"Das Schlimmste ist vorüber, das Schlimmste steht noch aus"
Levin Westermann wurde in der Stadtbücherei Heidelberg mit dem Preis ausgezeichnet.

Von Franz Schneider
Heidelberg. Es gehe nicht, die Kultur als Unterhaltungsveranstaltung abzuklassifizieren und dann wie ein Bordell abzusperren, empörte sich Heidelbergs Kulturbürgermeister Joachim Gerner zur Begrüßung des Publikums am Donnerstagabend im Hilde-Domin-Saal. Alles war anders wegen Covid-19 bei der diesjährigen Verleihung des Clemens-Brentano-Preises, auch in der Heidelberger Stadtbücherei. Denn kurz zuvor hatten Bund und Länder einen zweiten "Lockdown light" verkündet.
Was geblieben ist, ist der Wechsel der Gattungen, dieses Mal war wieder die Lyrik an der Reihe. Die Jury – die Profis dabei für die nächsten vier Jahre neu besetzt, aber wie immer in Zusammenarbeit mit Studierenden der Heidelberger Universität – hatte Levin Westermann gekürt, einen schlanken Mann mit sehr kurzen Haaren, Jahrgang 1980, der im schweizerischen Biel lebt. Debütiert als Lyriker hatte er 2012, davor hatte er auch schon gedichtet, aber nach Selbsteinschätzung nichts Gutes.
2017 fand er Matthes & Seitz, der ihn aus langer Verlagslosigkeit errettet habe und dem er dafür großen Dank schulde, wie er sagte. Soeben ist dort sein Lyrikband "Bezüglich der Schatten" erschienen, ein Buch mit einem umgedrehten Fuchs als Titelbild. Tiere sind für Westermann ein wichtiges Motiv, nicht nur, weil er beim Laufen im Wald immer wieder Füchsen begegnet. So heißt es programmatisch im Einstiegsgedicht: "Über Nacht haben sie den Wald ersetzt, die Vögel mit Vögeln, den Fuchs mit einem Fuchs."
Dazu erläuterte der Laudator Christian Metz: "Der Wald mag noch aussehen wie ein Wald, das Reh wie ein Reh, der Fuchs wie ein Fuchs. Aber sie sind es nicht mehr. Das Bild einer heimlich installierten Scheinwelt bildet den Kern jener Paranoia, die jede Flucht bestimmt. Man kann der Normalität nicht mehr trauen im Schattenreich der Flucht." Metz vermittelte dem Publikum die strenge Form eines Buches, das sich in zwei Hälften teilt: ein Langpoem, ein Fluchtgedicht, wie der Laudator es nannte, und ein Triptychon, das die poetische Einsicht birgt, dass das Gleichgewicht zwischen Aufstieg und Sturz zu bewahren sei. Oder einfacher: "Langsamer fallen, verehrtes Publikum."
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Wenn man dann Levin Westermann selbst hört, begreift man schnell, dass seine Lyrik ihre Kraft aus einem suggestiven Rhythmus holt, eine bisweilen schon schlichte Versponnenheit, die mit ihrer Sprache um die Möglichkeit und Unmöglichkeit der Natur kreist. Amerikanische Lyrikerinnen haben ihn dabei geprägt, allen voran Anne Carson. "Bezüglich der Schatten" lässt sich darum auch als Hommage lesen. So bekannte Westermann denn auch, vor allem die Werke dichtender Frauen zu lesen.
Gehalten jedoch ist seine eigene Lyrik in einem Ton, der Endzeit und Apokalypse nicht scheut. Wie heißt es in einem seiner Gedichte: "Das Schlimmste ist vorüber, das Schlimmste steht noch aus." Gerade jetzt den Clemens-Brentano-Preis an einen solchen Autor zu verleihen, erwies sich als sehr passend. Mitgestaltet wurde die Preisverleihung von Cello-Musik von Johann Sebastian Bach, gespielt von Fritjof von Gagern.
Info: Levin Westermann: Bezüglich der Schatten, Matthes & Seitz, Berlin 2019, 158 S., 20 Euro.



