Als Schauspielerin und Sängerin liebt sie neue Herausforderungen: "Ich mache immer Dinge, die über das normale, klassische Belcanto-Singen hinausgehen", sagt Salome Kammer. Foto: zg
Von Matthias Roth
Heidelberg. Durch ihre Film-Hauptrolle als Cellistin und Sängerin Clarissa Lichtblau in "Die Zweite Heimat" von Edgar Reitz wurde Salome Kammer berühmt. Ihre Wurzeln als Schauspielerin und Vokalistin begannen in Heidelberg, beim Jugendtheater und beim "Neuenheimer Musiksommer" des Jahres 1990. Mit dem Regisseur Edgar Reitz, mit dem sie verheiratet ist, kommt Salome Kammer nun zu einem Konzert des KlangForums zurück nach Heidelberg, hier ist sie in Schönbergs "Pierrot Lunaire" zu hören. Wie sprachen vorab mit der Künstlerin.
Frau Kammer, Sie wurden in Hessen geboren, studierten Cello in Essen, wurden dann aber Schauspielerin in Heidelberg. Wie kam es dazu?
Nach meinem Grundstudium in Essen habe ich 1981 in der Hochschule Mannheim-Heidelberg bei Daniel Grosgurin weiter Cello studiert. Dort unterrichtete Gabriele Wächtershäuser Sprecherziehung für Sänger: Da mich das Fach interessierte, obwohl ich keine Sängerin war, habe ich am Unterricht teilgenommen. Nach einem Semester fragte mich Frau Wächtershäuser, ob ich in ihrer Theatergruppe an der Pädagogischen Hochschule die Antigone von Jean Anouilh spielen möchte: Ich sagte zu. So wurde ich 1983 an das Kinder- und Jugendtheater engagiert - noch während des Cellostudiums. Ich blieb fünf Jahre am Heidelberger Theater und habe da auch bei dem damals sehr erfolgreichen Musical "Linie 1" mitgespielt.
Was war ausschlaggebend für Ihre Wandlung von der Cellistin zur Schauspielerin, dann zur Vokalistin?
Beim Cellospielen war ich nie wirklich frei. Es gibt so viele Cellisten, die schneller, virtuoser und perfekter sind. Jede falsche Note hat mich innerlich verkrampft. Als Schauspieler hat man viel mehr Freiheiten, da man aus der eigenen Persönlichkeit die Rollen gestaltet. Der Weg zur Sängerin kam über die Schauspielerei: Ich suchte Stücke, bei denen die Sprechstimme musikalisiert ist. Das erste Stück dieser Art war "Pierrot Lunaire" von Arnold Schönberg für Sprechgesang. Walter Nussbaum hatte mich 1990 gefragt, ob ich es mit ihm beim Neuenheimer Musiksommer aufführen wolle: Das war eine ganz große Herausforderung und Chance für mich.
Die "Musiksommer"-Festivals an der Johanneskirche Neuenheim waren die Anfänge dessen, was heute das KlangForum Heidelberg ist. Hat Sie diese Arbeit besonders geprägt?
"Pierrot Lunaire" war das erste Stück, welches ich als Sängerin/Schauspielerin mit Neuer Musik einstudierte hatte. Nussbaum probte unerbittlich und streng. Ich konnte dabei das Stück sehr detailreich kennenlernen. Bald darauf folgten viele Anfragen für Konzerte. In Heidelberg habe ich damals noch die "Chansons Dada" von René Leibowitz mit dem Ensemble aisthesis aufgeführt.
Woher kamen die Anregungen dazu?
Während meines Cello-Studiums war die zeitgenössische Musik an den Hochschulen überhaupt nicht präsent. Das moderne Stück bei der Abschlussprüfung war bei mir Prokofieff. Ich hatte mit Gegenwartsmusik nur in einem Chor Berührung, weil der Chorleiter sich sehr dafür engagierte. Der große Schritt war dann tatsächlich "Pierrot Lunaire" mit Walter Nußbaum.
Wie lange brauchten Sie damals, um den "Pierrot" zu lernen?
Vieles hat sich in den intensiven Proben von selbst erschlossen. So war das gar nicht so viel Arbeit für mich, aber freilich hatte ich mich gut vorbereitet. Der große Vorteil bei dieser Musik ist mein absolutes Gehör und dass ich die Tonhöhen auch beim Sprechen immer sehr ernst genommen habe. Ich merkte, das fliegt mir zu, und ich lerne auch heute noch sehr schnell zeitgenössische Musik. Deswegen habe ich mich auch so dafür begeistert. Wenn man sich darauf konzentriert, kann man das wie Klassik einstudieren, auch wenn es zunächst schwer scheint. Man muss sich nur darauf einlassen, dann ist das kein Unterschied.
War es auch ein Vorteil für Sie, gerade nicht als Sängerin ausgebildet gewesen zu sein?
Ich bin sicher, dass das mein Alleinstellungsmerkmal ist! Vorteil war, dass ich von der Bühne kam, dass ich musikalisch ausgebildete Schauspielerin war und unvoreingenommen an die Sache herangegangen bin. Im Klassik-Betrieb wird doch eher Angst gemacht vor Stücken wie Sciarrinos "Lohengrin" etwa. Man muss auch ein ganz bestimmtes Klangideal erfüllen - und das habe ich nie, bis heute nicht erfüllt! Ich mache immer Dinge, die über das normale, klassische Belcanto-Singen hinausgehen. Ich glaube tatsächlich, dass das ein großer Vorteil war und auch, dass ich mich nicht von Lehrern abhängig machte, bei denen ich Unterricht hatte.
Heute unterrichten Sie an der Hochschule in München: Ist Sprechgesang inzwischen ein Lehrfach?
Nein! Ein Lehrfach ist es nicht, aber ich unterrichte Leute, die sich dafür interessieren. Kürzlich fragte mich eine Sängerin um Stunden nach, die eine Anfrage wegen des erwähnten "Lohengrin" hatte - aber sie sagte dann ab, weil sie es zu schwer fand. Da hat in der Ausbildung nie so etwas stattgefunden, dass man andere Geräusche mit der Stimme machen kann oder dass man erst einmal die Zeichen lernen und entziffern muss, die in der Partitur stehen. Dabei ist das gar nicht so schwer: Man muss das einfach mal übersetzen! Das mache ich hauptsächlich mit meinen Studenten.
Also das ist nach wie vor eine große Lücke in der Ausbildung?
Unbedingt! Ich hoffe, dass meine Studenten später offener sein werden für Neues. Denn die Neue Musik ist in unserer Zeit sehr vielfältig und stilistisch überhaupt nicht mehr auf einen Nenner zu bringen. Genau wie unsere Gesellschaft: Wir sind bunt, unterschiedlich - und hoffentlich offen und tolerant dafür.
Info: Heidelberger KlangForum: "Musik im Kontext: Film" im Betriebswerk am 15. März, 20 Uhr. Salome Kammer und Regisseur Edgar Reitz. Werke von Schönberg und Leibowitz. Leitung: Walter Nußbaum.