Im Streitgespräch über einen Schwangerschaftsabbruch (von links): Marie-Joelle Blazejewski, Swana Rode und Lisa Schlegel auf der Bühne des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Foto: Thorsten Wulff
Von Volker Oesterreich
Karlsruhe. Sie hat sich "müde und wund gearbeitet", die Gynäkologin Beate. Seit dreißig Jahren ackert sie in einer Frauenarztpraxis irgendwo in der Provinz. Dort ist die vom Geist der Alt-68er geprägte Kämpfernatur die einzige Medizinerin, die Verständnis zeigt für werdende Mütter in emotionaler, partnerschaftlicher oder pekuniärer Not. Bei ihnen führt sie Schwangerschaftsabbrüche durch, sofern sie es wollen. Maximal bis zur zwölften Woche, da hält sich Beate strikt an die gesetzlichen Vorgaben. Mit gutem Grund, denn sie will sich nicht angreifbar machen in dem Kaff, in dem ihre Arbeit höchst umstritten ist.
Doch nun möchte Beate ihre Praxis einer jungen Kollegin abtreten – und damit beginnt der ganze Schlamassel in Lutz Hübners und Sarah Nemitz’ geschickt gebautem Dreiakter "Frauensache", geschrieben als Auftragsarbeit für das Badische Staatstheater Karlsruhe, wo es jetzt unter der Regie von Alexandra Liedtke uraufgeführt wurde.
Hübner gehört mit gutem Grund zu den Quotenkönigen der zeitgenössischen Dramatik. Seit einiger Zeit schreibt er seine Stücke zusammen mit Sarah Nemitz. Die Rollenprofile des Autorengespanns sind klar konturiert, die Plots mal komödiantisch, mal spannungsreich oder – wie in diesem Falle – gesellschaftspolitisch zugespitzt. Es fehlt weder an überraschenden Wendungen noch an Bonmots. Wie Yasmina Reza oder Ferdinand von Schirach kultivieren die beiden Autoren die an den Rand gedrängte Dramaturgie des "well made plays". In Heidelberg feierte vor etlichen Jahren Hübners Backstage-Komödie "Gretchen 89 ff." über die Eitelkeiten des Theaterbetriebs große Erfolge, während der Kinohit "Frau Müller muss weg" nach seinem gleichnamigen Bühnenstück die Abgründe des Schulsystems offenbarte.
Ganz anders nun die Karlsruher "Frauensache", in der sich sechs Frauen ein Wortgefecht nach dem anderen liefern. Ihre Männer oder (Geschäfts-)Partner sind nur in ihren Gesprächen präsent. Beate (Lisa Schlegel) will ihre Praxis vor allem deshalb aufgeben, weil ihr Mann an einer schweren Krankheit leidet. Mit ihm wolle sie noch ein gemeinsames Alter erleben, sagt sie gleich zu Beginn. Deshalb ist sie so froh, dass die jung-dynamische Hanna Sievers ihre Praxis übernehmen will. Swana Rode spielt die Nachfolgerin in spe zunächst wie einen sympathischen Sonnenschein, doch im bald beginnenden Pro und Contra über das Thema Schwangerschaftsabbruch wandelt sie sich mit rechtspopulistischen Tiraden auf den Lippen zu einer schrillen Alice-Weidel-Karikatur.
So knallt es aufeinander, das "links-versiffte" Establishment, für das Beate steht, und die völkisch-rassistisch orientierte Szene der Nazi-Hippster, denen Hanna ein Gesicht gibt. Die junge Ärztin lebt in einer bräunlichen Kameradschaft auf einem Ökohof und agitiert mit subtilen Hassbotschaften in ihrer Blog-Community. Hanna sieht ihre Aufgabe darin, das ungeborene Leben unbedingt zu retten und Abtreibungen zu verhindern. Koste es, was es wolle. Beate gerät deshalb in ihrer Provinz-Praxis argumentativ in den "vordersten Schützengraben". Aufgewiegelte Lebensschützer kippen blutige Baby-Puppen vor ihre Praxis und beschimpfen ihre Patientinnen.
In Alexandra Liedtkes Inszenierung sieht der Schützengraben des Verbalgefechts aus wie ein halbrundes, gestaffeltes Stufen-Auditorium, das die Architektur des Kleinen Hauses in Karlsruhe en miniature spiegelt. Simon Meier hat das Bühnenbild entworfen, auf ihm lässt sich das Oben und Unten der Konfliktparteien ganz klar zeigen. Vor allem in der Schlüsselszene einer Podiumsdiskussion, während der Beate so extrem vorgeführt wird, dass sie von einer "Hinrichtung" spricht.
Gegen ihre Sprechstundenhilfe Mira, gespielt von der wunderbar quirligen Sarah Sandeh, richten sich die üblen Ressentiments der Rassisten. Ihnen begegnet die vor Krieg und Folter geflohene syrische Migrantin mit scharfen Worten und äffischem Kabarett. Sie kennt die westlichen Grundwerte einfach besser als der braune Mob, der jeden Ausländer als haarigen Bananenfresser denunziert.
Zum Darstellerinnen-Sextett gehören noch Claudia Hübschmann als moderate Amtsleiterin, Ute Baggeröhr als rechtspopulistische Kommunalpolitikerin mit bürgerlicher Fassade und Marie-Joelle Blazejewski in der Rolle der ungewollt schwanger gewordenen Elke. Alle zusammen führen äußerst geschickt vor Augen, wie tief schon der Riss geworden ist, der sich durch unsere Gesellschaft zieht. Sie war eben schon immer besonders höllisch, die Provinz. Das weiß man spätestens seit den mörderischen Umtrieben in Güllen, jenem gemeingefährlichen Kaff aus Friedrich Dürrenmatts Gesellschaftssatire "Der Besuch der alten Dame".
Man mag dem Autorenduo Hübner/Nemitz zwar eine gewisse holzschnittartige Zuspitzung ohne differenzierende Zwischentöne vorwerfen, anderseits gewinnt ihre "Frauensache" gerade dadurch so viel Kraft. Das Stück dürfte noch vielerorts nachgespielt werden. Auch eine Verfilmung ist nicht ausgeschlossen.
Info: Die nächste Vorstellungen am 6. und 18. Dezember sowie am 9. und 22. Januar 2020. www.staatstheater.karlsruhe.de