Dem "lebendigen Geist" auf der Spur
Schriften prägen unser Stadtbild - Der Sonderforschungsbereich "Materiale Textkulturen" lud zum Spaziergang rund um die Universität

Im Sommer 2009 war auf dem Universitätsplatz einige Monate lang die Buchstaben-Installation "Dem lebendigen Geist" zu sehen. Auch ein Banner warb über dem Eingang für das Fundraising-Projekt zur 625-Jahresfeier der Universität. Inzwischen stehen die Stelen auf dem Campus im Neuenheimer Feld nördlich des Kirchhoff-Instituts. Archivfoto: Stefan Kresin
Von Ingeborg Salomon
Heidelberg. Wer durch eine Stadt spaziert, wird von visuellen Reizen überflutet. Meist sind es Bilder, Plakate oder Grafiken, die den Betrachter anregen, zu verweilen. Buchstaben und Schriften haben es hingegen deutlich schwerer, die Aufmerksamkeit von Passanten zu erregen. Was schade ist, denn sie prägen ein Stadtbild ebenso, nur eben ein bisschen unauffälliger. Der Sonderforschungsbereich "Materiale Textkulturen" der Universität Heidelberg (SF 933) untersucht Objekte, auf denen etwas geschrieben steht, von der über 5000 Jahre alten Keilschrifttafel bis zum gerade verlegten Stolperstein in der Hauptstraße. Wie spannend die Beschäftigung mit diesen Artefakten - so der Fachausdruck - sein kann, erfuhren jetzt die 15 Teilnehmer eines Stadtspaziergangs, zu dem Mitarbeiter des SF eingeladen hatten.
Dass sich das Trüppchen um Dr. Nele Schneidereit, Friederike Elias und die Studentinnen Jana Richter und Ria Würdemann dabei im engsten Umkreis der Universität bewegte, bot sich an. "Hier herrscht eine enorme Dichte an Verschriftlichungen, verbunden mit der langen Geschichte der Universität", erläuterte Friederike Elias vor dem Portal der Universitätsbibliothek (UB).
Zahlreiche Bildelemente - am auffallendsten die Monumentalskulpturen von Prometheus und einer in zarte Schleier gehüllten Jungfrau - korrespondieren mit nur wenigen Schriftzügen. Bilder gehen vor Text. Wer die UB betritt, könnte dann völlig verwirrt sein, denn zur Rechten verbergen sich hinter dem Hinweis "Damen" die Schließfächer - ein Beweis dafür, wie Inschriften im Laufe der Jahrzehnte Bedeutung haben - oder verlieren. Geballte Bildungsbürgerlichkeit erwartet den Besucher im Foyer mit zwei prachtvollen Mosaiken mit griechischen Inschriften; derzeit sind sie allerdings wegen Renovierungsarbeiten hinter einer Schutzwand verborgen.

Einer von drei Stolpersteinen in der Hauptstraße 123. Quelle: Wikimedia
Von der UB sind es nur wenige Schritte bis zur Neuen Universität. Hier thront über dem Eingang eine sitzende Minerva-Figur, die Göttin der Weisheit (aber auch der taktischen Kriegsführung, was leicht vergessen wird). In der linken Hand hält sie einen langen Speer, in der rechten eine sehr zierliche Prometheusfigur - die Größenverhältnisse sprechen schon Bände. Die Inschrift zu ihren Füßen "Dem lebendigen Geist" (in Versalien) geht auf den Heidelberger Germanisten Friedrich Gundolf zurück. Dass die Nationalsozialisten sie 1936 in "Dem deutschen Geist" änderten, ist das unrühmlichste Stück Geschichte, das die ehrwürdige Ruperto Carola über sich ergehen lassen musste. Nur 18 Buchstaben - über die es sich lohnt, nachzudenken.
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"Was einmal gedruckt ist, gehört der ganzen Welt auf ewige Zeiten. Niemand hat das Recht es zu vertilgen", befand einst Lessing. Die braunen Horden scherte es nicht, am 17. Mai 1933 gingen wie in ganz Deutschland auch auf dem Heidelberger Universitätsplatz die Bücher unliebsamer Autoren in Flammen auf. Heute erinnert eine Gedenktafel mit dem Lessing-Zitat, initiiert 2011 von der Bürgerstiftung, an diesen schwarzen Tag. Dass sie inzwischen deutliche Gebrauchsspuren - um es freundlich auszudrücken - zeigt, beweise auch, dass der Universitätsplatz ein sehr belebter Platz sei, war zu hören. 2009 wurde der "Lebendige Geist" in Form von 120 bis 170 Kilogramm schweren Stahl-Skulpturen zerlegt, die als typografische Installation auf dem Campus im Neuenheimer Feld ein bleibendes Zuhause gefunden haben. "Gedenktafeln sind Metatexte. Die Frage ist, wie wir im öffentlichen Raum damit umgehen", so Jana Richter.
Das zeigen auch die Stolpersteine für drei Mitglieder der jüdischen Familie Simon in der Hauptstraße 123; die Bewohner des Hauses flüchteten 1933 vor den Nazis nach Palästina. Jana Richter verdeutlichte hier, dass "materiale Textkulturen Handlungen mit sich bringen. Denn wenn wir uns die Schrift anschauen, verbeugen wir uns unwillkürlich".
Wer die ebenso kundige wie unterhaltsame Führung miterlebt hat, wird mit anderen Augen durch die Stadt gehen. Und damit so viel geballte Information nicht verloren geht, bereiten die Mitarbeiter des Sonderforschungsbereichs eine App zum Download vor. So kann jeder an den Heidelberger Schriftstücken teilhaben.