Von Daniel Schottmüller
Weinberg. Simon Denninger wohnt in Weinsberg bei Heilbronn. Vor einem Monat erschien sein neuer Roman "Schwingenfall". Darin erzählt Denninger vom Grenzwächter Toryan und der Gutsmagd Minn, die unbeabsichtigt in den Kampf der Lichtlande gegen die finsteren Mächte der Altnacht geraten. Im Gespräch mit der RNZ verrät der 41-Jährige, was gute Fantasy-Literatur ausmacht. Er setzt sich mit den Klischees auseinander, mit denen das Genre häufig assoziiert wird, und erzählt, warum seine Fans ganz anders sind als man das vielleicht erwartet.
Von "Conan, der Barbar" bis "Herr der Ringe": Fantasy ist breit gefächert. Wie würden Sie das Genre definieren?
Fantasy zeichnet sich – zumindest stellenweise – durch Figuren und Schauplätze aus, die wir so in unserer Welt nicht finden. Diese Elemente können sehr unterschiedlich sein – da ist das Genre breit gefächert. Das Gleiche gilt für den Anspruch. Das ist bei Krimis oder Liebesromanen ja ähnlich: Auch da gibt es hochklassige Literatur genauso wie den Schundroman vom Kiosk. Bei Fantasy grenzt man deshalb zwischen "High Fantasy" und "Low Fantasy" ab. "Low" ist das, was viele gerade im deutschen Sprachraum mit Fantasy verbinden: Muskelbepackte Helden metzeln Drachen, um am Ende die leicht bekleidete Maid zu befreien. "High Fantasy" zeichnet sich durch epische Geschichten aus. Konflikte werden langsam aufgebaut, es wird Wert auf die Entwicklung der Figuren gelegt. Mittelerde oder das "Game-of-Thrones"-Universum sind Beispiele dafür, dass Fantasy-Welten historisch sehr akkurat ausgearbeitet sein können.
Was man Fantasy auch nachsagt, ist ein gewisser Hang zum Eskapismus.
Da mag etwas dran sein (schmunzelt). Muss es aber nicht. J.K. Rowling hat in ihren Harry-Potter-Büchern zum Beispiel eine halbfiktive Welt geschaffen, in der es sowohl echte als auch magische Schauplätze gibt. Wichtig finde ich, dass die geschaffene Welt in sich schlüssig ist. Oft wird Fantasy unterstellt, dass die Autoren machen, was sie wollen: Wenn es brennt, zaubert sich der Held schnell Wasser herbei – frei nach dem Deus-ex-Machina-Prinzip. Als Leser fände ich so etwas aber schrecklich langweilig. Und gute Autoren machen das auch nicht.
Wie haben Sie denn selbst Zugang zu Fantasy-Literatur gefunden?
Ich habe das schon als Kind sehr gerne gemocht. Wer gute Fantasy-Bücher liest, taucht in eine neue Welt ein, in der hinter jeder Ecke neue Überraschungen warten. Mit den Hobbits in die Elbensiedlung Bruchtal zu kommen oder das erste Mal mit Seoman Schneelocke durch Osten Ard zu reisen – das sind für mich bis heute faszinierende Leseerfahrungen geblieben.
Sie schreiben auch hauptberuflich – da allerdings für eine Text- und Kommunikationsberatung. Gehen Sie Werbetexte anders an als Romane?
Mein Schreibumfeld ist erst einmal das Gleiche. Ich sitze im selben Raum, am selben Tisch und habe eine Tasse Kaffee oder eine Kanne Grüntee zur Hand (lacht). Der kreative Startpunkt unterscheidet sich aber. Beim literarischen Schreiben muss ich noch sorgfältiger darüber nachdenken, welcher Einfall wirklich gut genug ist, um darauf eine Geschichte aufzubauen. Schließlich kann es sein, dass ich mich jahrelang mit dieser Idee auseinandersetzen werde. An meinem neuen Roman "Schwingenfall" habe ich zum Beispiel drei Jahre geschrieben. Zu 80 Prozent nachts, weil ich wirklich Ruhe brauche. Erst nach ein, zwei Stunden ungestörtem Schreiben stellt sich bei mir ein gewisser Flow ein. Bei einem Werbe- oder Magazinartikel geht das schneller. Was auch anders ist: Beim literarischen Schreiben schreibe ich zuerst das Ende. Das muss dann zwar nicht in Stein gemeißelt bleiben. Aber es hilft mir, einen Fokus zu haben, auf den ich zusteuere.
Als Fantasy-Autor sind Sie ja quasi gezwungen, sich eine eigene Historie, Kultur und Geografie für Ihre Welt auszudenken. Ist das anstrengend?
