Nadira Husain am Tag vor der Ausstellungseröffnung im Heidelberger Kunstverein. Foto Friederike Hentschel
Von Matthias Roth
Heidelberg. Als Tochter einer Französin und eines Inders aus Hyderabad in Paris geboren, wuchs Nadira Husain mit beiden Kulturen auf. Heute lebt und arbeitet sie in der Nähe von Berlin. Als Künstlerin begann sie, ausgebildet an der Ecole nationale supérieure des beaux-arts in Paris und der University of British Columbia in Vancouver, mit der Malerei, die auch heute noch ihr Hauptmetier ist. Allerdings ausgedehnt und variiert auf unterschiedlichste, meist auch kombinierte Materialien. Ihre Bildwelten, die jetzt im Heidelberger Kunstverein in einer großen Präsentation zu sehen sind, speisen sich aus vielerlei Kulturen, verbinden diese und kreieren eine Hybridkunst, die indische Gottheiten und westliche Popkultur, islamische Ornamentik und japanische Comics miteinander verbindet. Der Titel der Ausstellung "Cunfluence, Sangam" beschreibe "den Moment, in dem sich mehrere Strömungen aus unterschiedlichen Richtungen treffen, zusammenfließen und sich gemeinsam einen Weg bahnen", so Kunstvereinsleiterin Ursula Schöndeling bei der Eröffnung, zu der Corona-bedingt nur rund 100 Gäste geladen waren.
Es ist nicht das erste Mal, dass Arbeiten von Nadira Husain in Heidelberg zu sehen sind: Bereits 2018 war die Künstlerin Teil einer Gruppenausstellung. Auch damals handelte es sich um die Präsentation von Preisträgern der Andreas Felger Kulturstiftung, mit der der Kunstverein kooperiert. Nun wurde Husain, die bei der Vernissage zugegen war, Hauptpreisträgerin des mit 10.000 Euro dotierten "Werk.Stoff Preises für Malerei" und zeigt ihre großformatigen Werke im Hauptraum des Kunstvereins. Auf Wunsch der Künstlerin werden zwei weitere transkulturelle Künstlerinnen zu sehen, zum ersten Mal in Deutschland: Amina Ahmed und Varunika Saraf.
Der designierte Kulturbürgermeister Wolfgang Erichson wies darauf hin, wie schwierig die Beschaffung der hier zu sehenden Objekte in Zeiten von Corona gewesen sei, wie wichtig es aber gerade jetzt ist, solche Ausstellungen wieder zu zeigen. Er sehe es "als Verpflichtung und Aufgabe an, die Heidelberger Kultur in bisheriger Stärke und Umfang zu erhalten – so unbeschadet wie möglich", fügte er hinzu und erhielt starken Beifall.
Man sollte sich die Zeit nehmen, die ausliegenden Informationen zur aktuellen Schau eingehender zu studieren (ein Katalog wird noch erstellt). Die Bildwelt der Künstlerin scheint auf den ersten Blick bunt, vielfältig, fantasievoll und auch heiter. Doch bei genauerem Hinsehen werden irritierende Details deutlich. Da ist die Grundlage ihrer Arbeiten, das Material: Zum einen handelt es sich um bedruckten, bemalten oder geätzten Stoff. Zum anderen sind die Motive bereits hineingewebt oder aufgenäht, aufgeklebt oder in anderer Weise appliziert. Es handelt sich also meist um Collagen, die vielerlei Handwerkstechniken miteinander verbinden. Die Arbeit "Global Bastard Education" (2019) etwa, die als Schaukasten-Tisch in der Mitte des Raums steht, ist ein Mix aus Jeansstoff, Gouache auf Papier, bemalten Steinen und mit Pflanzenfarbe behandeltem Baumwollstoff.
Die Künstlerin, die sich gern als "kulturelle Bastardin" bezeichnet, breitet hier die komplexe Ikonografie ihres Lebens aus: Herkunft, Kindheit und "globale Bildung" zeigen sich als schier unerschöpflicher Fundus an Motiven, Zeichen und Rätseln. "Bâta" etwa war eine osteuropäische Schuhmarke, die in der indischen Middleclass-Gesellschaft hohes Ansehen genoss, und die Farbe Shivas, Blau, findet sich auch bei den Schlümpfen wieder, einem vertrauten, oft wiederkehrenden Motiv aus Kindertagen. Ebenso oft tauchen Elefanten oder Schildkröten auf – und: eine Brezel. Die Künstlerin lacht, als wir sie auf diese ansprechen. "Ich liebe auch die Absurditäten des Lebens!", gesteht sie, und die Brezel sei zwischen all den Motiven ihrer vielgestaltigen Herkunft auch ein Teil ihres Lebens auf dem Lande in der Nähe von Berlin.
Amina Ahmed stammt aus Pakistan und befasst sich mit Volkskunst und die handwerklichen Techniken, die beispielsweise ihre Mutter beim Quilten anwendet. In Zeichnungen und Skizzenbüchern, die auf der Empore gezeigt werden, folgt sie geometrischen Mustern dieser Traditionen.
Varunika Saraf, die wie Husain aus Hyderabad stammt und dort studierte, ist eine Kennerin der Moghul-Malerei des 17. Jahrhunderts und bezieht sich bei ihren Zeichnungen im Kellergeschoss auf diese. In einem Selbstporträt benutzt sie eine Zeichnung Inayat Khans, einem Meisterwerk von 1618. In der 16-teiligen Serie "Caput Mortuum" benutzt sie ebenfalls diese Tradition: Auf sattgrünem Grund zeichnet sie aber Szenen heutiger indischer Gegenwart mit harter Polizeigewalt gegen Demonstranten. Bei aller kulturgeschichtlichen Reichhaltigkeit des Subkontinents: Auch das ist Indien.
Info: Heidelberger Kunstverein, Hauptstraße 97, bis 16. August. Öffnungszeiten Di-So 11-18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr.