Der Film des Heidelberger Regisseurs Nikias Chryssos
"A pure place" erzählt die Geschichte einer von Sauberkeit besessenen Sekte.

Von Wolfgang Nierlin
Aus der Vogelperspektive blickt die Kamera über das Häusermeer der griechischen Hauptstadt Athen, an deren verwahrlosten Rändern Obdachlose ihr Dasein fristen. Kontrastiert wird diese Einstellung durch die Totale auf eine Insel in der Ägäis. Hier setzen sich in Nikias Chryssos’ dystopischer Filmparabel "A pure place" die Gegensätze zwischen oben und unten, Sauberkeit und Schmutz, Wohlstand und Armut fort. In diesem entlegenen Refugium hat der charismatische Sektenführer Fust (Sam Louwyck) eine Kolonie der Reinen gegründet und dem Schmutz den Krieg erklärt.
Denn nur äußere Sauberkeit führe zu innerer Reinheit. Während sich also seine hörigen Jünger in Waschkulten auf eine höhere Daseinsstufe vorbereiten oder weiß gewandet dem schönen Nichtstun frönen, produziert eine Horde verdreckter Kindersklaven in einem dunklen Verlies des Anwesens, wo diese zusammen mit Schweinen hausen, eine paradiesisch riechende Seife der Marke "Fust".
Zu diesen "Erstlingen" gehören auch die Geschwister Irina (Greta Bohacek) und Paul (Claude Heinrich), die von Fust ihrer Mutter entrissen wurden. Im märchenhaften Setting dieser mit griechischen und germanischen Sagen-Motiven angereicherten Geschichte sind die beiden gewissermaßen Hänsel und Gretel.
Wenn Irina bei Kerzenschein den gespannt lauschenden Kindern die Legende der Göttin Hygieia erzählt, die mit ihrer inneren Reinheit Menschen gesund machte, steht ihre Berufung in den Kreis der Jünger kurz bevor. Für ihren Aufstieg als neue Heldin seines Mysterienspiels muss Fust aber erst noch seine früheren Darsteller Maria (Lena Lauzemis) und Siegfried (Daniel Strässer) opfern. Für ihn ist die Darstellung im Theater eine Vorwegnahme der angestrebten elysischen Unsterblichkeit: "Die Bühne ist das Zwischenreich, wo wir die Götter treffen können."
In einer Mischung aus Faszination und Verstörung fügt sich Irina zunächst in ihre Rolle, während Paul rebelliert und Fusts tyrannisches Wesen immer offensichtlicher wird. Der selbsternannte Erlöser ist ein schlechter, ziemlich durchschaubarer Verführer, der, wie sich schließlich in Rückblenden herausstellt, von einem schweren Schuldkomplex beladen ist. Seine letztlich zerstörerische Mission ist an die Geschichten moderner Sektierer angelehnt und reflektiert den Machtmissbrauch von Gewaltherrschern und Diktatoren.
Doch trotz ihrer politischen und sozialen Implikationen bleibt Nikias Chryssos’ Fabel schematisch und spannungsarm. Einmal in ihren Gegensätzen und Konflikten etabliert, tritt die Handlung trotz ironischer Brechungen auf der Stelle. Statt zu erzählen, reiht Chryssos Genre-Versatzstücke aneinander, die weniger auf inhaltliche Stringenz zielen, sondern vor allem redundant einen menschenverachtenden Reinheitskult entlarven.
Wie schon in seinem minimalistischen Film "Der Bunker" (2015) konzentriert sich der in Heidelberg aufgewachsene Regisseur auch in "A pure place" dabei auf die strukturellen Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb einer (erweiterten) Familie.
Info: Heidelberg, Karlstorkino: 17. Dezember (19 Uhr); 18. Dezember (21 Uhr).