Ökonom Frondel sieht den Nulltarif kritisch

10.01.2022 UPDATE: 13.01.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 30 Sekunden

Ökonom Frondel sieht den Nulltarif kritisch

Wenn man für Busse und Bahnen kein Ticket braucht, steigen mehr Menschen ein. Da ist sich die Wissenschaft sicher. Doch bringt der Nulltarif wirklich die Verkehrswende voran? Der Ökonom Prof. Manuel Frondel vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen bezweifelt das. Frondel lebt in Heidelberg.

Professor Frondel, Heidelberg denkt darüber nach, den Nulltarif im Nahverkehr einzuführen. Eine gute Idee?

Kostenloser ÖPNV wird von der Allgemeinheit sehr begrüßt. In Erhebungen haben wir regelmäßig Zustimmungsraten über 70 Prozent. Ich glaube, das liegt daran, dass man sich nicht vergegenwärtigt, dass natürlich immer noch Kosten anfallen – die dann von anderer Seite getragen werden müssen – etwa von den Steuerzahlern. Das sind deutschlandweit 13 Milliarden Euro im Jahr – keine kleine Summe. Das geht dann zulasten anderer Aufgaben, die vielleicht dringlicher wären. Deswegen sollte man sich genau überlegen, ob man so eine Maßnahme einführt und ob sie wirklich im Sinne der Verkehrswende effektiv ist. Ich habe da große Zweifel.

Aber sie würde dazu führen, dass mehr Menschen Bus und Bahn fahren?

Definitiv. In Städten, in denen der kostenlose ÖPNV eingeführt wurde – etwa Tallin – war das so. Aber die zusätzliche Nutzung schwankt stark – abhängig von der Region und den jeweiligen Gegebenheiten. Es stellt sich auch die Frage, wer den Nahverkehr mehr nutzt. Da kommt es nämlich auch zu kontraproduktiven Wirkungen: Der Effekt ist bei Fußgängern und Radfahrern am stärksten. Weil es nichts kostet, nimmt man dann die Straßenbahn, anstatt zu laufen oder Rad zu fahren und damit seiner Gesundheit etwas Gutes zu tun. Diese fragwürdigen Effekte waren bislang immer zu beobachten. Und die eigentlichen Adressaten der Maßnahme – die Autofahrer – nehmen sie leider gar nicht so sehr wahr. Ihre ÖPNV-Nutzung stieg meist nur um zehn oder 20 Prozent.

Das wäre doch ein Fortschritt.

Ja, aber ein teuerer. Pro Adventswochenende hätte das Heidelberg 60.000 Euro gekostet. Das liegt vor allem an hohen Mitnahme-Effekten: Viele Leute wären sowieso mit dem ÖPNV gefahren, weil sie am Adventswochenende gerne in der Stadt sind. Dafür hätten sie auch das Ticket bezahlt, das sie dann kostenlos bekommen.

Aber es sind vor allem Haushalte mit geringem Einkommen, die den ÖPNV nutzen. Wäre es nicht zumindest eine sinnvolle sozialpolitische Maßnahme?

Doch, das ist nicht von der Hand zu weisen. Aber es gibt ja auch so etwas wie Sozialtickets. Die ärmsten Haushalte könnte man auch gezielt anders fördern.

Mit günstigen Tickets bekommt man die Menschen also nicht aus den Autos?

Eher nicht. Der Preis ist bei der ÖPNV-Nutzung nur eine Komponente – und meist nicht die entscheidende. Wenn Autofahrer in die Stadt fahren, können sie in Heidelberg fast nur in Parkhäusern parken und das kann viel Geld kosten. Wahrscheinlich mehr, als wenn man hin und zurück den ÖPNV nutzt. Wären die Kosten entscheidend, sollte das dazu führen, dass man weniger mit dem Auto in die Stadt fährt. Das lässt sich aber nicht beobachten.

Welches sind wichtigere Komponenten?

Nach unseren Erhebungen hängt die ÖPNV-Nutzung entscheidend davon ab, ob Haltestellen gut erreichbar sind – sowohl zu Hause als auch am Arbeitsplatz. Wenn es beim Arbeitsplatz günstige oder kostenlose, leicht zugängliche Parkplätze gibt, wirkt sich das zudem sehr negativ aus. Man müsste den Nahverkehr viel attraktiver machen, vor allem die Takte verdichten, um einen Umstiegseffekt zu erzielen. Und man müsste auf der anderen Seite das Autofahren nicht nur verteuern, sondern gleichzeitig unattraktiver gestalten, indem man etwa Parkraum anders nutzt.

Sie leben selbst in Heidelberg. Was würden Sie der Stadt empfehlen?

Ich bin großer Anhänger der Städtemaut und würde dafür plädieren, dass Heidelberg sie ausprobiert. Genauso fände ich gut, wenn man eine Verbilligung des ÖPNV testet und das wissenschaftlich begleitet. Ich glaube, man kann viele Menschen in die Bahn locken, wenn man etwa den Kurzstreckenpreis in der ganzen Stadt zulässt. Das könnte man ausprobieren und analysieren, bevor man eine teure Maßnahme implementiert. Wir Wissenschaftler wissen ja auch nicht, was passiert. Wir sind keine Hellseher. Denis Schnur