Ja, das ist Fluch und Segen (schmunzelt). Ich habe Geschichte und Germanistik studiert. Daraus habe ich mitgenommen, dass vieles, was wir erleben, ein Nachhall von Vergangenem darstellt. Deshalb finde ich es wichtig, dass auch eine Fantasy-Welt, wie eben Yrdaia in "Schwingenfall", eine Historie hat. Gar nicht unbedingt, was Zahlen und Fakten angeht, sondern eher die Denkweise der Figuren. Ein Beispiel: Für uns heute mag der Glaube an Hexen absurd sein. Aber wer mal nachts im Wald unterwegs ist, wenn der Wind pfeift und die Äste knacken, kann vielleicht eher nachvollziehen, dass Menschen früher an übernatürliche Dinge geglaubt haben. Auch als Fantasy-Autor muss ich Erklärungen für die Motivationen und die Denkweise meiner Figuren liefern. Diese Details beim "Worldbuilding" können sehr zeitaufwendig sein. Ein Kardinalfehler mancher Autoren ist zu glauben, dass man alles auch erzählen muss, was man sich als Hintergrund für die Geschichte ausgedacht hat. Das langweilt den Leser schnell. Ich gehe eher nach der Regel vor: Kenne deinen Kontext, aber erzähle nicht alles.
Was halten Sie von Fantasy-Verfilmungen, die gezielt ein Mainstream-Publikum abholen wollen?
Es gibt Umsetzungen, die ich nicht für den großen Wurf halte, aber auch Gegenbeispiele. Bei "Game of Thrones" wurde in meinen Augen viel richtig gemacht, aber in den letzten beiden Staffeln hat die Serie total abgebaut. Die Storylines einzelner Charaktere, mit denen man so viel Zeit verbracht hatte, wurden zu schnell zu Ende gebracht. Die "Herr der Ringe"-Filme von Peter Jackson halte ich dagegen für sehr gelungen. Als Fan, den das Buch viele Jahre begleitet hatte, bin ich damals sehr skeptisch ins Kino gegangen. Aber Jackson hat es geschafft, den Geist der Bücher einzufangen und in unsere Zeit zu übersetzen.
Wie würden Sie reagieren, wenn man Ihnen anbieten würde, einen Ihrer Romane auf die Leinwand zu bringen?
Für mich wäre das ein Traum. Rein aus künstlerischer Sicht würde mich unglaublich interessieren, was jemand anderes aus meiner Vorlage macht.
Fans Ihrer Bücher gibt es ja durchaus. Wie ist es da mit dem Fantasy-Klischee? Sind das tatsächlich die stereotypen Informatiker mit langen Haaren und Heavy-Metal-Shirts?
"Schwingenfall" ist vor einem Monat erschienen, und ich habe das Gefühl, dass die weibliche Leserschaft bislang überwiegt. Rezensionen, Blogbeiträge aber auch Nachrichten an mich sind oft von Frauen verfasst. Das finde ich spannend. Denn das Buch ist vergleichsweise düster, sicher kein Happy-go-Lucky-Roman mit strahlenden Helden. Auch was das Alter der Leser angeht, ist die Bandbreite groß. Ich glaube, das hat mit der inhaltlichen Vielfalt zu tun. Es gibt in "Schwingenfall" viel Melancholie, durchaus aber auch skurrile Figuren und Humor. Blutige Passagen sind ebenfalls enthalten. Aber ich finde, wenn Blut fließt, sollte das nie zum Selbstzweck sein, sondern der Story dienen.
Wie hat sich der Lockdown auf den Schreibprozess ausgewirkt?
90 Prozent des Buches waren bereits vor Corona fertig. In Zeiten des Lockdowns habe ich eher marginal ergänzt und mehr redigiert. Tatsächlich gab es aber eine Szene, bei der mir erst später aufgefallen ist, wie sehr sie zur jetzigen Situation passt. Sinngemäß spricht eine Figur darüber, dass es sich in Momenten, in denen die Welt aus den Fugen gerät, lohnt, den Glauben an das Gute zu bewahren. Vielleicht hat mein Unterbewusstsein da beim Schreiben mitgeholfen. "Schwingenfall" hat aber auch intendierte aktuelle Bezüge. Zum Beispiel spielt der Roman in einer Epoche, in der in kurzer Zeit großer technologischer Fortschritt stattfindet. Eine Gesellschaft wird in eine Zeit katapultiert, in der es auf einmal Luftschiffe und Eisenbahnen gibt. Das bringt auf den ersten Blick viele Vorteile, aber auch eine gewisse Überforderung mit sich. Dass "Schwingenfall" eben nicht in einer mittelalterlichen Welt spielt, ist ein weiterer Klischeebruch, der mir wichtig war.
Info: Simon Denninger: "Schwingenfall". Drachenmond Verlag, 2020. 350 Seiten, 14,90 Euro.