George Floyd

Warum Rassismus kein Randphänomen bleibt

Vor einem Jahr wurde der Afroamerikaner George Floyd von einem weißen Polizisten getötet. Was hat sich in den USA und bei uns seither getan? Eine Aktivistin und ein Amerikanist ziehen Bilanz.

24.05.2021 UPDATE: 25.05.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 23 Sekunden
Auch in der Region machten sich Menschen nach der Ermordung Floyds gegen Rassismus stark. Unser Bild zeigt eine Demonstration in Mannheim mit 6000 Teilnehmern. Foto: dpa

Von Daniel Schottmüller

Mannheim/Frankfurt. Die letzten Momente im Leben von George Floyd haben sich in die kollektive Erinnerung eingebrannt. Ein Smartphonevideo – aufgenommen am 25. Mai 2020 – zeigt, wie der 46-Jährige auf dem Asphalt liegend nach Luft ringt: "I can’t breathe" (Ich kann nicht atmen). Doch Derek Chauvin drückt sein Knie auf Floyds Hals bis er stirbt. Der Tod des Afroamerikaners durch den weißen Polizisten löste Massenproteste gegen Rassismus aus – in New York, Los Angeles, aber auch Berlin, Mannheim und Heidelberg. Ein Jahr später stellt sich die Frage, was die Demonstrationen bewirkt haben. Ist die Welt im Mai 2021 weniger rassistisch? Im RNZ-Gespräch geben Melanelle B. C. Hémêfa, Aktivistin aus Mannheim, und der Frankfurter Amerikanistik-Professor Simon Wendt Antworten.

Die Mannheimerin Melanelle B. C. Hémêfa ist Poetress, Bildungsreferentin, Moderatorin und Aktivistin, Simon Wendt Professor an der Uni Frankfurt. Fotos: Privat, RNZ-Repro

> Ein neues Bewusstsein: Auf individueller Ebene beobachtet Melanelle B. C. Hémêfa Fortschritte: "Ich glaube, dass People of Color im Freundeskreis oder im beruflichen Umfeld spüren, dass eine höhere Sensibilität herrscht", sagt die Aktivistin. "Es wird stärker darauf geachtet, was man sagt und wie man es sagt." Als Bildungsreferentin ist Hémêfa im vergangenen Jahr häufiger von Medien und Institutionen angefragt worden. Zumindest einige Weiße – auch in unserer Region – scheinen der Marginalisierung von Menschen anderer Hautfarbe mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Mit Blick auf die USA beobachtet Simon Wendt ebenfalls ein Interesse, schwarzen Menschen zuzuhören – aus seiner Sicht, ein Verdienst der Black-Lives-Matter-Bewegung. "Viele weiße Amerikaner sind zum Nachdenken gebracht worden. Es hat ein Umdenken im Bezug auf rassistische Symbole und Sprache eingesetzt." Wendt stimmt es optimistisch, dass Statuen von Sklavenherren gestürzt wurden und einige Firmen sich entschieden haben, rassistische Symbole nicht mehr zu verwenden.

> Symbolpolitik? Der Wissenschaftler stellt aber auch klar, dass es der Logik des Kapitalismus geschuldet ist, wenn Unternehmen sich entsprechend positionieren. "Für Unternehmen und Politiker ist es leicht, antirassistische Statements zu veröffentlichen, weil sie erst mal nichts kosten." Wirklicher Wandel würde aber gerade in den USA eine Umverteilung von Reichtum voraussetzen. "Dass man zum Beispiel das Budget der Polizei in bestimmten Gemeinden so verwendet, dass es der afroamerikanischen Gemeinde zugutekommt." Wendt nimmt trotz aller Symbolpolitik keine Bereitschaft wahr, Geld, Status und Macht abzugeben.

