Heinz Rudolf Kunze

Mit einem Rest von Optimismus

Heinz Rudolf Kunze spiegelt auf seinem 47. Album "Angebot und Nachfrage" gesellschaftliche Konflikte wider.

11.09.2025 UPDATE: 11.09.2025 04:00 Uhr 3 Minuten, 45 Sekunden
Foto: Rene Gaens​

Von Olaf Neumann

Heinz Rudolf Kunze (68) hat seit 1981 mehr als 500 Lieder veröffentlicht. Mit dem sprachgewaltigen Sänger, Schriftsteller und Musicaltexter aus Niedersachsen sprach Olaf Neumann über kritische Kunst, Demokratie und Antikriegshymnen

Ihr 47. Album heißt "Angebot und Nachfrage". Welche musikalische Vision hatten Sie im Kopf?

Heinz Rudolf Kunze: Udo Rinklin hatte die mit mir zusammen. Er ist mein Leib- und Magenproduzent und hat diesmal viel mitkomponiert. Er ist zehn Jahre jünger als ich und machte mit mir eine Art Frischzellenkur. Seine Arbeitsweise tut mir sehr gut, fordert mich heraus und erinnert mich an die ersten Lyric-Jahre.

In dem Lied "Die Angst geht um" singen Sie über die Furcht, mit seiner Meinung anzuecken. Kennen Sie das aus eigener Erfahrung?

Ich meine damit nicht nur meine ganz spezielle, seltsame Ausnahmearbeit, sondern eine gesamtgesellschaftliche Stimmung. Leider glaubt eine mittlerweile nicht zu vernachlässigende Anzahl der Deutschen, sie könnte nicht mehr ungestraft sagen, was sie denkt. Weil sie dann von einer angeblich pseudo-linksgrünen Meinungsdominanz sofort zum Nazi abgestempelt wird. Diese Einbildung führt leider dazu, dass immer mehr Leute die AfD wählen.

War es nicht immer die Aufgabe von Rock- und Popmusik, sich in gesellschaftliche Debatten einzumischen, anzuecken und den Hörer herauszufordern – ohne Kompromisse?

Lange Zeit war dem so. Aber inzwischen ist bei den meisten wohl der Rückzug ins Private angesagt. Schon bei meiner eigenen Generation, den Deutschrockern, höre ich da viel zu wenig klare Kante. Und bei den Jüngeren höre ich gar nichts. Wenn man freundlich gesonnen ist, kann man sagen, die Jüngeren haben noch mehr zu verlieren. Die müssen sich anpassen, die dürfen es sich nicht verderben mit den Medien und mit ihren Plattenfirmen. Schade finde ich es trotzdem. Aber wir sind nicht alleine mit dem Problem. Auch in US-Amerika lässt man Bruce Springsteen verdammt alleine mit seinen kritischen Äußerungen. Neil Young poltert noch ein bisschen, aber Bob Dylan sagt gar nichts. Taylor Swift, mit deren Musik ich mich übrigens noch nicht beschäftigt habe, soll sich hingegen klar positioniert haben. Aber insgesamt wäre es Aufgabe einer breiten Künstlergruppe in den USA, Stellung zu beziehen gegen Trumps unberechenbaren Greiseninfantilismus.

In "Wir sind wir" rufen Sie Deutschland dazu auf, seine Vielfalt zu feiern. Haben Sie das Gefühl, dass unsere Offenheit für Vielfalt kleiner geworden ist?

Ja, natürlich. Die Leute graben sich immer mehr in Wagenburgen ein und bellen sich nur noch an, statt miteinander zu reden und sich auszutauschen. Diese Diskussionskultur, die man als Grundnahrungsmittel für Demokratie braucht, die gibt es doch kaum noch. Vom herrschaftsfreien Diskurs, von dem Jürgen Habermas in den Sechzigern so schön geschrieben hat, sind wir weit entfernt. Alle reden aneinander vorbei, hören sich gar nicht mehr zu und versuchen nur lauter zu sein als die anderen. Und deswegen ist die Demokratie in Deutschland und eigentlich überall auf der Welt momentan wirklich bedroht und auf dem Rückzug. Und die Ränder werden immer stärker. Immer mehr Menschen sagen: "Ach, vielleicht geht es auch ohne Demokratie." Das ist auf jeden Fall sehr erschreckend.

