Von Heribert Vogt
Heidelberg. Wie Gold glänzt der Mythos Heidelberg auch in Zeiten der Corona-Pandemie. Während das geistige Leben derzeit fast überall heruntergefahren ist, reflektieren zahlreiche Neuerscheinungen aus der aktuellen Herbstproduktion der deutschen Verlage die kulturgeschichtlichen Glanzseiten der Stadt: heutige Autoren wie die Romantik, den Heidelberg-Besucher Goethe wie das hiesige Theaterfestival des Stückemarktes.
Aber da ist es doch eher ein Zufall, dass sich der Heidelberger Autor Ralph Dutli in seinem neuen Buch dem Gold widmet. Es trägt den Titel "Das Gold der Träume. Kulturgeschichte eines göttlichen und verteufelten Metalls". Und Ijoma Mangold trägt zwar das "Gold" in seinem Namen, aber allzu goldig dürfte das aktuelle Buch nicht ausfallen: "Der innere Stammtisch. Ein politisches Tagebuch" heißt die Neuerscheinung des gebürtigen Heidelbergers. Ein Text der Zeitdiagnose.
Jedoch noch viel dramatischer war das Leben des in Heidelberg geborenen Schriftstellers Ernst Jünger. Im 20. Jahrhundert war er Teilnehmer beider Weltkriege. Das Bild des "Kriegsverherrlichers" Jünger hat sich jedoch gewandelt. Zum 100-Jahr-Gedenken an den Ersten Weltkrieg gab es vor allem seit 2014 eine Reihe neuer Jünger-Bücher. Zu diesem Komplex erscheint nun Ingeborg Villingers Titel "Gretha Jünger. Die unsichtbare Frau". Die Pianistin, Bühnenkünstlerin und Schriftstellerin verbrachte ihr Leben an der Seite Ernst Jüngers.
Und zumindest kompliziert waren auch die Zeiten Goethes und der Romantiker. Goethe besuchte Heidelberg acht Mal, und es gab hier die Phase der Heidelberger Romantik. Zu beiden Bereichen kommen Bücher heraus. Sigrid Damm veröffentlicht die Novität "Goethe und Carl August. Wechselfälle einer Freundschaft" (Insel Verlag). Auch in Heidelberg war Goethe mit dem Weimarer Herzog zu Gast. Und Michael Grus ist Herausgeber des Bandes "Caspar David Friedrich trifft Dichter der Romantik" (Reclam Verlag). Da geht es etwa um Joseph von Eichendorff oder Clemens Brentano.
Schließlich gibt es bereits seit längerer Zeit den Trend, dass namhafte Dramatiker literarische Werke verfassen – und die auch beim Heidelberger Stückemarkt vertreten waren. So legt Thomas Oberender, seit 2012 Intendant der Berliner Festspiele, das Buch "Empowerment Ost. Wie wir zusammenwachsen" vor. In den 1990er Jahren war er mit drei Werken beim Theaterfestival am Neckar präsent. Auch die beim Stückemarkt vertretenen Autoren Lukas Bärfuss, Clemens J. Setz oder Christoph Nußbaumeder veröffentlichen neue Bücher.
Ralph Dutli, Jahrgang 1954.Foto: Wikipedia> Ralph Dutlis neues kulturgeschichtliches Buch "Das Gold der Träume" ist bereits erschienen.
Zu allen Zeiten wurde Gold als unzerstörbares, "ewiges" Metall verehrt. Gold leuchtet in den Religionen und Mythen, in Märchen, Kunst und Literatur. Es ist Symbol für Glanz und Gier, Macht und Magie. Im Umgang mit ihm zeigt sich der Mensch mit seinen geistigen Höchstleistungen und Träumen – und den Abgründen zerstörerischer Leidenschaften.
Goldener Mythos HeidelbergVon der Bibel und den Pharaonen zur Suche nach Eldorado, von Indiens Göttern und den goldenen Buddhas Asiens zu den Alchemisten und zum digitalen Krypto-Gold sammelt Dutli den Goldstaub in seiner Kulturgeschichte von großem Facettenreichtum. Gerade die Dichter – von Horaz bis Rilke – dachten am tiefgründigsten über das Wesen des Goldes nach. Die modernen Poeten von Baudelaire und Rimbaud bis zu den Surrealisten inszenierten sich als Erben der Alchemisten. Und hinterließen uns das kostbare Gold ihrer Gedichte.
Info: Ralph Dutli. "Das Gold der Träume. Kulturgeschichte eines göttlichen und verteufelten Metalls". Wallstein Verlag, Göttingen 2020. 238 Seiten, 16,90 Euro.
