Mit blutigem Gesicht steht die Studentin Carol (Sophie Melbinger) ihrem Professor John (Steffen Gangloff) gegenüber. Da hat das knallharte Gender-Drama „Oleanna“ in der Inszenierung von Fabian Appelshäuser seinen schlimmen Höhepunkt erreicht. Foto: Susanne Reichardt
Von Heribert Vogt
Heidelberg. Ja, am Ende fließt Blut – im Gesicht der Studentin. Ihr Professor tut ihr Gewalt an. Einen ziemlich beklemmenden Theaterabend erlebte man im Heidelberger Zwinger 1, wo David Mamets 1992 uraufgeführte Büroschlacht "Oleanna" Premiere hatte. Der US-amerikanische Autor schrieb schon in den frühen Neunzigerjahren dieses knallharte Gender-Drama, das heute so sehr zur MeToo-Debatte zu passen scheint – Amerika war uns eben auch auf diesem Gebiet voraus. Und schon 1994 war "Oleanna" auch am Heidelberger Theater zu sehen. Aber nun muss man fragen, ob diese Inszenierung von Fabian Appelshäuser nicht ein bisschen spät kommt angesichts der Tatsache, dass die MeToo-Wogen jetzt schon seit Jahren hochgehen.
Eine weitere Frage schließt sich in Bezug auf das Bühnenbild von Julia Tyrakowska (auch Kostüme) an. Denn das College-Milieu des Stücks wird durch ein klassizistisches Ambiente dargestellt, über dem eine sitzende Weisheitsgöttin Pallas Athene thront. Und diese zeigt sich auch über dem Eingang der Neuen Universität Heidelberg, versehen mit dem Schriftzug "Dem lebendigen Geist". Soll hier also eine Parallelität der Zustände an dem US-College und an der Ruperto Carola suggeriert werden? Da dürfte die hiesige Universität doch weiter sein: Meines Wissens sind dort die Frauen bei den Studierenden und Doktorandinnen bereits in der Mehrheit, und sicherlich wird auch ihr Anteil an der Professorenschaft zu Recht größer.
In der heutigen Hochschullandschaft kann man sich einen so unterirdischen Wissenschaftler wie den Bildungsforscher John nur schwer vorstellen. Meine Karriere, meine Familie, mein Haus – das ist das eindimensionale Weltbild Johns. Er steht kurz davor, als Professor auf Lebenszeit berufen zu werden. Mit dem Erfolg fest kalkulierend, steht auch schon ein Hauskauf an. Schauspieler Steffen Gangloff gibt den Wissenschaftler als wahrlich hohlen Typ. Programmiert vom College-System und von der Karriereleiter, ist er kaum zu einer authentischen Kommunikation in der Lage. Zwischen Telefonanrufen und schwadronierenden Tiraden wirkt er mal gehetzt, mal aggressiv, immer berechnend. Fast ist man versucht zu sagen: Seine Demontage durch eine junge Frau hat er sich verdient.
Aber das stimmt auch nicht. Zweifellos macht John Fehler: Er überschreitet dunkelrosafarbene Linien. In seiner Sprechstunde sitzt die Studentin Carol – verkörpert von Sophie Melbinger –, die offenbar Probleme mit dem Stoff hat. Sie präsentiert sich immer wieder als Dummchen, das nicht mitkommt. Der Herr Professor fühlt sich zu dem armen Ding hingezogen und kommt der attraktiven Frau unverhältnismäßig stark entgegen: notenmäßig und mit dem Angebot persönlicher Nachhilfe. Auch spricht er ohne wirklichen Grund ein sexuelles Thema an. Als Carol zu weinen beginnt, nimmt er sie von hinten an den Schultern in den Arm.
Schnitt. Im zweiten Teil des Abends ist eine Art Vernichtungsfeldzug gegen John im Gange – Carol wirft ihm im College wie vor Gericht eine versuchte Vergewaltigung vor. Die Studentin ist nicht wiederzuerkennen. Dem Anschein nach hat sie von Anfang an die Strategie verfolgt, ihren "sexistischen" Professor zu Fall zu bringen. Eine feministische Aktivistin, die das ganze Patriarchat im Visier hat, stets in Abstimmung mit ihrer nebulösen "Gruppe", die nicht näher benannt wird. Carols unnachgiebige Konsequenz erinnert an extreme Studentenformationen, die das Hochschulsystem einst aus politischen Gründen verändern wollten.
Als die Studentin schließlich im großkarierten roten Holzfällerhemd mit einer Art Jakobinermütze (Zeichen der Französischen Revolution) inquisitorisch auftritt, scheint sie die mentale Axt anlegen zu wollen. Und nun ist es nicht weit bis zu dem eingangs erwähnten Gewaltausbruch: Da werden aus den rosafarbenen Linien knallrote, die John überschreitet – als Kulminationspunkt eines existenziellen "Machtspiels", so der Untertitel des Stücks. Und dieses Spiel scheint unter dem Motto "Vel predator vel praedam" (Jäger oder Beute) zu stehen – jedenfalls prangt dieser bildungsbeflissene Spruch über der Bühnenszenerie.
Was Carol jedoch dazu motiviert, als gnadenlose Jägerin in den Geschlechterkampf einzusteigen, bleibt unklar. In der Literatur gibt es jedoch Frauenfiguren, hinter deren äußerer Härte sich tiefe Verletzungen verbergen. Und so könnte ihre "Gruppe" auch eine Art Therapiegruppe sein, in der schlimme Erfahrungen aufgearbeitet werden.
Aber das ist alles Spekulation. So wirft die Inszenierung insgesamt viel mehr Fragen auf als sie beantwortet. Wieder einmal wird man mit den Abgründen zwischen Frauen und Männern konfrontiert, und dies bringen die beiden Schauspieler so fesselnd wie ernüchternd auf die Bühne. – Starker Applaus.
Info: Termine: 13., 15. Februar; 3 März. www.theaterheidelberg.de