Wollen Sie mit Ihren tiefgründigen Liedern am Ende auch ein bisschen Optimismus verbreiten?

Ich bin alt genug, ich habe schon viele Weltuntergänge prophezeit gehört. Und letzten Endes ging es immer weiter. Mein Restoptimismus, mit dem ich nur dienen kann, sieht folgendermaßen aus: Ich hoffe eben, dass die Generation meiner Kinder und meiner Enkel auf Dinge kommt, auf die wir nicht gekommen sind, um die Probleme der Zukunft zu lösen. Zum Beispiel zu verhindern, dass die Welt wieder so unübersichtlich wird und neue Kriege entstehen. Und diese ganz große Bedrohung: Wohlstand ohne Demokratie, wie es China vorzumachen versucht. Das ist ein ganz gefährliches Modell. Es gibt auch Wohlstand ohne Demokratie. Das ist eine bittere Erkenntnis.

In "Sie sind Migranten" zeigen Sie Mitgefühl für Geflüchtete. Gibt es, wo Sie wohnen, viele Menschen, die "unfreiwillig umgepflanzt und aus ihrer Welt verbannt" wurden?

Auch bei mir in der Wedemark wurden Leute in Sammelunterkünften untergebracht. Als es losging, war ich in vielen Containerdörfern hier in Hannover und habe Musikinstrumente für Asylantenkinder gesammelt. Ich habe also die Lebensumstände in den Bauwagen mit angesehen. Ich weiß, dass das nicht dazu beiträgt, sich entspannt wohlzufühlen in dem Land, in das man kommt. Es wäre also sehr wichtig, dass alles unternommen wird, um diese Leute, wenn sie nun mal hier sind, so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen, damit sie sich entfalten und teilnehmen können am Leben. Allerdings müssen sie das auch wollen. Für diejenigen, die sich eingraben, Subkulturen bilden wollen und die deutsche Gesellschaft eigentlich ablehnen, habe ich wenig Verständnis. An die Spielregeln müssen sie sich schon halten.

Viele der Migranten in Deutschland sind Kriegsflüchtlinge. Mit "Jeder Tote einer zuviel" haben Sie ein berührendes Antikriegslied geschrieben. Erwarten Sie, dass so ein Song im Radio gespielt wird?

Ein Antikriegslied? Auf dem Mars vielleicht! Das Radio ist - sagen wir es mal höflich - schwierig geworden. Ich wünschte mir die Situation, wie sie noch Anfang der 80er-Jahre bestanden hat. Da war der NDR noch ein Radiosender mit einer ganz subjektiven Auswahl von Moderatoren, die ihr Programm selber bestimmen konnten. In der Vormittagssendung von 9 bis 12 Uhr konnte man hintereinander Deep Purple und Klaus Hoffmann hören. Das gibt es ja alles nicht mehr. Heute ist alles stromlinienförmig glatt gebügelt.

Große Antikriegslieder der Vergangenheit heißen "Where Have All The Flowers Gone?”, "Give Peace A Chance", "Blowin’ In The Wind" und "Imagine". Haben diese Protesthymnen etwas bewirkt?

Natürlich nicht. Aber sie haben zum Ausdruck gebracht, was wir Künstler denken und fühlen und dass wir dagegen sind. Mehr können wir nicht tun. Der Titel des Albums, "Angebot und Nachfrage", ist meine Mini-Definition von Kunst: Wir Künstler machen ein Angebot, und das enthält eine tiefere Nachfrage. Und dann sind wir natürlich auch angewiesen auf Angebot und Nachfrage.


Info: "Angebot und Nachfrage" von Heinz Rudolf Kunze erscheint am Freitag. Eine große Tour mit Band ist für 2026 geplant.