Selbstporträt in der Rolle des Midas-Green, einer Gestalt aus „Midas oder die Schwarze Leinwand“, Filzstift auf Papier, 1984. Sammlung Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN, Schweizerische Eidgenossenschaft
Von Ingeborg Salomon
Heidelberg. Das Beste kommt zum Schluss: Besucher, die die Ausstellung "Friedrich Dürrenmatt – Karikaturen", die an diesem Sonntag im Kurpfälzischen Museum (KMH) eröffnet wird, durchschritten haben, landen am Ende vor der Toilette, die der Dichter in seinem Haus in Neuchâtel ausgestaltet hat. Und wer auf dem Toilettendeckel Platz nimmt – was bei den geltenden Hygienebestimmungen erlaubt ist – kann in aller Ruhe ein Fresko aus farbenfreudigen Figuren studieren, die dem Gast schon in den gezeigten Bildern begegnet sind.
Ein bärtiger Herkules, geflügelte Engel und verkappte Päpste geben sich ein Stelldichein in der "Sixtinischen Kapelle", wie Dürrenmatt sein Örtchen nannte. Typisch Dürrenmatt, möchte man denken, denn skurrile Gestalten, gezeichnet mit spitzer Feder oder einem dicken Filzstift, sind eine Spezialität des Dichters, dessen 30. Todestag sich am 14. Dezember jährt, dicht gefolgt von seinem 100. Geburtstag am 5. Januar 2021.
Kopf des Herkules, Detail aus dem Toilettenraum in Dürrenmatts Wohnhaus, Wandfarben auf Putz, nach 1960. Centre Dürrenmatt Neuchâtel © CDN, Schweizerische EidgenossenschaftRund 100 Exponate konnte das KMH ausleihen. Die meisten stammen aus dem Bestand des Centre Dürrenmatt, das seit 20 Jahren im früheren Wohnhaus des Schriftstellers in Neuchâtel an Leben und Werk des großartigen Dichters erinnert. Kuratiert hat die Schau Régine Bonnefoit, Professorin an der Universität Neuchâtel, in Zusammenarbeit mit dem Kurator der Graphischen Sammlung des KMH, Josua Walbrodt. Im Mai 2018 haben Museumsdirektor Dr. Frieder Hepp und Régine Bonnefoit erste Gespräche geführt, jetzt sind beide glücklich, dass die Ausstellung auch unter Corona-Bedingungen eröffnet werden kann.
"Dürrenmatt war ein begabter und humorvoller Zeichner", unterstreicht die Kunsthistorikerin. Zudem war er ungeheuer produktiv und skizzierte seine Ideen gerne auch auf Bierdeckeln, Speisekarten und Weinetiketten – zur Freude seiner Freunde, die in der Kneipe mit am Tisch saßen und sich in den flott gezeichneten Porträts wiedererkennen durften.
Bis zu seinem 25. Lebensjahr war der Sohn eines Pfarrers hin- und hergerissen zwischen Bildender Kunst und Schriftstellerei. 1947 löste Dürrenmatts bitterböses Theaterstück "Es steht geschrieben" in Zürich wegen seiner nihilistisch-pessimistischen Weltsicht einen satten Skandal aus, der den 26-Jährigen schnell bekannt machte. Zwei Zeichnungen aus diesem Stück mit der Hauptfigur Johann Bockelsohn werden in der Ausstellung gezeigt.
"Dürrenmatt hatte viel Distanz zum Leben, das zeigen auch seine Werke, aber er bringt uns immer zum Lachen und nie zum Weinen", erläuterte Prof. Bonnefoit. Kritisch hinterfragt das Multitalent heikle Themen wie Freiheit, Neutralität und Abrüstung. Er nimmt in den 1980er Jahren den österreichischen Glykolwein-Skandal ebenso aufs Korn wie 20 Jahre zuvor die Mirage-Affäre in seiner Heimat, als die Schweiz Jagdbomber zu völlig überteuerten Preisen bestellte. Seine Landsleute waren damals etwas verstört, aber Dürrenmatt beteuerte immer wieder: "Ich bin gerne Schweizer".
Die Ausstellung ist nicht chronologisch, sondern thematisch aufgebaut, auch Heidelberger Bezüge werden immer wieder deutlich. Gleich zu Beginn zeigt eine Zeichnung den Philosophen Hans-Georg Gadamer, der als Nachfolger von Karl Jaspers seit 1949 an der Ruperto Carola lehrte und 2002 hier starb. Eine physiognomische Ähnlichkeit ist nicht erkennbar. "Dürrenmatt hat Gadamer wahrscheinlich nie persönlich getroffen, kannte aber seine Werke", erläuterte Bonnefoit.
Eigens für die Ausstellung wurde ein Video über Dürrenmatts letztes Theaterstück "Achterloo" zusammengestellt, das 1988 bei den Schwetzinger Festspielen aufgeführt wurde, inszeniert vom Autor persönlich. Das Theater des Schlosses verwandelt sich dabei in eine Psychiatrische Anstalt, in der alle verrückt spielen. Wie die Aufnahme zeigt, amüsieren sich Dürrenmatt und seine Frau Charlotte Kerr bei den Proben köstlich. Der Ausstellungsbesucher ist zum Mitlachen eingeladen.
Info: Die Ausstellung "Friedrich Dürrenmatt – Karikaturen" ist bis 7. Februar 2021 im Kurpfälzischen Museum Heidelberg, Hauptstraße 97, zu sehen. Zur Eröffnung am Sonntag, 18. Oktober, gibt es um 15 Uhr eine Führung mit Kuratorin Régine Bonnefoit (in französischer Sprache). Öffnungszeiten und Begleitprogramm unter www.museum-heidelberg.de