Ein Romantiker der Worte: „Ja, wir fliegen hoch und wir fallen tief, aber häufiger fallen wir hinauf“, beginnt André Heller sein überaus kluges Alterswerk „Spätes Leuchten“ – Düsternis findet hier nur zwischen den Zeilen Platz. Foto: Suzy Stöckl
Von Klaus Welzel
Das muss man erst einmal hinbekommen: Da der Wiener Schmäh, das leicht gelangweilte Erzählerische, die nette Prahlerei – dort der Arbeitersound, das satte Rollen des ewig jungen Songs Sittin’ On The Dock Of The Bay. Beides ringt miteinander, bis Dekadenz und Arbeiterklage eins werden. So im besten der 16 neuen und durchweg gelungenen André-Heller-Songs: Maybe It’s True. Eine Hymne an Otis Redding, der 26-jährig bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam und seinen großen Erfolg nicht mehr wirklich erlebte. So ist das Leben. Traurig und ungerecht. Aber schön.
Mit 72 und nach 34 Jahren Pause legt nun das Wiener Gesamtkunstwerk Francis Charles Georges Jean André Heller-Hueart ein dazu passendes Album vor: Spätes Leuchten. Ja, spät stimmt auf jeden Fall. Denn es hat lange gedauert. Und Leuchten? Also, wenn Leuchten bedeutet, dass sich hier die besten Tontechniker, die besten Musiker mit dem selbstberufenen Magier zusammengetan haben, ja, dann stimmt das auch.
Die Schwierigkeit eines Textes über André Heller besteht darin, ihn überhaupt zu charakterisieren. Was macht er? Poet, Chansonnier, Autor, Kulturmanager und Aktionskünstler – alles richtig. Aber irgendwie auch falsch, wenn man das Exzentrische weglässt, das Verwunschene, sein Talent, vor allem Frauen tief zu berühren mit seiner Poesie.
So ist es kein Wunder, dass eine seiner Verehrerinnen das sehr hübsche Booklet mit einem ganz persönlichen Text eröffnet. Viele weitere, sehr erhellende Beiträge folgen. Und sie führen in den Heller-Kosmos ein, der erst jetzt wieder spürbar wird – nach diesen Zirkussen und Zaubereien, seinen Gärten in Marokko und am Gardasee, seinen Installationen, seinen gescheiterten Großprojekten, wie die Eröffnung der Fußball-WM 2006 gemeinsam mit Brian Eno und Peter Gabriel. Zu teuer sagten die einen, der Rasen zu sehr belastet, sagen die anderen. Abgesagt. Macht nichts, eine "interessante Erfahrung", so der Künstler.
Jetzt das Album, das einen großen Bogen schlägt vom Markusplatz in Venedig über den Wiener Heldenplatz bis hinein in die Träume des Dichters. 16 neue Lieder, die das Jüdisch-sein der Familie Heller (einer Süßwarendynastie, die unter anderem das Dragée erfand) betonen, die die alptraumartigen Dialoge mit der Mutter (sie wurde stolze 102) wiedergeben, und die ein dichtes Netzwerk weben, in dem die Musik aus dem Oman genauso ihre Heimat findet, wie der amerikanische Roadsong eines Bob Dylan oder die Trommeln von Marrakesch – da bleibt kaum Raum für weitere Wünsche angesichts dieses Überlängenwerks von fast 70 Minuten.
Den wesentlichen Anteil zum Gelingen des Spätwerks trug aber Robert Rotifer bei, ein Wiener Gitarrist und Produzent, der in London lebt und dort die richtigen Kontakte zu den anderen Könnern des Albums hatte. Ein Freund Hellers, der ihm zum Beispiel die klare und betörende Stimme von Golnar Shahyar ins Studio holte – welch Glücksgriff. Alles In Allem (erster Song) ein Zauberding.