Heidelberg

Richard Pietraß mit Übersetzerpreis geehrt

Für seine Lyrik-Übersetzungen erhielt er den Ginkgo-Biloba-Preis - Er war der Stachel im Staatspelz

01.10.2020 UPDATE: 02.10.2020 06:00 Uhr 1 Minute, 49 Sekunden
Der Lyriker und Übersetzer Richard Pietraß (Mitte) erhielt in der Heidelberger Stadtbücherei den Ginkgo-Biloba-Preis, die Laudatio hielt der Germanistik-Professor Andreas F. Kelletat (l.), Initiator ist der Literaturwissenschaftler Dr. Peter Staengle (r.). Foto: Norbert Lenhardt

Von Volker Oesterreich

Wer, wenn nicht er? Richard Pietraß zählt zu den besten Lyrikern, Lyrik-Vermittlern und Lyrik-Übersetzern Deutschlands. Deshalb erhielt er am Mittwoch vollkommen zu Recht den mit 5000 Euro dotierten und zum dritten Mal verliehenen Ginkgo-Biloba-Übersetzerpreis für Lyrik in der Heidelberger Stadtbücherei.

Der in Berlin lebende Sprachgourmet Pietraß (Jahrgang 1946) schmeckt die Worte und die Klänge, die Rhythmen und die Würze des geistigen Gehalts so genau ab, dass auch wir, sein Lesepublikum, unsere helle Freude an den Versen haben. Der gebürtige Sachse gehört zu den jüngsten Vertretern der legendären Sächsischen Dichterschule, und als Übersetzer hat er bislang Gedichte aus 20 Sprachen nachgedichtet. Um dem Werk der von Pietraß übersetzten Schriftsteller möglichst nahe kommen zu können, reist er auf ihren Spuren um die Welt. Denn nur an den Originalschauplätzen könne man genau erfassen, "unter welchen Bedingungen die Gedichte entstanden sind", sagte Pitraß bei der Preisverleihung. Besonders spannend war für ihn die Recherche im Dunstkreis Boris Pasternaks, der mit seinem Roman "Doktor Schiwago" Weltruhm erlangte, aber den 1958 an ihn verliehenen Literaturnobelpreis nach einer beispiellosen Hetzkampagne gegen ihn nicht annehmen durfte. Pasternak musste sich der Diktatur beugen. Jahre später machte sich Pietraß auf den Weg zu dessen russischer Datscha, um dort die Landschaftsimpressionen, Gerüche und Geräusche in sich aufnehmen zu können, die auch die Gedichte des großen Russen geprägt haben. Ein immenser Aufwand, der sich aber bei der Übertragung bezahlt gemacht hat. Davon konnten sich die Besucher der Preisverleihung im Hilde-Domin-Saal der Stadtbücherei überzeugen. Pietraß stellte noch weitere Beispiele seines Schaffens vor, darunter Gedichte in deutscher Übersetzung vom irischen Nobelpreisträger Seamus Heaney oder von dessen schwedischem Kollegen Tomas Tranströmer.

Die Gäste der Veranstaltung wurden vom Laudator des Abends, dem Germanistik-Professor Andreas F. Kelletat, höchst kompetent in Pietraß’ Werk eingeführt. Er berichtete, mit welch großem Engagement sich der Schriftsteller für das zu DDR-Zeiten monatlich in hoher Auflage erschienene "Poesiealbum" eingesetzt hatte. Allerdings nicht so, wie sich das die Literatur-Apparatschiks des SED-Regimes vorgestellt hatten. Deshalb wurde Pietraß in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gekündigt, "aber er blieb die Laus im Staatspelz", sagte Kelletat.

Das nach der Wende eingestellte "Poesiealbum" wurde 2007 wiederbelebt, wobei Pietraß tatkräftig mithalf. Seitdem wird es im Zweimonatsturnus gedruckt, gerade erst ist mit der Nummer 356 eine Auswahl von Jürgen-Fuchs-Gedichten erschienen. Pietraß ist zwar beim "Poesiealbum" längst nicht mehr an Bord, bei seiner Heidelberger Lesung holte er aber ein Heft nach dem anderen aus der Tasche, um daraus Gedichte vorzutragen. Die Reihe ist für die Vermittlung von Lyrik weiterhin außerordentlich wichtig.

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Überreicht wurde der Ginkgo-Preis von dessen Initiator Dr. Peter Staengle, der den Freundeskreis "Literaturhaus Heidelberg" leitet. Dieses Haus besteht zwar nur als Idee, trotzdem bietet es ein ideales Dach für den nach Goethes interkulturellem Liebesgedicht "Gingo Biloba" (Schreibweise der Erstfassung) benannten Preis, der ganz bewusst am Hieronymustag, also dem Weltübersetzertag, verliehen wurde.

Info: Pietraß-Lesung am 3. Oktober, 18 Uhr, Bergkirche Schlierbach.

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