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Auch innerhalb der Schwarzen Community Deutschlands werde diskutiert, wie symbolische Gesten zu werten sind, bestätigt Melanelle B. C. Hémêfa. Sie hält es für heikel, wenn Firmen wie Aldi oder Rossmann versuchen, ihr Image aufzupolieren, indem sie Angehörige von weniger privilegierten Gruppen als Aushängeschilder verwenden. Die Aktivistin begrüßt es zwar, dass Unternehmen Anti-Rassismus-Trainings anbieten, betont aber: "Anti-rassistische Arbeit ist ein Prozess, der ständige Begleitung braucht, und nicht mit einer vierstündigen Session erledigt ist. Man muss sein Verhalten immer wieder reflektieren." Ganz besonders gelte das für den Arbeitgeber, der sich die Frage gefallen lassen muss: "Nach welchen Kriterien stellen wir ein?"

> Politische Lösungen: Generell sieht die Aktivistin aus Mannheim zu wenig Wandel, wenn es um Strukturen und Hierarchien geht. "Schwarze Menschen leben seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland, trotzdem kommen wir in Schulbüchern nicht vor." Lehrpläne müssten ebenso geändert werden wie juristische Rahmenbedingungen. "Warum gibt es immer noch kein Gesetz, das Rassismus als Tatbestand anerkennt? Es gibt Bundesländer, in denen das N-Wort nicht mal als Beleidigung eingestuft wird." Hémêfa hält es für fatal, dass die Beweislast bei den Betroffenen liegt: "Am Ende sind People of Color von der subjektiven Einschätzung eines Richters abhängig."

Sind die USA weiter? Simon Wendt haben die Initiativen der Biden-Regierung positiv überrascht. "Alle Entscheidungen sollen im Hinblick auf Gerechtigkeit für bislang benachteiligte Gruppen getroffen werden", erklärt er. "Man sieht, dass die Administration versucht, etwas wiedergutzumachen."

> Erstarkter Gegenwind: Was Wendt ebenfalls wahrnimmt: Kaum hat die neue US-Regierung versucht, Polizeiarbeit transparenter zu machen und dafür zu sorgen, dass Polizisten leichter zur Rechenschaft gezogen werden können, hat sich eine Gegenbewegung formiert. "In republikanisch regierten Bundesstaaten wurden Gesetze verabschiedet, die die Polizei vor Gerichtsurteilen schützen und es Black Lives Matter schwerer machen, zu demonstrieren." Absurd: "Nachdem es 2020 mehrfach passiert ist, dass wütende Gegendemonstranten mit Fahrzeugen in Black-Lives-Matter-Proteste reingefahren sind, wird das in bestimmten republikanischen Staaten nicht mehr als Gesetzesverstoß gewertet."

Auch am Rande von Black-Lives-Matter-Demos in Berlin sei es zu Gegendemonstrationen und Polizeigewalt gekommen, schildert Melanelle B. C. Hémêfa. Trotzdem ist ihr wichtig, Rassismus nicht am rechten Rand, sondern in der Mitte der Gesellschaft zu verorten.

> Das Missverständnis: "In Deutschland wird Rassismus meist synonym für Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit verwendet. Nach dem Motto: Rassistisch handeln vielleicht AfD- oder NPD-Anhänger, aber ich doch nicht." Das ist für die Mannheimerin zu kurz gedacht. Ihr geht es darum, wer dazu gehört und wer ausgeschlossen wird, wer Zugang zu Bildung, Arbeit und dem Wohnungsmarkt erhält und, ja, auch darum, wer zuerst verdächtigt wird und wer nicht.

Obwohl auch in Deutschland Schwarze in Polizeizellen gestorben seien, habe Floyds Tod viele darin bestärkt, dass es "bei uns nicht so schlimm" ist. "Auch im Bezug auf Kolonialismus passiert es ständig, dass die Debatte außerhalb des Landes verortet wird. Dabei hat auch Deutschland koloniale Verbrechen begangen und Ländern wie Namibia keine Reparationen gezahlt", erinnert sie.

Simon Wendt stimmt zu. "Die Idee, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe weniger wert sind, ist in Deutschland existent und virulent." Insofern sei es problematisch, Vergleiche anstellen zu wollen – gerade mit den USA: "Wir sind ein kleineres Land mit schärferen Waffengesetzen. Und trotzdem sehen wir Dinge, die nicht weniger rassistisch sind als das, was in Amerika passiert."

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