Kulturpolitiker Michael Sieber wird 75
Mit "Don Giovanni" ging er durch dick und dünn und wurde weit über die eigenen Parteigrenzen hinweg bekannt.

Von Volker Oesterreich
Wie hat der Mann das bloß angestellt? Während seiner aktiven Zeit als Staatssekretär des Landes Baden-Württemberg hatte man das Gefühl, Michael Sieber sei zwischen Konstanz, Ulm und Heidelberg überall gleichzeitig präsent: bei Premieren und Ausstellungseröffnungen, in Findungskommissionen auf der Suche nach neuen Intendanten oder bei Plenardebatten. Dazu noch jede Menge Ausschüsse, Hintergrundgespräche, Kuratorien und Kabinettsrunden. Figaro hier, Figaro da – Sieber hier, Sieber da. Trotz dieser Terminfülle macht der Ehrenbürger von Rauenberg (dort saß er lange im Kommunalparlament) nie den Eindruck, gehetzt zu sein. Im Gegenteil: Als glasklar denkender Jurist und äußerst kundiger Kulturbürger strahlt er jene souveräne Gelassenheit aus, die unabdingbar ist, wenn man etwas erreichen will.
Auch heute, an seinem 75. Geburtstag, vermeidet er die Hektik: "Wir feiern nicht – Corona-bedingt", sagt er im Gespräch mit der RNZ. Ein volles Haus wolle er seiner Ehefrau, den beiden Kindern und Enkeln nicht zumuten. "Das gebietet die Vernunft, wir holen das Fest später nach."
Als Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (1996-2006), davor schon als stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion (1991-1998) und als Landtagsabgeordneter (1984-2006) betrieb der seit vielen Jahren in Wiesloch lebende Kulturbürger Sachpolitik quer über die Parteigrenzen hinweg. "Anders geht es nicht in der Kultur." Mit dieser Haltung gelang es ihm 1989, das in den eigenen Reihen lange umstrittene Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe durchzusetzen. Heute gilt es als Glanzstück der baden-württembergischen Kulturszene.
"Beharrlichkeit, Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsvermögen gehören einfach dazu." Diese Kardinaltugenden hat sich Sieber von seinem Mentor, dem langjährigen Landwirtschaftsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Gerhard Weiser, abgeschaut. "Er hat mich geformt – übrigens auch in meinem Widerspruchsgeist." Weiser wollte keine Duckmäuser um sich haben, sondern klar strukturierte Menschen. "Auf die konstruktive Kritik kam es ihm an, selbst dann, wenn man zu 100 Prozent unterschiedlicher Meinung war", sagt Sieber über seinen politischen Ziehvater.
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Die offene Aussprache unterschiedlicher Meinungen genießt Sieber auch bei den Jurysitzungen des Bremer Literaturpreises. Als Vorsitzender der Rudolf-Alexander-Schröder-Stiftung nimmt er regelmäßig daran teil – "immer im Engagement für gute Literatur". Wichtig sei, dass nichts nach außen dringe, vor allem nicht über die unterlegenen Kandidaten. "Bisher hat das immer geklappt, wir können uns aufeinander verlassen."
Als Sieber 2006 aus dem Amt verabschiedet wurde, trafen sich die Repräsentanten der Kulturszene auf Schloss Solitude. Ein großer, bunter, fröhlicher Haufen. Trotzdem war dieser Abschied kein wirklicher Abschied, weil Sieber den vielen Theatern, Museen und Festivals weiterhin die Treue hält – aus ganz persönlichem Enthusiasmus. 800 Opern-Produktionen hat er bislang besucht. Mit "Don Giovanni" geht er sogar durch dick und dünn. Allein von diesem Mozart-Werk hat Sieber 35 unterschiedliche Inszenierungen kennengelernt. Das macht ihm so schnell kein anderer Opern-Afficionado nach. Von Mal zu Mal wächst sein Expertenwissen, und davon profitieren letztlich auch die Schwetzinger Festspiele und Enjoy Jazz. Bei beiden hat seine Stimme seit vielen Jahren Gewicht.