Juan Gabriel Vasquez. Foto: EPA/Juan Carlos Hidalgo/dpa
Von Franz Schneider
Heidelberg. Ungewöhnliche Entstehungsgeschichte eines ungewöhnlichen Romans: Als sich der Frau des kolumbianischen Schriftstellers Juan Gabriel Vásquez die Frühgeburt ihrer Zwillinge ankündigte, begab sie sich in ein Krankenhaus in Bogotá. Dort lernte ihr Mann einen Arzt kennen, der ihn zu sich nach Hause einlud, um ihm besondere Artefakte der Geschichte Kolumbiens zu zeigen. Denn sorgsam konserviert verwahrte dieser den Knochenwirbel mit Einschussloch des 1948 ermordeten liberalen Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán sowie den lädierten Schädel des 1914 erschlagenen Anwalts und Generals Rafael Uribe Uribe. Beide waren für das Volk Kolumbiens Symbolfiguren der Hoffnung, bei beiden löste ihr Tod eine Welle der Gewalt aus, die über Jahrzehnte andauerte.
Nicht ohne Gefühl für den poetischen Gehalt des Absurden im Wirklichen erzählte davon Juan Gabriel Vásquez im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg. Vor fünf Jahren war er schon einmal hier zu Gast, denn als Autor der Romane "Die Informanten" sowie "Das Geräusch der Dinge beim Fallen" gilt er als einer der wichtigsten Schriftsteller Südamerikas, und mit seinem neuen Opus Magnum "Die Gestalt der Ruinen" wird er es noch viel mehr sein.
Es war nicht einfach, ein so hochkomplexes Werk mit seinem schlangenhaft mäandernden Stil live vorzustellen. Da lobte Jutta Wagner zunächst Übersetzerin Susanne Lange für ihre Arbeit, die schon eine überaus gelungene Neuübertragung des Don Quichote schuf. Bárbara Andrade aus Madrid verdeutschte flink die geschliffenen Antworten von Vásquez‘, der mit sanft melodischer Stimme die spanisch verstehende Gemeinde Heidelbergs beglückte.
Der Riesenroman selbst will vieles sein, eine Aufarbeitung der kolumbianischen Geschichte der letzten 50 Jahre, ein Psychothriller mit großen philosophischen Fragen, geschrieben von einem, dessen Generation mit dem Tode aufwuchs und der trotz eines Friedensabkommens zwischen den einst miteinander Verfeindeten seinem Land keine gute Zukunft zu versprechen vermag.
Wer waren die Hintermänner beim Attentat auf Gaitán?, fragt Vásquez und zieht Parallelen zur Ermordung John F. Kennedys. Genauso interessieren ihn aber die Gründe für den Hass aufeinander und warum wir in einer Welt voll menschlicher Ungeheuer und Dämonen leben, in dem sich der Einzelne als Maus im Karussell fühlt. "Die Gestalt der Ruinen" wird deshalb zur großen Herausforderung an den Leser, das wurde einem im DAI sehr deutlich. Der Titel übrigens nimmt Bezug auf einen Ausspruch Marc Antons beim Anblick von Cäsars Leichnam, zumindest nach Shakespeare.
Info: Juan Gabriel Vásquez: "Die Gestalt der Ruinen". Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Schöffling Verlag, Frankfurt, 528 S., 26 Euro.