrieges an NS-Verbrechen beteiligt.

Für seinen neuen, zwischen komischem Liebesdrama und maßvoller Farce changierenden Film gibt es also einen gewichtigen autobiographischen Anlass, wie Chris Kraus bei seinem Besuch im Heidelberger Gloria-Kino gegenüber dem zahlreich erschienenen Publikum bekennt. Er habe mit der unkonventionellen "Tonlage" des Films der offiziellen Routine "delegierter Holocaust-Betroffenheit" eine gewisse Respektlosigkeit entgegensetzen wollen, um persönliche Verdrängung als "das Unbewältigte im Überbewältigten", so der Filmemacher, sichtbar zu machen.

Der Trailer zum Film

 

Der ziemlich gehetzt und aggressiv agierende Totila, der durch seine Buchveröffentlichungen großes Renommee genießt, fordert von sich und seinen Mitarbeitern in der Ludwigsburger Zentralen Stelle nämlich ein hohes Maß an moralischer Verantwortung im Umgang mit dem sensiblen Thema.

Als ihm, der sich bei der Finanzmittelbeschaffung gegenüber der "Kommerzialisierung menschlichen Leids" verweigert, die Projektleitung für einen bevorstehenden Auschwitz-Kongress entzogen wird, rastet er aus und schlägt seinen Kollegen Balthasar Thomas (Jan Josef Liefers) krankenhausreif. "Ich verdiene mein Geld damit, negativ zu sein", sagt der sehr von sich selbst eingenommene Totila.

Tatsächlich bekämpft er mit übergroßer Moral und humorloser Verbissenheit einen eigenen Schuldkomplex, denn sein Großvater war als Nationalsozialist einer der Täter. Als "Toto" für seine Arbeit die französische Praktikantin Zazie Lindeau (Adèle Haenel) zugewiesen wird, deren jüdische Großmutter von den Nazis ermordet wurde, entsteht allmählich unter schmerzlichen Wehen und gegensätzlichen Vorzeichen nicht nur eine etwas andere Liebesgeschichte, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der verdrängten Vergangenheit.

Das absurde Aufeinandertreffen von banalem Alltag und innerer Betroffenheit in jenen Archiven der Geschichte, wo sich zwangsläufig auch die Nachkommen von Opfern und Tätern begegnen, war es schließlich auch, was den Humor in die nicht alltägliche Liebes- und Versöhnungsgeschichte beförderte.

Dabei forderte Chris Kraus, wie er nach der Heidelberger Preview des Films erzählt, von seinen exzellenten Schauspielern "vollen Körpereinsatz" und vor allem ein expressives Spiel, um neben wüsten Handgreiflichkeiten die "merkwürdige erotische Anziehung" zwischen "Täter- und Opfer-Enkel" ins Bild zu setzen.

"Es gehe ihr darum, "Schmerzen zu teilen und nicht zu verwalten", sagt im Film die hochbetagte, resolute Frau Rubinstein, die als Schirmherrin des geplanten Kongresses fungieren soll. In dieser Rolle ist die im vergangenen Jahr verstorbene Wiener Burgtheater-Schauspielerin Sigrid Marquardt zu sehen.

Dieses persönliche Credo, verstanden als Appell an die Verantwortung jedes Einzelnen, gilt letztlich auch für die Intentionen von Chris Kraus’ "Dissensfilm", der mit "anarchischer Fröhlichkeit" die Muster einer "formalisierten Erinnerungskultur" aufbrechen will, so das Beiheft zu dem Film.

Info: "Die Blumen von gestern" läuft ab Donnerstag, 12. Januar im Heidelberger "Gloria"-Kino.

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