Heidelberger Frühling

Festtags-Stimmung zum Festivalstart

Weltenflucht und Improvisationskunst: Der Eröffnungstag begeisterte Musiker und Publikum.

27.03.2022 UPDATE: 28.03.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 14 Sekunden
Voller Einsatz: der Cellist Daniel Müller-Schott und Herbert Schuch in der Alten Aula. Foto: studio visuell

Von Jesper Klein

Heidelberg. Es ist noch ungewohnt. Lückenlos besetzte Stuhlreihen, Gedränge dicht an dicht im Treppenhaus und überhaupt: die Idee, bei einem Musikfestival ganz physisch zusammenkommen zu können. Heidelberger Frühling, das bedeutet für viele Musikfreunde ein Leben und Denken von Konzert zu Konzert. Am Samstag startete das Festival mit einem vollgepackten Eröffnungstag in seine Jubiläumsausgabe – und brachte das besondere Gefühl zurück, dass sich in diesen Tagen vieles, wenn auch lange nicht alles, um die Musik dreht.

Ein erster Härtetest ist es auch für die Spielstätten rund um das im Hof der Neuen Universität eingerichtete Festivalzentrum. Das wird sicher stärker frequentiert werden, wenn die Konzertfülle noch mehr zur Gewohnheit geworden ist.

Zum Auftakt in die Neue Aula: Die norwegische Geigerin Eldbjørg Hemsing, der dem Festivalpublikum wohlbekannte Daniel Müller-Schott und Martin Stadtfeld ermöglichen mit Ludwig van Beethovens "Geistertrio" am Samstagmorgen eine erste Weltenflucht. Drei exzellente Musiker spielen hier fraglos, auch wenn sie nicht in letzter Konsequenz mit einer Stimme sprechen. Zu sehr wird das Trio von den Streichern angeführt, während sich Stadtfeld am Klavier im Hintergrund hält. In Edvard Griegs typisch nordischem Andante in c-Moll gestaltet er dann aber feinfühlig mit den Fingern und besonders dem Fuß am Pedal. Mit dessen Hilfe legen sich kleine Kränze wie Heiligenscheine um die Akkorde. Pjotr Tschaikowskis Trio in a-Moll tendiert dann ohnehin ins Sinfonische und trägt somit den Klang hinein in die für Kammermusik ja eigentlich etwas zu große Hauptspielstätte des Festivals in Zeiten der Stadthallen-Sanierung.

Station zwei in der Alten Aula: Hier hat man eine kleine Bühne in das Halbrund gebaut. Da die Geigerin Vilde Frang krankheitsbedingt nicht spielen kann, tritt noch einmal Müller-Schott an die Seite des Pianisten Herbert Schuch. Eine solch kurzfristige Programmänderung ist dreierlei: überraschend für das Publikum, charakteristisch für ein solches Festival und vor allem bezeichnend für diese Zeit. Vor der Pandemie noch Schweißperlentreiber sind derartige Wendemanöver heute fast schon Routine geworden.

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Bei anfänglicher Irritation nach dem Motto "Mondschein oder Waldstein – Hauptsache Mozart" fegt Schuch schließlich durch die Waldsteinsonate und schaltet nicht einmal für das lyrische Seitenthema einen Gang zurück. Zu groß ist offenbar die Freude über die Rückkehr des Publikums, das sich besonders für die ebenfalls stürmende und drängende Interpretation von Beethovens etwas eigenwilliger, aber spannender Cellosonate in A-Dur begeistern kann.

Der Tag endet, wo er begann: In der Neuen Aula sind die LGT Young Soloists zu Gast, ein international zusammengesetztes Jugendorchester mit Musikern im Alter von 14 bis 23 Jahren. Das erlaubt sich zunächst einen der für dieses Festival nicht untypischen Anachronismen und spielt Alfred Schnittkes pseudobarocke Suite für Streichorchester. Erst in der abschließenden Pantomime wird man mit dem Schrecken ächzender Dissonanzen darauf hingewiesen, dass hier mit dem russisch-deutschen Komponisten ja ein Kind des 20. Jahrhunderts am Werk war.

Durchaus interessant zusammengestellt ist dieses Programm, das einzelne Solisten des jungen Ensembles ins Licht setzt. Formal ungewöhnlich zunächst die Streichorchester-Bearbeitung von Beethovens "Kreutzersonate", bunt dann die zweite Hälfte mit Alberto Ginastera, Max Bruch, Giovanni Sollima und fetzenden Zugaben. Wie schon beim Festakt zur Eröffnung am Freitagabend merkt man, dass hier aufstrebende Musiker auf der Bühne stehen, die sich einfach riesig darüber freuen, am Eröffnungstag vor einem solchen Publikum zu spielen. Und diese Freude überträgt sich auf den Saal. Am Ende von Tag eins gilt, was Intendant Thorsten Schmidt mit Blick in die Zukunft schon am Freitagabend über sein Festival sagte: "Wir fangen gerade erst an!". Dem ist (vorerst) nichts hinzuzufügen.

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