Heidelberger DAI

Bei "Rock Poetry" ging es um die Song-Poesie von Bob Dylan

Die Professoren Udo Dahmen und Heinrich Detering sprachen darüber. "Ich habe den Text nicht verstanden, aber die Wut".

28.02.2022 UPDATE: 01.03.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 47 Sekunden
Der Dichter als Performer: Bob Dylan. Foto: dpa

Von Thomas Veigel

Heidelberg. Wenn es um die wichtigen Dinge in dieser Welt geht, findet sich immer ein passender Song von Bob Dylan. "Masters of War" hören die Gäste im gut gefüllten Saal des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) zum Auftakt einer Reihe von Gesprächen zum Thema "Rock Poetry". Das 60 Jahre alte Anti-Kriegslied, geschrieben von einem damals 21-Jährigen in einer der heißesten Phasen des Kalten Krieges, ist aktuell wie eh und je. Jede Zeile demaskiert die Kriegstreiber, und mit jeder Zeile steigt die Wut.

Zwei Professoren sitzen auf dem Podium, sie sind gefesselt vom Text, von der schneidenden Stimme Dylans und der Kargheit der Gitarren-Akkorde. Udo Dahmen, Chef der Popakademie, ist 1951 geboren und hat "Masters of War" als 12-Jähriger gehört. "Ich habe den Text nicht verstanden, aber die Wut."

Der Song erschien 1963 auf dem zweiten Album Dylans, "The Freewheelin’ Bob Dylan". Nach Meinung Dahmens setzt Dylan damit den "Maßstab für das Jahrzehnt" mit seinen Anti-Kriegsdemonstrationen und der 1968er-Studentenrevolte. Dylan sei Teil und Sprachrohr einer Generation gewesen, "Teilnehmer und Erschaffer des Zeitgeistes". In dem Viereck Künstler, Text, Musik, Zeitgeist entstehe, so Dahmen, in der Performance ein dynamisches Kraftfeld. Jeder Künstler habe sein eigenes, bei Dylan sei es besonders stark und elegant.

Dahmens Gesprächspartner auf dem Podium ist der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, einer der besten Kenner von Dylans Texten. Anfang der 60er Jahre gebe es viele Protestsänger in New York, aber ausgerechnet der wirkmächtigste unter ihnen wolle sich nicht vereinnahmen lassen. Er sehe sich als Poet, nicht als Protestsänger. Deshalb greift er bald zur elektrischen Gitarre, macht sich in Teilen der Szene unbeliebt und taucht nach einem ominösen Motorradunfall für einige Jahre ab. Und spielt später eher den exzentrischen, arroganten, nihilistischen Dandy als den Revoluzzer. "Dass er zum Symbol und zum Leitbild einer Generation wurde, wollte er nicht", sagt Detering. Dylan sei immer einen Schritt weiter gegangen als die Protestsänger: Er gehe in der Empörung auf Distanz, könne neben sich stehen. Detering zeigt das am zweiten Musikbeispiel "A Hard Rain’s A Gonna Fall", ebenfalls vom zweiten Album Dylans. Darin geht es, so Detering, um die Kuba-Krise, "aber es handelt nicht davon." Der Song sei "ganz große Poesie, Welt-Poesie". Obwohl oder weil, wie Detering meint, Dylan in diesem wie in vielen anderen Texten Folksongs und Werke der Weltliteratur zitiert.

Dylan ist bis heute ein Dichter als Performer. Text und Musik sind eine Einheit, die aber in verschiedenen Farben gemalt werden kann. Dahmen und Detering zeigen das anhand von vier verschiedenen Versionen des Songs "Don’t think twice, it’s alright". Dylan spielt mit dem Material, die Spanne reicht von aggressivem Gebrüll eines Punkers bis zum melancholischen Crooning à la Sinatra.

Mit "Like A Rolling Stone" betreten die Professoren "heiligen Boden". Der Song beginnt wie das Märchen von Cinderella, aber danach werden alle bekannten kulturellen Muster "zersungen", wie es Detering nennt. Am Ende ist alles weg: "Wenn du nichts mehr hast, hast du auch nichts mehr zu verlieren." Der Song ist auf dem ersten elektrischen Rock-Album Dylans, "Highway 61 Revisited". Detering nennt es "die heroische Geburtsstunde der modernen Rockmusik", das nicht nur die Texte und Musik der Beatles und der Rolling Stones grundlegend verändert hat.

Nach "All Along The Watchtower" merken die Herren auf dem Podium, dass die Veranstaltung gleich zu Ende ist und dass man sich immer noch am Anfang von Dylans mittlerweile über 60-jähriger Karriere befindet. Kurz also noch zu einem Lieblingssong Deterings vom Spätwerk "Modern Times" von 2006: In "Workingman‘s Blues #2" lässt Dylan den römischen Dichter Ovid mit der Country-Legende Merle Haggard den Blues singen. Ein Drittel des Textes zitiert ganze Zeilen aus Ovids "Tristia", elegischen Briefen aus dem Exil am Schwarzen Meer. Zitiert werden aber auch andere Poeten und Sänger. Und auch die Musik wurde schon einmal geschrieben, ein Blues ist es nicht: Die Akkordfolge ist die gleiche wie im "Kanon in D" des Barock-Komponisten Johann Pachelbel. In frühen Songs hat Dylan seine Inspirationen oft genannt, später hat er ohne Quellenangabe zitiert, dekonstruiert, montiert und collagiert. Detering nennt dieses Verfahren schwieriger als eigene Songs zu schreiben.

Bob Dylan, der mit fast 81 Jahren im März wieder auf Tournee gehen wird, zitiert heute nicht mehr Rimbaud mit "Ich ist ein anderer", sondern er sagt: "Ich bin alle anderen". In welcher Tradition er sich sieht und wie weit das zurückreicht, sagte Dylan am Schluss seiner Vorlesung anlässlich der Verleihung des Literatur- Nobelpreises. Er zitierte Homer: "Singe in mir, oh Muse, und erzähle durch mich die Geschichte..."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.