Die Festivalmacher (v. links): Kulturbürgermeister Joachim Gerner, Kurator Jürgen Berger, Dramaturgin Lene Grösch und Intendant Holger Schultze. Foto: Philipp Rothe
Von Volker Oesterreich
Heidelberg. Vorwärts geht's! Im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Titel "¡Adelante!" des im kommenden Februar zum zweiten Mal in Heidelberg stattfindenden iberoamerikanischen Theaterfestivals steht für einen Aufbruch in künstlerisch neue und weltpolitisch bewegte Sphären. Es brennt in vielen Staaten des Subkontinents.
In Brasilien steht ein faschistoider Staatschef am Ruder, Venezuela steckt in einer tiefen Krise, in Santiago de Chile wurde nach Massendemonstrationen gerade fast die komplette Regierung aus dem Amt gekegelt und in Argentinien galoppiert die Inflation.
All das spiegelt sich im Programm von "¡Adelante!". Bei der ersten Ausgabe vor zwei Jahren waren das Publikumsinteresse, die bundesweite mediale Resonanz und die Begeisterungsfähigkeit der eingeladenen Künstler enorm. Aber nicht nur das. Der Brückenschlag von Heidelberg über Spanien bis nach Südamerika führte zu vielen weiteren Gastspielen, Festival-Einladungen und neuen Kontakten.
Konsequent also, dass Heidelbergs Intendant Holger Schultze, der Festival-Kurator Jürgen Berger zusammen mit seiner mexikanischen Kollegin Ilona Goyeneche, die Geschäftsführende Dramaturgin Lene Grösch, Kulturbürgermeister Joachim Gerner und viele weitere Initiatoren alle Hebel in Bewegung gesetzt haben, um vom 1. bis zum 8. Februar 2020 abermals ein breites "¡Adelante!"-Programm zu ermöglichen.
Alles beginnt mit einer ungewöhnlichen Adaption von Mozarts "Zauberflöte", die unter der Beteiligung chilenischer und deutscher Künstler bereits geprobt wird. Die Premiere der "Flauta Mágica" geht im Januar beim Festival Santiago a Mil in Chile über die Bühne, die Heidelberg-Premiere steigt zum Start von "¡Adelante!" am 1. Februar im Marguerre-Saal des Theaters. Horacio Salinas hat die Musik für eine fünfköpfige Band komponiert, der Text stammt von Guillermo Calderón, die Songs von Julieta Venegas. Die Regie übernimmt der in Heidelberg bereits bestens bekannte Antú Romero Nunes.
Venezuela, Ecuador und Bolivien sind diesmal neu dabei. Auffällig ist die starke Politisierung und der Widerstandsgeist vieler südamerikanischer Theatermacher. Die meisten von ihnen arbeiten unter prekären Bedingungen und trotzen der Obrigkeit. Auffällig ist aber auch, dass sie den Spuren des inzwischen legendären Performance-Kollektivs Rimini Protokoll folgen und Experten des Alltags mit ihren ganz persönlichen Lebensgeschichten und Problemen auf die Bühne holen. Der Trend zum Autobiografischen und zu Formen des Dokumentartheaters sei unverkennbar, betonen Lene Grösch und Jürgen Berger beim Blick aufs Festival-Programm.
Eine Sonderreihe gilt der "Kunst des Widerstands". Dabei werden Fragen der Gendergerechtigkeit, der in Südamerika nie richtig aufgearbeiteten Sklaverei, der Unterdrückung indigener Völker und nach sozialen Verwerfungen gestellt. Dazu gehört auch der Monolog "Wirres Fleisch" der brasilianischen Schauspielerin Grace Passô und der Abend "Nicht auszumalende Landschaften" mit neun chilenischen Mädchen und jungen Frauen im Alter von 11 bis 19 Jahren. Sie berichten von alltäglicher Gewalt und familiären Bedrängnissen.
Publikumsgespräche, das Metropolink-Projekt "The urban Notebook", Partynächte und etliches mehr runden das "¡Adelante!"-Spektrum ab. Gesponsert wird das Festival vom Goethe-Institut, von Wolfgang Marguerre, von hiesigen Banken und von zahlreichen weiteren Institutionen.