Ijoma Mangold, Jahrgang 1971. Foto: Die Zeit> Ijoma Mangolds Titel "Der innere Stammtisch. Ein politisches Tagebuch" ist für den 15. September angekündigt.
Der Autor führt ein politisches Tagebuch und beschreibt darin die Ereignisse der Gegenwart sowie seine ständig wechselnden Reaktionen darauf: auf Trump und auf Greta, auf Boris Johnson, von dem er sich hat täuschen lassen; auf das Desaster von Thüringen und den Terror von Hanau; auf Gespräche während der Berlinale; auf das Corona-Virus.
Goldener Mythos HeidelbergVerwundert blickt er auf die, denen einerseits "Tugendterror" oder "Multi-Kulti-Romantik", andererseits "Agism" oder "Faschismus" leicht von den Lippen gehen; die Basis, auf der wir Urteile fällen und Entscheidungen treffen, ist schmal und schwankend.
Und doch ist sie alles, was wir haben. Die alte Eindeutigkeit ist aus der Politik verschwunden. Sie wurde ersetzt durch Reflexe und Schnappatmung, durch Wut und Widersprüchlichkeit. Doch dieses Unreflektierte, die Affekte, der Stammtisch, der permanent nur für uns selbst in uns zu hören ist, ist das, was das Politische im Tiefsten ausmacht.
Info: Ijoma Mangold: "Der innere Stammtisch. Ein politisches Tagebuch". Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 272 S., 22 Euro.
Ernst Jünger (1895-1998).Foto: Frank Mächler> Ingeborg Villingers Biographie "Gre-tha Jünger: Die unsichtbare Frau" ist für den 19. September geplant.
Gretha Jünger war Pianistin, Bühnenkünstlerin, Literatin, Briefeschreiberin und Ehefrau von Ernst Jünger. Dieses Buch macht das Leben einer Frau sichtbar, die sich stets im Spannungsfeld zwischen Selbstbehauptung und Konvention bewegte. Ihr Leben und Schreiben sind ein Spiegel jener Zwänge, die aus Geschlechterdifferenzen, politischen Um-brüchen und intellektuellem Leben hervorgehen. Doch was ist von ihr bekannt?
Goldener Mythos HeidelbergAufgewachsen im wilhelminisch-preußischen Hannover, lehnte Gretha von Jeinsen weibliche Sozialisation ab, befreite sich aus der "Gretchen-Welt", um die Bühne zu erobern und später Schriftstellerin zu werden. Ein Leben lang rang die belesene Frau um weibliche und künstlerische Autonomie, doch ihr männliches Umfeld sowie das asymmetrische Geschlechterverhältnis zwischen ihr und Ernst Jünger prägen ihr Leben. Von Kaiserreich und Weimarer Republik spannt sich ihr Leben über zwei Weltkriege hinweg.
Info: Ingeborg Villinger: "Gretha Jünger: Die unsichtbare Frau". Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2020. 370 S., 26 Euro.
Thomas Oberender, Jahrgang 1966.Foto: Britta Pedersen> Thomas Oberenders Neuerscheinung "Empowerment Ost. Wie wir zusammen- wachsen" ist bereits erschienen.
Im dreißigsten Jahr der Maueröffnung ist die Erfahrung der Wiedervereinigung in Ost und West noch eine völlig andere. Das Buch beschreibt die Revolution von 1989/90 als radikale Demokratieerfahrung – der Ostdeutschen. Ein Vorläufer des politischen Aktivismus von heute, vom Arabischen Frühling über Occupy Wallstreet bis zu Fridays for Future.
Goldener Mythos HeidelbergSind die Ostdeutschen undankbar? Sehen ihre Städte heute nicht schöner aus als früher? Was ist aus den "Jammer-Ossis" geworden? Und woher kommt noch immer die Rede von "ostdeutschen Demokratiedefiziten" oder einer "alternativlosen" Politik der Treuhand? Oberender legt die verblüffende Andersartigkeit der Wahrnehmung unserer jüngeren Geschichte in Ost- und Westdeutschland offen. Er analysiert den sogenannten "Aufbau Ost" und beschreibt die Revolution der ostdeutschen Bürgerbewegung als eine radikale Demokratieerfahrung, visionär und realistisch zugleich.
Info: Thomas Oberender: "Empowerment Ost. Wie wir zusammenwachsen". Tropen Verlag, Stuttgart 2020. 112 Seiten, 12 Euro.